Politik

Weniger Masernfälle, aber noch zu viele

  • Mittwoch, 11. Januar 2017
Uploaded: 23.02.2015 18:13:06 by mis
/dpa

Berlin – Nach fast 2.500 Masernfällen bundesweit im Jahr 2015 erkrankten nach bislang vorliegenden Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) im vergangenen Jahr nur etwas mehr als 300 Menschen an der hochansteckenden Krankheit. Fachleute jedoch sehen beim Thema Masern wenig Grund zum Aufatmen. Und das nicht nur, weil die tatsächli­chen Zahlen höher liegen: Nicht jeder Patient geht zum Arzt und auch nicht jede Behand­­lung wird gemeldet.

„Schlimm, dass Deutschland inzwischen in Europa das Schlusslicht der Maserneliminati­on darstellt“, erklärte RKI-Präsident Lothar Wieler mit Blick auf die nach neuen Erkennt­nissen seines Hauses oft verspätete Masernimpfung bei Kindern. Nach Hochrechnun­gen waren bundesweit 150.000 Kinder des Jahrgangs 2013 mit 24 Monaten nicht voll­ständig gegen Masern geimpft. Hinzu kamen 28.000 Kinder ganz ohne Masernimpfung. Ballungs­räume wie Berlin, Dresden, Hamburg, Köln, Leipzig und München sehen die Experten als „Problemregionen“.

Hermann Josef Kahl, Sprecher des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), würdigt aber einen in den RKI-Zahlen ersichtlichen Aufwärtstrend bei der zweiten Masernimpfung. „Wir haben den Eindruck, dass die Misere, wie sie bisher bestanden hat, doch langsam ein bisschen abgebaut wird“, sagte er. Die Zahl der Kinder, die nach dem zweiten Lebensjahr nur einmal geimpft sind, scheine abzunehmen – noch müsse man aber die weitere Entwicklung abwarten. „Wachsam bleiben sollte man auf jeden Fall“, betonte Kahl.

Noch immer viel zu viele Masernfälle beklagt Dirk Werber, Leiter der Arbeitsgruppe Infek­tio­nsschutz beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Erst kürzlich wies er darauf hin, dass es für eine Eliminierung der Masern gemäß dem Ziel der Welt­ge­sundheitsorganisation (WHO) weniger als einen Fall pro eine Million Einwoh­ner hätte geben dürfen – das wären maximal rund 80 in Deutschland. So viele Masern­patienten hatte allein Berlin 2016, weiter Deutschlands Masern-Hauptstadt. Auch vielen jungen Erwachsenen fehlt dort der Impfschutz.

Die Anfälligkeit zeigte die Ankunft eines erkrankten Reisenden im Spätsommer: Er ver­ließ sein Hotel nicht, bevor er ins Krankenhaus kam, wie Dirk Werber schilderte. Den­noch steckten sich zwei Angestellte des Hotels an und trugen das Virus in der Stadt wei­ter. Da es sich um einen seltenen Virenstamm handelte, sei nachweisbar, dass in der Fol­ge auch Menschen in Brandenburg, Sachsen, Niedersachsen und Baden-Württem­berg an dem eingeschleppten Erreger erkrankten, so Werber. Neben Berlinern waren auch relativ viele Thüringer und Brandenburger von Masernerkrankungen betroffen.

Andere Länder sind weiter: Der gesamte amerikanische Kontinent wurde Ende Septem­ber als frei von Masern erklärt. Dort wurde seit 2002 nur noch von eingeschleppten Fäll­en berichtet. In den USA sind Masernimpfungen für Kinder vorgeschrieben, sie müssen in Schule und Kindergarten vorgewiesen werden. Masern gehören zu den ansteckends­ten Krankheiten überhaupt. Man kann sich über Tröpfchen beim Sprechen, Husten und Niesen anstecken oder bei Kontakt zum Beispiel mit dem Schleim eines Erkrankten.

Eine Impfpflicht in Deutschland fordert der Ärzteverband BVKJ seit Jahren. Die Medizi­ner halten die nach dem großen Masernausbruch 2015 eingeführte verpflichtende Impfbe­ra­tung nicht für ausreichend. Die Beratung bekommen Eltern üblicherweise bei der norma­len Vorsorgeuntersuchung, schildert Kahl. „Sie sind relativ gut vorinformiert und wollen die Impfung in der Regel auch haben.“

Ausführlichere Gespräche gebe es mit Eltern, die generell Angst vorm Impfen haben. „Da kommt man dann manchmal nicht durch“, so Kahl. Impfgegner dagegen kämen gar nicht erst in Praxen. Zudem hat Kahl die Erfahrung gemacht, dass Impfungen des Öfte­ren erst im Jugendalter nachgeholt werden, wenn Schüler zum Beispiel in die USA gehen wollen.

Masern sind vor allem wegen der sehr schweren Folgeerkrankungen gefürchtet. Bei­spiel­sweise kann es zur chronischen und tödlichen SSPE (Subakute sklerosierende Panenzephalitis) kommen. Sie ist nach neueren Untersuchungen häufiger als bislang angenommen.

dpa

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