Medizin

Wie Patienten mit Locked-in-Syndrom ihre Lebensqualität einschätzen

  • Freitag, 24. Februar 2017

Dresden – Patienten, die im fortgeschrittenen Stadium der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) unter dem Locked-in-Syndrom (LIS) leiden, schätzen ihre Lebensqualität erheb­lich besser ein als ihre nächsten Angehörigen. Das berichtet eine Arbeitsgruppe der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden in der Fach­zeitschrift Annals of Neurology (2017; doi: 10.1002/ana.24871).

Die Wissenschaftler nutzen für ihre Studie moderne Systeme zur Augensteuerung von Computern. Dank moderner sogenannter Remote-Eyetracker, die auch für Computer­spiele eingesetzt werden, haben diese Patienten die Möglichkeit, mit der Bewegung ihrer Augen Computer zu steuern und auf diese Weise zu kommunizieren. In die Studie zur Lebensqualität von Locked-in Patienten schlossen die Dresdner Forscher insgesamt 30 ALS-Patienten aus ganz Ostdeutschland ein. 

„Ohne die Technik des Eyetrackings war es bisher nur möglich, Suggestivfragen, also so­ge­nannte Ja-Nein-Fragen, zu stellen, die durch Augenblinzeln oder durch indirekte Befragung der Angehörigen beantwortet werden konnten. Beides stellt keine unabhängi­ge Befragung dar“, erläutert der Studienleiter Andreas Hermann. 

Die Forscher baten die Patienten, ihre eigene Lebensqualität in einer Werteskala zwi­schen null und 100 Prozent einzuschätzen. Nach Auswertung aller Ergebnisse ermit­telten die Forscher einen Durchschnittswert von 80 Prozent. Die Familienangehörigen dagegen bewerteten die Lebensqualität der ihnen nahestehenden Betroffenen lediglich mit 50 Prozent.

Weitere Auswertungen zeigten nach Angaben der Arbeitsgruppe, dass sich die Patien­ten häufig mit der eigenen Situation arrangiert hätten. Sie akzeptierten, dass sie an einer schweren Krankheit litten, wohingegen bei den Angehörigen das Verlustdenken im Vordergrund stehe. „Das bedeutet, dass selbst die nächststehenden Angehörigen die eigentlichen Gefühle und Meinungen der Patienten falsch einschätzen“, erläutert Hermann.

Er betonte, dass also auch die Ärzte bei lebenserhaltenden oder -verlän­gernden Maßnahmen die Patienten selbst befragen sollten und sich nicht auf den mutmaßlichen, durch die Angehörigen geäußerten Willen verlassen dürften. Die Studie zeigt laut den Forschern außerdem, dass neuartige Kommunikationstechnologien wie das Eyetracking viel zu spät verordnet würden. Damit hätten die Patienten keine Chance, sich frühzeitig daran zu gewöhnen und damit eventuell Entscheidungen für lebensverlängernde Maßnahmen zu treffen. 

Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) wird nun eine Folgestudie fördern: Das Projekt „Eyetracking-basierte Erhebung der Lebensqualität von Patienten mit Locked-in-Syndrom“ (EyeLLIS) möchte herausfinden, welche Patienten von diesen Technologien profitieren, welche sich für lebenserhaltende sowie für -verlän­gernde Maßnahmen entscheiden und welche nicht.

hil

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