Viel Kritik und erste Interessenten an Russlands Coronaimpfstoff

Moskau – Die weltweit erste Zulassung eines Coronaimpfstoffs in Russland sorgt rund um den Globus für Kritik. Grund ist das aus Sicht der Kritiker unwissenschaftliche Vorgehen der Russen. Einige Länder haben aber auch bereits Interesse an dem Impfstoff angemeldet.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte die Zulassung des nach dem ersten Satelliten der Russen im All benannten Impfstoffs „Sputnik V“ gestern bekannt gegeben. Dieser ist den wenigen öffentlich zugänglichen Angaben zufolge nur an wenigen Personen getestet worden.
Die entscheidende dritte Test-Phase, in der Wirkstoffe üblicherweise an mehreren tausend Probanden erprobt werden, übersprangen die russischen Forscher. Sie soll Regierungsangaben zufolge im Hintergrund laufen, während der Impfstoff bereits ersten Bevölkerungsgruppen verabreicht wird.
Ausländische Wissenschaftler sind besorgt
Studienergebnisse und Daten, anhand deren ausländische Wissenschaftler die Qualität und Sicherheit des Impfstoffes nachvollziehen könnten, wurden nicht veröffentlicht.
„Dass die Russen solche Maßnahmen und Schritte überspringen, beunruhigt unsere Gemeinschaft von Impfwissenschaftlern“, sagte Peter Hotez vom Baylor College of Medicine in Houston (Texas) dem Fachjournal Nature. „Wenn sie es falsch machen, könnte das gesamte globale Vorhaben untergraben werden.“
Eine Massenimpfung mit einem nicht ausreichend getesteten Impfstoff sei unethisch, kritisierte Francois Balloux vom University College London.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) reagierte zurückhaltend auf den vermeintlichen Erfolg. Die Forschung an einem Impfstoff solle in jedem Entwicklungsschritt gemäß bewährter Prozesse vonstattengehen, um sicherzustellen, dass der Impfstoff sicher und effektiv ist, teilte das WHO-Regionalbüro Europa mit.
Verhalten äußerte sich auch das Bundesforschungsministerium. „Grundsätzlich ist jeder Schritt hin zu einem sicheren und wirksamen Impfstoff gegen COVID-19 zu begrüßen“, sagte ein Sprecher gestern. „Leider liegen uns zu dem angesprochenen Impfstoffkandidaten vom staatlichen Forschungsinstitut Gamaleja in Moskau nur sehr wenige Informationen vor.“
Trotz der immensen Kritik gibt es aber auch Interesse an dem Mittel. So kündigte unter anderem der brasilianische Bundesstaat Paraná an, ein Abkommen mit Russland schließen zu wollen, um den Impfstoff vor Ort selbst zu produzieren.
Die Impfung soll voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2021 verfügbar sein. „Wir werden in Etappen arbeiten“, sagte der russische Konsul in Curitiba, Acef Said.
Voraussetzung für die Anwendung in dem brasilianischen Bundesstaat ist allerdings die Erprobung von „Sputnik V“ in bisher fehlenden Phase-III-Studien. So schreibt es die brasilianische Überwachungsbehörde für Gesundheit Anvisa vor.
Laut Jorge Callado, Präsident des federführenden Technologie-Instituts Tecpar in Curitiba, könne eine solche Studie in Brasilien durchgeführt werden.
Auch der Philippinische Präsident Rodrigo Duterte kündigte eine Kooperation mit Russland an, um den Impfstoff zu erproben und im Anschluss auch selbst herzustellen. Dafür bot er sich selbst als Versuchskaninchen an. „Ich kann der erste sein, an dem experimentiert wird“, erklärte der Staatschef des südostasiatischen Landes.
Die Philippinen zählen zu den am stärksten von Corona bestoffenen Regionen in Asien. Zudem soll es Beratungen zwischen Russland und Israel geben, wie der israelische Gesundheitsminister Juli Edelstein gestern mitteilte. Es gebe ein grundsätzliches Interesse an „Sputnik V“.
Donald Trump verspricht Fortschritte bei eigenem Impfstoff
US-Präsident Donald Trump versprach dem amerikanischen Volk nach Russlands Ankündigung indess schnelle Fortschritte bei der Entwicklung eines eigenen Impfstoffes. „Wir sind auf dem besten Weg, schnell 100 Millionen Dosen zu produzieren, sobald der Impfstoff zugelassen ist, und kurz danach bis zu 500 Millionen“, sagte er.
Nach Angaben der WHO befinden sich derzeit sechs Impfstoffprojekte in der entscheidenden Phase III. Darunter das US-amerikanische Projekt Moderna sowie die Kooperation des deutschen Unternehmens BioNTech mit den Pharmaherstellern Fosun Pharma und Pfizer.
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