Ausland

Venezuela droht Gesundheitsnotstand

  • Freitag, 10. Juni 2016

Caracas – Seit der Ölpreis gesunken ist und der venezolanische Staat immer weniger Devisen einnimmt, um ausländische Liefe­ranten zu bezahlen, ist die Versorgung mit dem Allernötigsten für die meisten Venezo­laner ein Martyrium. Besonders hart trifft die Krise Kranke und ihre Familien. Sie müssen auf dem Schwarzmarkt Medikamente kaufen, die angesichts einer Inflation von über 200 Prozent kaum mehr erschwinglich sind.

In den Regalen der Apotheken glänzt gähnende Leere. „Die Anfragen an die Caritas nach Medikamenten haben sich verdoppelt“, sagte Janeth Márquez, Direktorin der Caritas Venezuela. Mittel gegen Bluthochdruck, Diabetes oder Psychopharmaka sind besonders knapp. Die venezolanische Bischofskonferenz hat mehrmals an die Regie­rung von Nicolás Maduro appelliert, die Einfuhr von gespendeten Medikamenten und Lebensmitteln zu erlauben. Bisher erhielt sie darauf keine Antwort.

Menschen hilflos sterben lassen
Der Assistenzarzt aus Barquisimeto, Jesús Guarecuco, muss immer öfter hilflos zu­schauen, wie seine Patienten sterben, da sein Krankenhaus keine Medikamente und OP-Utensilien hat. „Erst letzte Woche konnte ich einen Patienten mit Schusswunde nicht operieren, weil ich keine Handschuhe, Fäden und Tupfer hatte“, berichtete der 29-Jährige.

„Die Gesundheit der Venezolaner war noch nie so dramatisch wie heute“, sagte Marino Gónzalez, Professor für öffentliche Gesundheit an der Universität Simon Bolivar in Caracas. Heute sterben in Venezuela bei der Geburt wieder genau so viele Mütter wie im Jahr 1975, die Impfrate gegen Polio und Masern ist eine der niedrigsten in Lateinameri­ka, und die Fälle von Malaria und Dengue-Fieber sind in den vergangenen beiden Jahren in die Höhe geschossen. Verantwortlich dafür ist, so González, – neben der Devisenknappheit – die Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und Missmanage­ment.

Keine Ärzte, keine Medikamente
Dabei galt gerade das Gesundheitssystem in Venezuela als Vorzeigeprojekt der vom 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez angeführten sozialistischen Revolution. Parallel zum staatlichen Gesundheitswesen errichtete die Regierung Polykliniken in Armenvierteln und holte dafür kubanische Ärzte. Im Tausch für deren Dienste lieferte Venezuela Erdöl nach Kuba. „Heute sind die kubanischen Ärzte weg, und die Volks-Kliniken haben auch keine Medikamente“, sagte Janeth Márquez.

Viele Krankenpfleger und Ärzte sind wütend und frustriert. Yarisma Molero, Schwester am Kinderkrankenhaus von Barquisimeto, musste zusehen, wie ein Kind starb, weil es verunreinigten Reis gegessen hatte, der sonst nur Tieren gegeben wird. Es war der einzige Reis, den der Vater des Kindes auftreiben konnte. „Und dies ist beileibe kein Einzelfall“, sagte die Krankenschwester. „Wir haben buchstäblich nur unsere Hände, um unsere Arbeit zu tun.“

kna

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung