Vermischtes

Viele Kinder und Jugendliche von Cybermobbing betroffen

  • Mittwoch, 23. Oktober 2024
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Berlin – Die Fälle von Cybermobbing unter Kindern und Jugendlichen nehmen weiter zu. Das hat die fünfte „Cyber­lifestudie“ des Bündnis gegen Cybermobbing ergeben, die heute in Berlin vorgestellt wurde. Demnach sind in der Altersgruppe der Sieben- bis 20-Jährigen rund zwei Millionen betroffen. Das entspricht 18,5 Prozent be­ziehungsweise fast einem Fünftel der Kinder und Jugendlichen.

Der Anteil der aktuell Betroffenen liegt demnach um 1,8 Prozentpunkte über dem Vergleichswert der vor zwei Jahren veröffentlichten Vorgängeruntersuchung. Damals waren es noch 16,7 Prozent. Bei der Befragung von 2017 lag der Wert bei 12,7 Prozent.

„Wir haben in den letzten Jahren eine Inflation erlebt, die Gewalt an Schulen hat sich verstärkt“, sagte Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender des Bündnis gegen Cybermobbing, mit Verweis auf die Umfrageergebnisse. Der Brenn­punkt für Cybermobbing sei „ganz eindeutig“ die Schule. Die Probleme begännen oft schon in der Grundschule.

Beschimpfungen und Beleidigungen, Ausgrenzungen und das Verbreiten von Lügen und Gerüchten sind der Be­fragung zufolge die häufigsten Cybermobbingformen. Bei den Opfern hinterlässt Cybermobbing demnach oft tiefe Spuren. Die betroffenen Befragten berichteten demnach besonders oft von Verletztheit (57 Prozent), Wut (43 Prozent) und Angst (30 Prozent).

Besonders besorgniserregend sei, dass 26 Prozent der Cybermobbingopfer darüber nachgedacht hätten, sich das Leben zu nehmen, sagte Leest. Die Zahl sei im Vergleich zur Vorgängerstudie angestiegen. Vom Griff zu Alkohol, Tabletten oder anderen Drogen hatten 13 Prozent der Befragten berichtet.

Die befragten Lehrer beobachteten bei betroffenen Schülern besonders häufig eine bedrückte Stimmung, Fern­bleiben vom Unterricht und einen Leistungsabfall in der Schule. Angstzustände, Konzentrationsprobleme, eine plötzliche Verschlossenheit, aber auch Kopf- und Magenschmerzen wurden bei rund der Hälfte der Betroffenen bemerkt. Bei derartigen Symptomen sollte demnach auch an Cybermobbing gedacht werden.

Leest berichtete, dass sich sowohl ein großer Teil der befragten Lehrkräfte als auch der Eltern im Umgang mit dem Cybermobbing überfordert fühlt. Eltern informierten sich im Vergleich zur Vorgängerstudie zwar intensiver über Gefahren und Risiken. Doch auch wenn die Mobber bekannt seien, falle es vielen schwer, etwas dagegen zu unternehmen.

65 Prozent der Befragten gaben an, dass der Staat gegen das Cybermobbing noch viel mehr tun müsste. „Die Hemmschwelle ist gesunken“, erklärte Leest. „Wo es keine Sanktionierungen gibt, werden Taten wiederholt“. Dabei sei Cybermobbing kein Kavaliersdelikt. Strafverfahren dürften nicht einfach eingestellt werden, vielmehr sollten Polizei und Staatsanwaltschaft Cybermobbing ausreichend verfolgen und entsprechend bestrafen.

Aktuelle Gesetze, die zu einer Verstärkung des Personals bei Polizei und Staatsanwaltschaft und damit zu einer besseren Aufklärungsrate von Cybermobbing beitragen könnten, müssten endlich angewendet werden, so Leest. Auch die Einführung eines „Cybermobbing-Gesetzes“ hielt der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses für wichtig, um eine einheitliche gesetzliche Regelung für das Cybermobbing zu schaffen. Dies könne bei (potenziellen) Tätern für Abschreckung sorgen.

Weitere Forderungen des Bündnisses bestehen in einer verstärkten Selbstkontrolle der Onlineanbieter, der Ein­führung eines „Klarnamens“ zur eindeutigen Identifizierung von Personen und der Etablierung einer deutsch­land­weiten zertifizierten Online-Beratungsstelle und eines Hilfeportals, analog zur Hotline „Gewalt gegen Frauen“ des Bundesfamilienministeriums.

Schüler für mehr Prävention

Die Schülerinnen und Schüler sind mit der bisherigen Prävention an ihren Schulen ebenfalls unzufrieden: 43 stimmten der Aussage zu, dass die Maßnahmen zur Vermeidung von Mobbing und Cybermobbing in der Schule nicht ausreichend seien. 39 Prozent empfanden die bisher durchgeführten Maßnahmen jedoch als hilfreich.

„Das, was wir derzeit im schulischen Umfeld tun, ist bei weitem nicht ausreichend“, betonte Leest. „Es reicht nicht aus, nur mal einen Projekttag zu machen oder einen Vortrag anzuhören“. Langfristige Prävention sei eine Kern­auf­gabe, um das Cybermobbing einzudämmen. Diese müsse schon in der Grundschule ansetzen. Ein wichtiger Schritt könne auch die „handyfreie Schule“ sein.

Für eine verbesserte Prävention an den Schulen fordert das Bündnis die Einführung eines Schulfachs Mediener­ziehung, verbesserte Lehrerfortbildungen, die Einrichtung von Beratungs- und Aufklärungsteams an allen Schu­len und regelmäßige Informationsveranstaltungen sowie Schulungs- und Beratungsangebote für Eltern. Das schulische Umfeld müsse gestärkt und eine Sensibilität im Elternhaus und in der Schule geschaffen werden.

Im Rahmen der „Cyberlife-Studie“ wurden zwischen April und Juni 4.213 Schülerinnen und Schüler, 1.061 Eltern sowie 637 Lehrerinnen und Lehrer befragt. Erarbeitet wurde die „Cyberlifestudie“ vom Bündnis gegen Cyber­mob­bing in Kooperation mit der Barmer Krankenversicherung. Das Bündnis klärt über Cybermobbing auf, fördert die Medienkompetenz und bietet Hilfe im Netz an.

Wenn Sie Suizidgedanken haben oder bei einer anderen Person wahrnehmen: Kostenfreie Hilfe bieten in Deutschland der Notruf 112, die Telefonseelsorge 0800/1110111 und das Info-Telefon Depression 0800/3344 533. Weitere Infos und Adressen unter www.deutsche-depressionshilfe.de.

nfs/afp

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