Vermischtes

Wie sich der Gesundheitssektor an den Klimawandel anpassen könnte

  • Freitag, 24. Januar 2025
/WestPic, stock.adobe.com
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Berlin – Fachleute der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft (WSG) sehen dringenden Handlungsbedarf beim Thema Klima und Gesundheit: Steigende Temperaturen, häufigere Hitzewellen und Extremwetterereignisse bedrohten die Gesundheit der Menschen in Deutschland zunehmend, wobei das Gesundheitssystem selbst ein wesentlicher Treiber des Klimawandels sei.

Um die Ursachen zu bekämpfen, den Gesundheitssektor besser auf die Klimafolgen vorzubereiten und die Ge­sundheit der Menschen zu schützen, hat die WSG einen Sechs-Punkte-Plan aufgestellt, der diese Woche bei der Barmer in Berlin präsentiert wurde.

„Das Gesundheitssystem des 21. Jahrhunderts steht vor Herausforderungen ganz neuer Qualität“, sagte Michael Hallek, Präsident der WSG und Direktor der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln. „Wir müssen jetzt auf die Auswirkungen des Klimawandels reagieren und die medizinische Versorgung anpassen“.

Mit vier Prozent der Gesamtemission trage das Gesundheitssystem einen nicht unerheblichen Teil zum Klima­wandel bei: „Das Gesundheitswesen verursacht mehr Treibhausgasemissionen als der gesamte Luftverkehr in Deutschland“, sagte Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. „Klimaschutz ist nicht zuletzt Gesund­heitsschutz und muss deshalb im Interesse des Gesundheitswesens liegen“.

Wenn nicht bald gehandelt werde, drohten immer mehr klimatisch bedingte Erkrankungen und hohe Folgekos­ten, heißt es auch in dem Papier. Wissenschaftlich belegt sei dies durch die Gutachten des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung, des Sachverständigenrates für Umweltfragen, die Empfehlungen der Akademie der Wissenschaften, der Leopoldina und verschiedene internationale Netzwerke.

Im Sechs-Punkte-Plan der WSG werden konkrete Handlungsfelder fokussiert: Die Etablierung hitzeresilienter Gesundheitseinrichtungen, die Reduktion von Emissionen im Gesundheitssektor, die Stärkung von Bildung und Weiterbildung, die Förderung von Prävention und Schutz der Bevölkerung sowie die Förderung der transforma­tiven Forschung.

„Transformative Forschung kann einen großen Beitrag leisten und praxisorientierte Lösungen für Klimaschutz und Klimaanpassung entwickeln“, betonte Beate Müller, Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin am Uni­versitätsklinikum Köln.

Hitzeresiliente Gesundheitseinrichtungen

Um Patienten und Personal in Hitzeperioden zu schützen, sind dem Papier der WSG zufolge bauliche Anpassun­gen wie Fassaden- und Dachbegrünung, effiziente Belüftungs- und Kühlsysteme, Jalousien und kühlende Farben in Gesundheitseinrichtungen notwendig.

„Auf einer Seite unserer Bettenhauses waren Behandlungen im Hochsommer gar nicht mehr möglich, weil es zu heiß wurde“, berichtete Hallek. Abhilfe schaffe inzwischen ein spezielles Kühlsystem, das mit Kälte aus dem Boden arbeite. Doch viele Krankenhausgebäude seien auf die Hitzeperioden noch nicht vorbereitet, betonte er.

Barmer-Gesundheit-Klimaschutz

Die WSG empfiehlt daher auch die Erstellung von Hitzeschutzplänen, die an die Bedürfnisse von Patienten und Personal angepasst sind und mit den Hitzeaktionsplänen der Kommunen verknüpft werden können.

Um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Personals in Hitzeperioden zu erhalten, sind dem Papier zufolge zusätzliche Pausen, Schattenbereiche und Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung wichtig. „Die Arbeitsbedin­gungen müssen dringend angepasst werden“, so Hallek.

Reduktion von Emissionen im Gesundheitswesen

Aufgrund der hohen Treibhausgasemissionen empfiehlt die WSG eine Senkung des Energieverbrauchs in Kran­ken­häusern, die unter anderem mit einer energieeffizienten Gebäudemodernisierung erreicht werden könne. Als Beispiele werden dichte Gebäudehüllen, Dreifachverglasung und Lüftungssysteme mit Wärmerückgewinnung aufgeführt.

Die Gesellschaft verweist zudem auf die Optimierung von Lieferketten und die Produktion von Medizinprodukten – derzeit machten sie rund 70 Prozent der Emissionen im Gesundheitssektor aus. Umweltfreundliche Materialien, wiederverwendbare Produkte und verkürzte Lieferketten durch eine lokale Produktion oder die Verwendung von 3D-Drucken könnten demnach zum Umweltschutz beitragen.

Erneuerbare Energien und Recyclingsysteme sowie die Förderung von emissionsfreien Produkten, beispielsweise bei Narkosegasen, könnten den CO2-Fußabdruck großer Häuser ebenfalls reduzieren.

„Bei uns wurde immer eine große Menge Essen weggeworfen“, berichtete Hallek. Dem sei man entgegengetreten und biete für Patienten nun eine Theke an, aus der sie sich selbst bedienen könnten. „Das Wegwerfen von Lebens­mitteln konnte dadurch reduziert werden“, sagte er.

Auch den Papierverbrauch könnten viele Häuser reduzieren und Ressourcen schonen, so der Präsident der WSG, beispielsweise mit doppelseitigen Ausdrucken. Straub machte darauf aufmerksam, dass auch die Beipackzettel von Medikamenten eine Menge Papier verbrauchen würden. Im Papier der WSG werde deshalb zu QR-Codes auf den Verpackungen geraten.

In vielen Krankenhäusern werde das Essen vor der eigentlichen Entsorgung noch zentrifugiert, was eine Menge zusätzlicher Energie koste, sagte Eckart von Hirschhausen, Arzt und Gründer der Stiftung Gesunde Erde – Ge­sunde Menschen. Viele Medizinprodukte würden außerdem als Sondermüll betrachtet, obwohl sie gar nicht mit den Patienten in Berührung gekommen seien. Diese würden aufwendig entsorgt, was wiederum wertvolle Energie verschwende.

Um den Bedarf an Gesundheitsleistungen und wertvolle Ressourcen zu reduzieren, insbesondere im Bereich größerer Eingriffe, Rehabilitationen und teurer Medikationen, schlägt die WSG verstärkt präventive Gesundheits­maßnahmen vor.

Mit diesen und weiteren Maßnahmen könnten große Krankenhäuser der WSG zufolge jährlich rund 30 Prozent der Energie- und Wasserkosten und damit drei Millionen Euro einsparen. Dafür sei auch der Austausch von Erfah­rungen zu umweltfreundlichen Veränderungen zwischen den Häusern wichtig, heißt es in dem Papier.

Hitze in der Aus- und Weiterbildung

Die WSG fordert zudem, dass Klimaschutzthemen mit Gesundheitsbezug verstärkt in die ärztliche und pflege­rische Aus- und Weiterbildung aufgenommen werden. Es sei wichtig, dass die Akteure des Gesundheitssystems eine entsprechende Wissensgrundlage und Hitzekompetenz vorweisen könnten, um zukünftigen Herausforde­­rungen zu begegnen. In den Weiterbildungskatalogen spielen die Themen laut WSG bisher eine untergeordnete Rolle.

Viele Universitäten bemühten sich und hätten das Thema bereits aufgenommen, sagte Müller, die an der Uni­versität Köln lehrt. Bei der Umsetzung hänge jedoch noch vieles an Einzelnen. Eine flächendeckende Aufnahme des Klima- und Gesundheitsschutzes in einer neuen Approbationsordnung wäre sinnvoll, sagte sie.

Theoretische und klinische Inhalte sollen der WSG zufolge im Medizinstudium ergänzt und querschnittlich ver­ankert werden. Neben den Auswirkungen von Hitze auf den Körper sollen demnach Kenntnisse über vulnerable Bevölkerungsgruppen, zunehmende Infektionskrankheiten, Tropenkrankheiten und neue Erreger sowie Präven­tionsmaßnahmen und Arzneiwechselwirkungen in den Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) und im Gegenstandskatalog (GK) aufgenommen werden.

„Die Patienten kommen schon im Februar mit Heuschnupfen in die Praxen, mit Zeckenbissen noch im November“, berichtete Müller von ihren Erfahrungen. Durch die zunehmenden Klimaveränderungen müsse es daher auch Veränderungen und Anpassungen in der Allgemeinmedizin geben. Das Klima verändere die Art, wie Medizin praktiziert werde, sagte auch Hallek.

Auch in Fortbildungen sollen Klima- und Hitzeschutz der WSG zufolge eine größere Rolle spielen und ein brei­teres Angebot zur Verfügung gestellt werden. Die erlernte Hitzekompetenz soll an Patienten weitergegeben werden, um sowohl Risikogruppen als auch die Allgemeinbevölkerung zu schützen.

Hitzeberatung und Prävention

Gefährdete Personen und deren Angehörige sollen von Ärztinnen, Ärzten und anderen Gesundheits­dienstleister verstärkt auf Hitzeperioden vorbereitet und sensibilisiert werden, fordert die WSG. Hierzu gehören dem Papier zufolge die Vermittlung von Verhaltensmaßnahmen, der Umgang mit Medikamenten während Hitzeperioden und die Überprüfung der Medikamentendosis.

Zudem soll die Einwirkung von Hitze auf Medikamente besser untersucht werden und die Ergebnisse der Öffent­lichkeit zugänglich gemacht werden. Hitzebedingte Veränderungen bei der Einnahme von Medikamenten sollen in Beipackzettel aufgenommen werden, um Neben- und Wechselwirkungen zu vermeiden.

Um vulnerable Gruppen besser zu erreichen, schlägt die WSG zentrale Informationsplattformen und Apps vor, die über Verhaltensmaßnahmen bei Hitze informieren und an die individuellen Bedürfnisse der Patienten angepasst werden können.

Sektorenübergreifende Zusammenarbeit

Um kommunale Hitzeaktionspläne effektiv umzusetzen, ist der WSG zufolge eine sektorenübergreifende Zu­sammenarbeit notwendig. Beteiligt werden sollen unter anderem Gesundheitspersonal, kommunale Behörden, Freiwillige und gemeinnützige Einrichtungen.

Sinnvoll sei eine kommunale Fürsorge, beispielsweise mit ehrenamtlichen Helfersystemen, erklärte Hallek. Freiwillige könnten ältere oder gefährdete Menschen während extremer Hitzeperioden regelmäßig besuchen und sie mit wertvollen Ratschlägen zum richtigen Verhalten bei Hitze versorgen. Hitzebedingten Krankenhausaufenthalten könne dadurch vorgebeugt werden.

Mithilfe transformativer Forschung sollen den Empfehlungen zufolge nicht nur die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels verstärkt untersucht werden, sondern auch praxisorientierte Lösungen gefunden werden. „Wir brauchen mehr Forschung in diesem Bereich“, machte auch Müller deutlich. Vor allem die Auswirkung von Hitze auf Medikamente und Krankheiten soll laut WSG besser untersucht werden.

Medikamente können sich infolge von Hitze beispielsweise in ihrer Stabilität und Wirksamkeit verändern. Neue Forschungsergebnisse könnten der WSG zufolge zur Entwicklung neuer Medikamentenrichtlinien beitragen, die wiederum das Risiko von Medikationsfehlern und Gesundheitsschäden senken könnten. Durch die Erforschung der Hitzesensibilität von Krankheiten könnten Risikogruppen ermittelt und präventive Maßnahmen entwickelt werden.

Auch im sozial-ökologischen Bereich soll verstärkt geforscht werden, um Wechselwirkungen zwischen Klima­veränderungen, sozialen Strukturen und Gesundheit zu verstehen. Urbane Konzepte könnten den Empfehlungen zufolge dabei helfen, die Gesundheit der städtischen Bevölkerung zu schützen.

Die Walter-Siegenthaler-Gesellschaft setzt sich für die Entwicklung von fachlichen und politischen Impulsen für eine nachhaltige Gestaltung des Gesundheitswesens im deutschsprachigen Raum ein. Der Sechs-Punkte-Plan zu Medizin und Klima soll die öffentliche Diskussion bereichern und konkrete Schritte für eine gesündere, nachhaltigere Zukunft anstoßen.

nfs

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