Warum ein gesunder Lebensstil Diabetiker nicht vor Herzinfarkten schützte

Pittsburgh – Lohnt sich die Mühe einer Diät für Typ-2-Diabetiker überhaupt? In der Look AHEAD-Studie, der bisher größten und längsten Interventionsstudie zur Lebensstilberatung konnten die Diabetiker dank einer intensiven Intervention ihr Körpergewicht deutlich reduzieren. Doch die erhoffte protektive Wirkung auf kardiovaskuläre Erkrankungen blieb auch nach mehr als zehn Jahren aus. Anlässlich der Jahrestagung der American Diabetic Association in Chicago wurden die enttäuschenden Ergebnisse jetzt im New England Journal of Medicine (2013; doi: 10.1056/NEJMoa1212914) veröffentlicht.
An der Look AHEAD-Studie (Action for Health in Diabetes) hatten seit 2001 an 16 US-Zentren 5.145 übergewichtige oder adipöse Menschen mit Typ 2-Diabetes teilgenommen. Der Hälfte der Teilnehmer wurde ein intensives Lebensstilinterventionsprogramm angeboten. Die Diabetiker wurden in Gruppensitzungen und teilweise auch in Einzelgesprächen angehalten, nicht mehr als 1.200 bis 1.800 Kilokalorien pro Tag zu sich zu nehmen mit einem Anteil der Fette von unter 30 Prozent und der Proteine von über 15 Prozent.
Dazu sollten sie mindestens 175 Minuten in der Woche Sport treiben. Das Programm war im ersten Jahr sehr erfolgreich. Die Patienten verloren 8,5 Prozent ihres Gewichts (gegenüber einer Reduktion von nur 0,7 Prozent in der Kontrollgruppe, in der nur Informationsmaterialien ausgegeben wurden) und die Taille (minus 8 cm) nahm deutlich ab. Auch die Fitness stieg (um mehr als 1 Metabolisches Äquivalent). Die Diabetologen konnten zufrieden sein: Der HbA1C-Wert war auf durchschnittlich 6,6 Prozent gefallen.
Aber das Engagement der Teilnehmer ließ bereits im zweiten Jahr wieder nach. Wie Rena Wing, Brown University in Providence/Rhode Island, und Mitarbeiter berichten, nahmen Körpergewicht und Taille langsam wieder zu, die körperliche Fitness ging zurück und infolgedessen kam es zu einem Wiederanstieg des HbA1c-Werts. Er lag am Ende bei 7,2 Prozent und nur knapp unter den Werten in der Kontrollgruppe.
Dort hatte sich die diabetische Stoffwechsellage im Verlauf der Studie leicht verschlechtert, obwohl die Teilnehmer auch hier einige Kilo abgespeckt hatten. Am Ende reichte der Unterschied nicht aus, um den primären Endpunkt der Studie, ein Composite aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall oder einer Hospitalisierung wegen pektanginöser Beschwerden zu senken.
Der Endpunkt trat im Interventionsarm bei 403 Patienten und in der Kontrollgruppe bei 418 Patienten auf, was einer Reduktion um 9 Prozent entsprach. Die Hazard Ratio von 0,95 verfehlte bei einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,83 bis 1,09 klar das Signifikanzniveau, und selbst wenn die Reduktion statistisch eindeutig gewesen wäre, hätte man kaum von einem Erfolg sprechen können. Den US-National Institutes of Health, die die Studie gesponsert hatten, blieb im September 2012 bei einer Zwischenauswertung keine andere Möglichkeit, als die Studie abzubrechen.
Ist das Experiment Lebensstilintervention damit gestorben? Der Editorialist Hertzel Gerstein von der McMaster University in Hamilton/Ontario glaubt, einige Unterschiede zwischen den beiden Gruppen entdeckt zu haben, die das Scheitern erklären könnten. So hätten die Patienten im Interventionsarm seltener Medikamente mit kardioprotektiven Eigenschaften (z.B. ACE-Hemmer, Statine und Metformin) erhalten, doch die Unterschiede in Tabelle S1 im Appendix der Studie waren zu gering, um dies zu einem überzeugenden Argument zu machen.
Auch die Hoffnung, dass die Studiendauer von zehn Jahren möglicherweise zu kurz war, um einen Vorteil erkennen zu können, wirkt nicht unbedingt überzeugend, da in klinischen Studien zum Diabetes früher Effekte beobachtet werden. Immerhin sollen die Teilnehmer noch einige Jahre beobachtet werden, um etwaige Späteffekte nachweisen zu können.
Diät lohnt sich dennoch
Gerstein kann aber darauf verweisen, dass sich die Mühe einer Diät für Diabetiker lohnt. Wenn sie ihren Lebensstil auf Dauer ändern, was die Teilnehmer der Look AHEAD-Studie nur bedingt schafften, können die Reduktion von Körpergewicht und Blutzucker die Symptome ihrer Schlafapnoe mildern und ihren Gesundheitszustand verbessern.
Sie könnten den Bedarf und die Kosten für Medikamente, die US-Patienten häufig selber zahlen müssen, senken und vielleicht sogar den Diabetes besiegen. Wichtig und derzeit nicht ausreichend untersucht wäre auch eine Auswirkung auf andere Spätkomplikationen des Diabetes wie Neuro- und Nephropathie oder die Veränderungen an der Retina.
Ein weiterer Vorteil und Motivator für die Patienten könnte eine Verbesserung des Sexuallebens sein. Dies gilt laut einer weiteren Publikation von Wing und Mitarbeitern nicht nur für die männlichen Diabetiker, die aufgrund ihrer Erkrankung häufig unter einer erektilen Dysfunktion leiden, sondern auch für Frauen. Zu Beginn der Studie klagte jede zweite der sexuell aktiven Frauen unter einer sexuellen Dysfunktion, die mit dem Female Sexual Function Inventory, FSFI, erfragt wurde.
Die Lebensstilintervention verbesserte den FSFI-Score und erhöhte den Anteil der Frauen, die sexuell aktiv blieben. Die in Diabetes Care (2013; doi: 10.2337/dc13-0315) veröffentlichten Ergebnisse geben allerdings nur den Stand nach dem ersten Jahr der Intervention an, als Gewichtsreduktion und der Fitness-Gewinn am größten waren.
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