Medizin

Untere Atemwegsinfektionen: Antibiotika kein Hustenmittel

  • Mittwoch, 19. Dezember 2012
Uploaded: 19.12.2012 18:03:37 by mis
dpa

Southampton – Solange kein Verdacht auf eine Pneumonie besteht, ist der Einsatz von Antibiotika bei unteren Atemwegsinfektionen entbehrlich. In der bisher größten randomisierten kontrollierten Studie zu dieser Frage erzielte die Therapie mit Amoxicillin kaum bessere Ergebnisse als Placebo. Es kam aber erwartungsgemäß häufiger zu Nebenwirkungen, die nach Ansicht der Autoren in Lancet Infectious Diseases (2012; doi: 10.1016/S1473-3099(12)70300-6) den Wert den Nutzen infrage stellen.

Akute unkomplizierte Infektionen der unteren Atemwege gehören zu den häufigsten Erkrankungen in der hausärztlichen Praxis. In vielen Fällen werden Antibiotika verschrieben, was auch der Erwartungshaltung vieler Patienten entspricht. Da vermutlich die meisten Infektionen durch Viren ausgelöst werden und die Erkrankungen in der Regel selbstlimitierend sind, ist die Antibiotikaverordnung jedoch höchst umstritten.

Das GRACE-Consortium konnte mit Unterstützung der Europäischen Kommission und anderer öffentlicher Geldgeber eine randomisierte Studie in 16 europäischen Zentren (darunter das Diakoniekrankenhaus in Rotenburg/Wümme) organisieren. An der Studie nahmen 2.061 Erwachsene teil, die sich wegen einer unkomplizierten unteren Atemwegsinfektion (Leitsymptom: Husten) an ihren Hausarzt gewandt hatten.

Wichtigste Ausschlusskriterien waren nicht-infektiöse Ursachen, bei denen Antibiotika sinnlos sind, sowie der Verdacht auf eine Pneumonie (lokale Zeichen: fokale Krepitationen, Bronchialatmen; systemische Zeichen: Hohes Fieber, Erbrechen, schwere Diarrhoe), bei dem es keinen Zweifel ab der Notwendigkeit von Antibiotika gibt.

Die Patienten wurden auf eine empirische Antibiotikatherapie mit Amoxicillin oder eine Behandlung mit Placebo über jeweils 7 Tage randomisiert. Primärer Endpunkt war die Dauer der Beschwerden, die der Patient als „mäßig schlecht“ oder schlechter bewertete. Wie Paul Little von der Universität Southampton und Mitarbeiter jetzt berichten, kam es hier durch die Antibiotika zu keinerlei Verkürzung der Erkrankung.

Auch im mittleren Schweregrad der Beschwerden, einem sekundären Endpunkt, waren nur tendenzielle Vorteile für die Antibiotika erkennbar. Das einzige signifikante Ergebnis war eine geringere Zahl von Patienten, bei denen es unter der Antibiotikatherapie im Vergleich zum Placebo-Arm zu neuen Symptomen oder zu einer Verschlechterung kam (15,9 versus 19,3 Prozent). Der absolute Unterschied war aber gering und die Number Needed to Treat (der Patienten, die man behandeln muss, um einen derartigen Verlauf zu vermeiden) war mit 30 relativ hoch.

Little setzt sie in Beziehung zur Number Needed to Harm von 21 Patienten, auf die ein zusätzlicher Patient mit Amoxicillin-Nebenwirkungen wie Übelkeit, Hautausschlag oder Diarrhoe kommt. Bei einem Patienten im Amoxicillin-Arm kam es sogar zu einer Anaphylaxie. Hospitalisierungen waren insgesamt selten. Todesfälle traten nicht auf, was aber angesichts der leichteren Erkrankungen auch nicht zu erwarten war. Little und Mitarbeiter konnten auch bei älteren Patienten keine Vorteile für die Antibiotikagabe erkennen, so dass sie insgesamt von einem regelmäßigen Einsatz von Antibiotika bei unteren Atemwegserkrankungen abraten – solange sie nicht Anzeichen einer beginnenden Pneumonie sind.

Die Unterscheidung dürfte in der Praxis (vor allem bei älteren und multimorbiden Patienten) nicht immer einfach sein. Der Editorialist Philip Schütz vom Kantonsspital Aarau vermisst deshalb einen einfachen Test, der den primär versorgenden Ärzten die Unterscheidung erleichtern könnte. Der Infektiologe favorisiert hier den „Sepis-Marker“ Procalcitonin, der bei einer Pneumonie leicht ansteigt und in einer randomisierten Studie an Schweizer Kliniken den Antibiotikaeinsatz tatsächlich senken konnte (JAMA 2009; 302: 1059-1066).

rme

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