US-Krebsregister: Mammographie vermeidet weniger Todesfälle als Therapie

Lebanon – Die Einführung der Mammographie, zu der Frauen in den USA bereits ab dem 40. Lebensjahr geraten wird, hat die Zahl der Frühdiagnosen deutlich stärker ansteigen lassen, als die Zahl der Spätdiagnosen langfristig gesunken ist. Die Differenz, die eine Publikation im New England Journal of Medicine (2016; 375: 1438-1447) als Überdiagnose wertet, mindert ebenso wie die verbesserten Behandlungsergebnisse den Nutzen der Früherkennung.
Die Überdiagnose beschreibt Tumore, die bei einer Früherkennung wie der Mammographie in einem Frühstadium entdeckt, die aber ohne das Screening nicht erkannt worden wären (weil sie nur langsam wachsen oder sich sogar spontan zurückbilden) oder die bei einer späteren Diagnose (wegen ihrer geringen Aggressivität) das Leben nicht gefährdet hätten. Die frühzeitige Behandlung bleibt dann ohne Einfluss auf die Überlebenschancen.
Eine Überdiagnose ist beim Prostatakrebs und Schilddrüsenkrebs häufig. Sie wird auch beim Melanom und beim Lungenkrebs vermutet. Besonders umstritten ist das Phänomen beim Brustkrebs, weil es den Nutzen der Mammographie wenn nicht infrage stellt, so doch schmälert. Die meisten Experten haben sich nach einer heftigen Diskussion darauf verständigt, dass zwischen 10 und 25 Prozent der beim Mammakarzinom entdeckten Tumore in diese Kategorie fallen könnten. Nach den Untersuchungsergebnissen, die Gilbert Welch von der Geisel School of Medicine in Lebanon/New Hampshire und Mitarbeiter jetzt vorstellen, könnte der Anteil der Überdiagnosen noch höher sein.
Welch hat die Daten des Surveillance, Epidemiology, and End Results (SEER) für den Zeitraum von 1975 bis 2012 ausgewertet. Er umfasst die Zeit vor Einführung der Mammographie, die vor 1980 sehr selten zur Früherkennung eingesetzt wurde, bis zum Jahr 2012, in dem mehr als die Hälfte aller Frauen über 40 Jahre am Screening teilnahm. In dem Untersuchungszeitraum kam es zu einer deutlichen Verschiebung der Tumorgröße bei der Diagnose des Mammakarzinoms (die das SEER unabhängig davon speichert, ob der Tumor durch Früherkennung oder klinisch entdeckt wurde).
In den ersten Jahren waren zwei Drittel aller Tumore bei der Diagnose größer als 2 Zentimeter und nur ein Drittel klein. Heute ist das Verhältnis in den USA umgekehrt. Zwei Drittel der Tumore werden im Frühstadium entdeckt, nur noch ein Drittel der Tumore ist bei der Diagnose größer als 2 Zentimeter.
Welch führt dies in erster Linie auf das Screening zurück. Die Verschiebung der Stadien würde einen Nutzen des Screenings anzeigen, wenn die Gesamtzahl der Diagnosen gleichgeblieben wäre. Die ist aber nicht der Fall: Im Zeitraum von Mitte der 1980er Jahre bis 1990 – als sich das Screening in den USA durchsetzte – ist die Gesamtzahl der Brustkrebsdiagnosen um 30 Prozent gestiegen.
Eine Folge des Screenings war ein leichter Rückgang der Tumore, die bei der Diagnose größer als 2 Zentimeter waren. Die Inzidenz ist um 30 pro 100.000 Frauen gefallen. Wenn dies die Tumore sind, die durch das Screening früher entdeckt werden, dann sollte die Zahl der kleineren Tumore im gleichen Ausmaß angestiegen sein. Die Inzidenz der Frühstadien stieg jedoch deutlich stärker, nämlich um 162 pro 100.000 Frauen. Die Differenz von 132 Tumoren pro 100.000 beschreibt laut Welch die Inzidenz der Überdiagnosen (unter der Annahme, dass die Zahl der Brustkrebserkrankungen insgesamt gleich geblieben ist). Bei einer Gesamtinzidenz von 359 pro 100.000 Frauen (Tabelle 1) läge der Anteil der Überdiagnosen bei 36 Prozent (132/359).
Die Überlebenschancen der Patienten lassen sich nicht nur durch eine Frühdiagnose verbessern. Auch die Behandlungsergebnisse haben sich in den letzten Jahrzehnten verbessert. Dies gilt auch für größere Tumore. Die Case-Fatality-Rate ist bei allen Tumoren mit einer Größe von über 2 Zentimetern um 12 Prozentpunkte gefallen.
Ein Brustkrebs von mehr als 5 Zentimetern Größe ist heute dank Chirurgie, Radiotherapie und Chemotherapie nur noch für 43 Prozent der Frauen tödlich. Bei Tumorgrößen von 3 bis 4,9 Zentimetern ist die Case-Fatality-Rate nach den Angaben von Welch auf 27 Prozent, und bei Tumoren von 2,0 bis 2,9 Zentimetern Größe sogar auf 16 Prozent gefallen. Damit werden heute die meisten Brustkrebse, die nicht durch das Screening entdeckt werden, überlebt. Nach einer Berechnung von Welch sind mindestens zwei Drittel im Rückgang der Brustkrebsmoratiltät allein auf Verbesserungen der Therapie zurückzuführen.
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