Medizin

Wieso Hungersnöte Schizo­phrenie-Erkrankungen in der nächsten Generation auslösen

  • Mittwoch, 6. September 2017

Tokio – Ein pränataler Mangel von zwei für die Hirnentwicklung wichtigen Omega-Fettsäuren löst bei Mäusen Verhaltensstörungen aus, die den Prodromalsymptomen der Schizophrenie ähneln. Japanische Forscher führen ihre Beobachtung in Translational Psychiatry (2017: 7: e1229) auf epigenetische Veränderungen zurück, die zu neuen therapeutischen Ansätzen führen könnten. Die Studie liefert eine Erklärung für den Anstieg von Schizophrenie-Erkrankungen, bei jungen Erwachsenen, deren Mütter während der Schwangerschaft einem extremen Nahrungsmangel ausgesetzt waren.

In den 1970er bis Anfang der 1990er Jahre erkrankten in den Niederlanden auffällig viele junge Erwachsene eines bestimmten Jahrgangs an einer Schizophrenie. Ihre Mütter waren mit ihnen während des Hungerwinters 1944/45 schwanger gewesen. Damals hatten die deutschen Besatzer die Versorgung holländischer Städte mit Brennstoffen und Nahrungsmitteln blockiert. Epidemiologen fanden heraus, dass das Schizophrenie-Risiko der Kinder um den Faktor 2,0 erhöht war (Archives of General Psychiatry 1996; 53: 25-31).

Ein ähnliches Phänomen wurde zwischen 1971 und 2000 in China beobachtet. Eine Häufung von Schizophrenie-Erkrankungen in den Geburtenjahrgängen 1960 und 1961 ließ sich auf die Hungersnot zurückführen, der ihre Mütter in der Schwangerschaft während des vermeintlichen „Großen Sprungs nach vorn“ unter der Regierung Mao Zedong ausgesetzt waren. Auch hier wurde später in einer Studie eine Verdopplung des Erkrankungsrisikos ermittelt (JAMA 2005; 294: 557-562).

Die Gründe für diese Spätwirkung der intrauterinen Mangelversorgung hat jetzt möglicherweise ein Team um Takeo Yoshikawa vom RIKEN-Hirnforschungsinstitut in Saitama bei Tokio herausgefunden. Die Forscher ernährten trächtige Mäuse mit einem Futter, das komplett frei war von Docosahexaensäure (DHA) und Arachidonsäure (AA), zwei für die Hirnentwicklung wichtigen mehrfach ungesättigten Omega-Fettsäuren.

Die Tiere zeigten im ausgewachsenen Alter Verhaltensweisen, wie sie für die frühen Stadien der Schizophrenie typisch sind. Dazu gehören Motivationslosigkeit, Depression, Gedächtnisstörungen sowie eine erhöhte motorische Aktivität nach Injektion der
halluzinogenen Droge MK-801 (einen NMDA-Rezeptor-Antagonist).

Da Dysfunktionen im präfrontalen Kortex zu den Kennzeichen einer Schizophrenie gehören, haben die Forscher untersucht, welche Folgen der intrauterine Fettsäuremangel auf diese Hirnregion hatte. Sie fanden heraus, dass hunderte von Genen vermindert aktiv waren, darunter auch solche, die die Funktion von Oligodendrozyten bestimmen. 

Dies passt (irgendwie) zu einer aktuellen Hypothese, die die Schizophrenie als Folge einer überaktiven „Beschneidung“ (Pruning) der Synapsen während der Pubertät deutet. Postmortale Untersuchungen der Gehirne von Schizophrenie-Patienten hatten ergeben, dass die Synapsendichte im präfrontalen Cortex vermindert ist.

Die Forscher fanden auch eine verminderte Expression von Genen im Umfeld des Neurotransmitters GABA. Auch dies passt zu postmortalen Befunden von Patienten mit Schizophrenie, in denen eine GABA- Mangel beobachtet wurde.

Die verminderte Expression von Genen könnte die Folge einer epigenetischen Prägung sein, die im Uterus der Tiere erfolgt sein mag. Tatsächlich fanden die Forscher, dass bei den verhaltensauffälligen Mäusen Gene für einige Rezeptoren im Zellkern vermindert abgerufen wurden, die für den Stoffwechsel der Omega-Fettsäuren bedeutsam sind (was auch die verminderte Aktivität der Oligodendrozyten erklären könnte). 

Die verminderte Expression ließ sich auf das Anhängen von Methylgruppen zurückführen, was ein bekannter Mechanismus der epigenetischen Prägung ist. Die Untersuchung von Haarproben bei Schizophrenie-Patienten unterschiedlicher ethnischer Herkunft bestätigt dies: Auch war hier war die Expression der nuklearen Rezeptoren vermindert.

Noch sind die Befunde der japanischen Forscher eine Hypothese. Der nächste Schritt der Beweisführung wäre eine Behandlung, die durch die Aktivierung der nuklearen Rezeptoren die Symptome der Schizophrenie lindert. 

Eine solche Studie wurde bereits durchgeführt: Forscher der Ben Gurion Universität in Be’er-Sheva haben 90 Patienten im Rahmen einer randomisierten Doppelblindstudie zusätzlich zu ihren Antipsychotika mit Bexaroten oder Placebo behandelt. Bexaroten ist ein synthetisches Retinoid-Analogon, das zur Behandlung des kutanen T-Zell-Lymphoms zugelassen ist. Die vor einigen Jahren im Journal of Clinical Psychiatry (2013; 74: 1224-32) veröffentlichten Ergebnisse hatten zwar eine Wirkung gezeigt, die jedoch relativ schwach ausgefallen waren, so dass der Ansatz offenbar nicht weiter verfolgt wurde. Die jetzt entdeckten Zusammenhänge könnte dazu führen, dass die Idee erneut aufgegriffen wird.

rme

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung