Medizin

US-Studie: Medizinische Irrtümer dritthäufigste Todesursache

  • Mittwoch, 4. Mai 2016
Uploaded: 18.10.2012 10:51:53 by mis
dpa

Baltimore – In den USA sterben jedes Jahr etwa 250.000 Menschen an den Folgen medizinischer Irrtümer, die damit die dritthäufigste Todesursache nach Herzerkrankungen und Krebs wären, wenn die im Britischen Ärzteblatt BMJ (2016; 353: i2139) veröffentlichten Schätzungen zutreffen.

Dass medizinische Irrtümer zum Tod vieler Menschen beitragen, ist seit einem Report des US-amerikanischen Institute of Medicine aus dem Jahr 1999 allgemein bekannt. Damals wurde die Zahl der jährlichen Todesfälle für die USA auf 44.000 bis 98.000 geschätzt. Sie beruhte im Wesentlichen auf den Ergebnissen der Harvard Medical Practice Study aus dem Jahr 1984 und der Utah and Colorado Study aus dem Jahr 1992. Die Harvard-Studie hatte die Gesamtzahl der iatrogenen Todesfälle auf 180.000 geschätzt, von denen nach Ansicht der Autoren nur die Hälfte vermeidbar waren. Diese Einschätzung wird jedoch nicht von allen Experten geteilt, schreiben Martin Makary und Michael Daniel von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore jetzt im BMJ

Die beiden Forscher zitieren vier neuere epidemiologische Untersuchungen, die zu höheren Zahlen kommen. Die Health Care Quality Study und eine Untersuchung des US Department of Health and Human Services (HHS) an Medicare-Begünstigsten kommen einer Hochrechnung zufolge auf 251.454 beziehungsweise 219.579 Todesfälle. Wenn die Daten, die David Classen von der Universität von Utah in Salt Lake City in einer Studie an drei Kliniken ermittelt hat, repräsentativ wären, würden in den USA sogar jährlich 400.201 Menschen an den Folgen medizinischer Irrtümer sterben (Health Affairs 2011; 30: 581-589).

In einer Stichprobe aus zehn Kliniken in North Carolina, die Christopher Landrigan vom Brigham and Women’s Hospital in Boston im New England Journal of Medicine (2010; 363: 2124-34) veröffentlicht hat, war die Rate dagegen deutlich niedriger. Makary und Daniel kommen in ihrer Hochrechnung der Ergebnisse auf 134.581 Todesfälle durch medizinische Irrtümer. Der Durchschnitt aller vier Studien ergibt dann rund 250.000 Todesfälle. Das währen mehr Menschen als in den USA an chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen sterben (149.000), aber weniger Todesfälle als durch Krebs (585.000) oder Herzerkrankungen (611.000).

Viele medizinische Irrtümer seien nicht zu vermeiden, schreiben Makary und Daniel und geben dafür ein Beispiel: Eine Frau war nach einer erfolgreichen Organtransplantation wegen unklarer Beschwerden in der Klink aufgenommen worden. Wohl auch in Sorge um das Transplantatüberleben waren zahlreiche Tests durchgeführt worden, von denen einige sich im Nachhinein als unnötig herausgestellten. Darunter war auch eine Perikardiozentese, also die Punktion des Herzbeutels. Sie hatte eine intraabdominale Blutung zur Folge, die erst einige Tage später erkannt wurde. Zu spät. Die Frau starb am Herz-Kreislauf-Versagen, das dann auch als Todesursache angegeben wurde. 

Dieser Fall ist für Makary und Daniel auch deshalb exemplarisch, weil auf der Todesbescheinigung die eigentliche Ursache nicht erwähnt wurde. Aus Fehlern, so die Autoren, könne aber nur gelernt werden, wenn sie auch benannt würden. Makary und Daniel schlagen deshalb vor, auf den Totenscheinen ein Extrafeld anzulegen, auf dem angekreuzt werden könne, ob eine vermeidbare Behandlungskomplikation am Tod des Patienten beteiligt war.

Eine andere Strategie könnte darin bestehen, dass Kliniken bei Todesfällen grundsätzlich Untersuchungen veranlassen, um eine Beteiligung von medizinischen Irrtümern zu klären. Das Ziel wäre eine Steigerung der Behandlungsqualität. Makary und Daniel ist allerdings klar, dass eine solche Strategie nur funktionieren könnte, wenn die Anonymität von Ärzten und Personal gewahrt bliebe und einen Schutz vor rechtlichen Konsequenzen beinhalten würde.

rme

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