Medizin

Warum viele Autisten Augenkontakt meiden

  • Dienstag, 11. Juli 2017
/javiindy, stock.adobe.com
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Boston – Eine Überaktivierung des subkortikalen Systems könnte der Grund dafür sein, dass manche Autisten Schwierigkeiten haben, anderen Menschen in die Augen zu schauen. Dies lassen funktionelle MRT-Aufnahmen vermuten, die Forscher um Nouchine Hadjikhani am Martinos Center Boston an erkrankten Probanden durch­führten. Die Wissenschaftler berichten darüber in Nature Scientific Reports (2017; doi: 10.1038/s41598-017-03378-5). 

Für Patienten, die an einer Störung aus dem Autismus-Spektrum erkrankt sind, kann direkter Augenkontakt unangenehm sein. Einige Betroffene beschreiben es sogar als „brennendes Gefühl“. Von Mitmenschen und Teilen der Forschung wurde der fehlende Augenkontakt als Desinteresse gegenüber der Umwelt gewertet. Neuere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass subkortikale Strukturen wie die Amygdala, der Thala­mus, das Pulvinar und die superioren Colliculi bei Patienten eine fehlerhafte Informa­tionsverarbeitung verursachen. Das subkortikale System ist bereits bei Neugeborenen aktiv und fördert eine natürliche Hinwendung zu Gesichtern. Es scheint auch an der emotionalen Verarbeitung von Blicken beteiligt zu sein.

In ihrer Studie untersuchten die Forscher Patienten mit einer Störung aus dem Autis­mus-Spektrum und gesunde Kontrollen. Die beiden Gruppen wurden angewiesen, sich Bilder von Gesichtern anzuschauen, die verschiedene emotionale Ausdrücke zeigten. In einer ersten Runde konnten die Probanden das Gesicht so betrachten, wie sie wollten. In einem zweiten Durchgang wurden sie explizit angewiesen, in die Augen der Gesich­ter zu schauen. Während des Versuchs wurden die Probanden mit funktionalen MRT-Aufnahmen untersucht und die Aktivität verschiedener Hirnareale untersucht.

Während sich in der ersten freien Runde eine ähnliche Aktivierung der Hirnareale in den Gruppen zeigte, war in der zweiten Runde das subkortikale System bei den Autis­ten wesentlich stärker aktiviert. Am deutlichsten zeigte sich dieser Effekt bei angst­erfüll­ten Gesichtern, war jedoch auch bei den lachenden nachweisbar. Eine verstärkte Aktivierung in der Amygdala der Autisten lieferte den Hinweis, dass der Blick in die Augen bei den Probanden Stress auslöste.

Die Ergebnisse weisen nach Ansicht der Wissenschaftler darauf hin, dass nicht ein Desinteresse an sozialen Interaktionen, sondern eine Übersensibilität für sozio-affektive Stimuli zum Meiden des Blickkontakts führt. Eine Lösung für dieses Problem ist nicht klar, jedoch könnten Betroffene möglicherweise von einer schrittweisen Habituation profitieren, mutmaßen die Forscher.

hil

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