Typ 1-Diabetes: Intensivierte Insulintherapie kann Sterblichkeit senken

Pittsburgh/Dundee – Die intensivierte Insulintherapie, die die Insulindosis an den Bedarf der Mahlzeiten orientiert, dabei aber niedrige Blutzuckerziele vorgibt, hat in einer prominenten Kohortenstudie im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2015; 313: 45-53) die Sterblichkeit von Typ 1-Diabetikern gesenkt. Erfahrungen aus Schottland (JAMA 2014; doi: 10.1001/jama.2014.16425) zeigen jedoch, dass die Lebenserwartung weiterhin verkürzt ist.
Der amerikanische Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) hat der intensivierten Insulintherapie weltweit zum Durchbruch verholfen. Die 1993 veröffentlichten Ergebnisse hatten gezeigt, dass eine straffe Blutzuckereinstellung über sechseinhalb Jahre den HbA1c-Wert um 2 Prozentpunkte gegenüber der Kontrollgruppe senken kann. Dies wurde am Ende durch eine deutlich verlangsamte Progression der Spätkomplikationen an Augen, Nieren und Nerven belohnt. Nach dem Abschluss der Studie wurden alle 1.441 Patienten zu einer Folgestudie eingeladen. Allen Teilnehmern dieser Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications (EDIC) wurde zu einer intensivierten Insulintherapie geraten, was die HbA1c-Werte in beiden Gruppen anglich.
Obwohl die Patienten in der DCCT nur über 6,5 von insgesamt 27 Jahren der Beobachtung eine bessere Blutzuckereinstellung als die Kontrollgruppe hatten, war die Zahl der Todesfälle am Ende niedriger: In der Gruppe, die zunächst eine Standard-Behandlung erhalten hatte, kam es zu 64 Todesfällen gegenüber 43 Todesfällen im Interventionsarm der Studie mit intensivierter Insulintherapie. Trevor Orchard von der Universität Pittsburgh errechnet eine Hazard Ratio von 0,67, also ein Rückgang der Sterblichkeit um ein Drittel, die bei einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,46 bis 0,99 statistisch signifikant war.
Die Gesamtzahl der 107 Todesfälle auf mehr auf 1.429 Teilnehmer war ingesamt gering, da die meisten Patienten heute erst um die 50 Jahre alt sind: In 62 Fällen (57,9 Prozent) war der Diabetes an der Todesursache beteiligt, in 29 von diesen 62 Fällen war er sogar die Haupttodesursache. Welche Todesursachen für die Übersterblichkeit im Kontrollarm der ehemaligen DCCT-Studie verantwortlich waren, lässt sich aufgrund der geringen Fallzahl nicht sicher sagen.
Nierenkomplikationen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnten eine Rolle gespielt haben. Auf der anderen Seite erhöhte die intensivierte Insulintherapie das Risiko von Hypoglykämien. Die Zahl der Todesfälle an dieser Komplikation war mit 5 gegenüber 4 Fällen zwar nicht erhöht. Es kam im Arm mit intensivierter Insulintherapie jedoch zu einer erhöhten Rate von nicht-natürlichen Todesfällen: 8 versus 3 Patienten starben an einem Unfall, 5 versus 2 an einem Suizid. Welche Rolle eine Stoffwechselentgleisung hier gespielt haben könnte, ist unklar.
Die DCCT hatte aus heutiger Sicht relativ aggressive Blutzuckerziele vorgegeben. Der HbA1c-Wert sollte nach Möglichkeit auf unter 6 Prozent gesenkt werden. Am Ende schafften die Patienten zwar nur einen durchschnittlichen HbA1c-Wert von 7 Prozent. Das ist aber immer noch mehr als der derzeitige Durchschnitt, der nach der US-Datenbank „Type 1 Diabetes Exchange“ bei 8,3 Prozent liegt.
HbA1c-Wert mit der Sterblichkeit korreliert mit Sterblichkeit
In der DCCT/EDIC-Kohorte korrelierte der in der DCCT-Zeit erreichte HbA1c-Wert mit der Sterblichkeit. Orchard errechnet eine Hazard Ratio von 1,56 (1,35-1,81) pro Zunahme der HbA1c um relativ 10 Prozent). Dies ist ein markanter Unterschied zum Typ 2-Diabetes, wie der Vergleich mit der ACCORD-Studie zeigt. Die Studie hatte wie die DCCT die intensivierte mit einer konventionellen Insulintherapie verglichen. Bei der intensivierten Insulintherapie war ebenfalls ein HbA1c-Ziel von 6,0 Prozent ausgegeben worden.
Am Ende schafften die Patienten einen Durchschnittswert von 6,4 Prozent. In Vergleichsgruppen wurden 7,5 Prozent erreicht. Anders als in der DCCT/EDIC-Studie mit Typ 1-Diabetes wurde bei Typ 2-Diabetikern die bessere Blutzucker-Kontrolle nicht mit einer niedrigeren Sterblichkeit belohnt. Im Gegenteil: Die Sterblichkeit war signifikant erhöht (Hazard Ratio 1,22; 1,01-1,46). Die im New England Journal of Medicine (2008; 358: 2545-59) publizierten Ergebnisse haben inzwischen zur Rücknahme von allzu ehrgeizigen Blutzucker-Zielen bei Typ 2-Diabetikern geführt. Die Typ 2-Diabetiker sollen dadurch vor gefährlichen Hypoglykämien geschützt werden, die für die Übersterblichkeit verantwortlich gemacht wird.
Beim Typ 1-Diabetes dürfte aufgrund der aktuellen Studie weiter an einer engen Blutzuckereinstellung festgehalten werden. Dass die derzeitige Situation beim Typ 1-Diabetes noch immer weit von einem Normalzustand entfernt ist, zeigt eine weitere im US-amerikanischen Ärzteblatt veröffentlichte Studie. Shona Livingstone von der Universität Dundee kommt nach der Auswertung eines schottischen Patientenregisters zu dem Ergebnis, dass ein 20 Jahre alter Mann mit Typ 1-Diabetes derzeit noch eine Lebenserwartung von 46,2 Jahren hat gegenüber 57,3 Jahre bei einem Mann ohne Typ 1-Diabetes. Dies bedeutet einen Verlust von 11,1 Lebensjahren.
Frauen verlieren durch einen Typ 1-Diabetes sogar 12,9 Jahre. Ihre Lebenserwartung im Alter von 20 Jahren beträgt der Studie zufolge 48,l gegenüber 61,0 Jahren bei Frauen ohne Typ 1-Diabetes. Selbst Typ 1-Diabetiker mit erhaltener Nierenfunktion hatten eine um 8,3 Jahre bei Männern und 7,9 Jahre bei Frauen verkürzte Lebenserwartung. In Schottland erreichen nur 47 Prozent der Menschen mit Typ 1-Diabetes und nur 55 Prozent der Frauen mit Typ 1-Diabetes das 70. Lebensjahr.
Aus der Publikation geht allerdings nicht hervor, wie viele Patienten eine intensivierte Insulintherapie durchgeführt haben und welche HbA1c-Werte sie dabei erreicht haben. Die langfristigen Behandlungsergebnisse könnten deshalb von Land zu Land verschieden sein. Frühere Studien aus Finnland (Diabetes 2009; 58: 1651-1658) und den USA (Diabetologia 2010; 53: 2312–2319) kamen zu dem Ergebnis, dass die Sterblichkeit von Menschen mit Typ 1-Diabetes nicht erhöht ist, solange es zu keinen Nierenerkrankungen gekommen ist.
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