Politik

Wirksamkeit von Cannabis als Medizin zweifelhaft

  • Donnerstag, 17. Mai 2018
Medizinalcannabis in einer Dose /dpa
/dpa

Berlin ­– Medizinisches Cannabis ist nur selten eine Alternative zu den bewährten Therapien, kann aber Patienten im Einzelfall helfen. Das ist eines der Ergebnisse des „Cannabis-Reports“, den die Techniker Krankenkasse (TK) bei dem Arzneimittelexperten Gerd Glaeske, Universität Bremen, und dem Forschungszentrum socium in Auftrag gegeben hat. Der Report wurde heute vor der Presse in Berlin vorgestellt.

Die Studienlage zu Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis als Medizin sei bislang lückenhaft, heißt es darin. „Es ist unklar, welchen Patienten Cannabis in welcher Dosierung hilft und in welcher Form es am besten verabreicht werden sollte“, erklärte Glaeske. „Wir wollen dem Hype um Cannabis mit dieser Studie eine sachliche Betrachtung der Vor- und Nachteile entgegensetzen“, betonte Jens Baas, Vorstandvorsitzender der TK.

Cannabis kein pflanzliches Wundermittel

Glaeske kritisierte, das eine standardisierte Therapie mit Cannabisblüten kaum möglich sei, da der THC-Gehalt der einzelnen Sorten sehr unterschiedlich sei. Auch Wirkeintritt und Wirkdauer seien bei inhalativer und oraler Anwendung sehr unterschiedlich und bewegten sich bei letzterer zwischen drei und acht Stunden. Die Evidenz sei bei dem breiten Indikationsspektrum, für das Cannabis verordnet werden könne, sehr gering.

„Es gibt nur wenige Studien, die eine Behandlung mit Cannabis wissenschaftlich begründen können – es ist kein pflanzliches Wundermittel und für viele Indikationen gibt es bewährte Arzneimittel“, erklärte Glaeske. Es brauche definitiv mehr Forschung.

„Man muss sich die Frage stellen, warum der Wirkstoff Cannabis nicht das System der frühen Nutzenbewertung, den sogenannten AMNOG-Prozess, durchlaufen hat, wie es normalerweise für neue Arzneimittel gilt“, sagte Glaeske. Stattdessen erhielten die Krankenkassen einen Genehmigungsvorbehalt, der recht unklar definiert sei. „Das ist ein Rückfall in vorindustrielle Zeiten“, kritisierte er.

Ärzte aller Fachgebiete können seit dem 10. März 2017 bei schwerwiegenden Erkrankungen für Patienten, denen nicht anders geholfen werden kann, Cannabis­rezepturen verordnen. Die Abrechnungen über die Krankenkassen nahmen danach deutlich zu. Vor der Gesetzesänderung war eine Ausnahmegenehmigung für den Erwerb von Cannabisblüten oder -extrakten notwendig.

Deutliche Zunahme der Verordnungen

Bei der TK wurde im vergangenen Jahr in rund 2.900 Fällen eine Cannabistherapie beantragt, zeigt der Cannabis-Report weiter auf. Insgesamt hat die Kasse mehr als zehn Millionen Versicherte. „Wir sehen eine deutliche Zunahme der Verordnungen – und gehen von einem weiteren Zuwachs in den nächsten Jahren aus“, erklärte der TK-Vorsitzende Baas. Die Kosten dafür beliefen sich auf rund 2,3 Millionen Euro.

Die Behandlung von Schmerzen ist mit 61 Prozent der häufigste Grund für einen Antrag auf Kostenübernahme von medizinischem Cannabis. Mit 62 Prozent wurde die Mehrheit dieser Anträge bei der TK positiv beschieden. Bei den meisten Ablehnungen (64 Prozent) verwies der Medizinische Dienst der Krankenkassen auf alternative Therapieoptionen.

Saarland, Bayern und Baden-Württemberg vorne

Die Mehrheit der cannabisverordneten Ärzte sind dem TK-Report zufolge Fachärzte für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie (39 Prozent), gefolgt von Hausärzten und Internisten (33 Prozent). Am häufigsten wurde Cannabis als Medizin TK-Versicherten im Saarland, Bayern und in Baden-Württemberg verordnet; am seltensten in den ost­deutschen Bundesländern.

Bei der TK wurden 68 Prozent der Anträge auf Erstattung von dronabinolhaltigen Rezepturarzneimitteln gestellt; 32 Prozent auf die Erstattung von Cannabisblüten. „Wir sehen klare Vorteile bei der Verordnung von Dronabinol“, sagte Glaeske, „denn Tropfen oder Kapseln sind einfacher einzunehmen als Cannabisblüten, die verdampft und über eine Maske eingeatmet werden müssen.“ Zudem sei der Wirkstoffgehalt von Dronabinol nicht so starken Schwankungen unterworfen, wie der von Blüten.

Hinzu komme die Wirtschaftlichkeit: Mit Kosten zwischen 300 und 2.200 Euro im Monat sei die Therapie mit Cannabisblüten die teuerste; Dronabinol sei mit 70 bis 500 Euro monatlich deutlich günstiger. „Wir können die Ärzte hier nicht aus der Pflicht entlassen, wirtschaftlich zu verordnen“, erklärte Baas.

Keine Alternative zu bewährten Medikamenten

„Cannabinoide sind keine Alternative zu bewährten Medikamenten in der Schmerz­medizin“, erklärte aus der Versorgungspraxis Michael Schäfer, Leiter der Klinik für Anästhesiologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sie seien aber eine mögliche Indikation für einen individuellen Therapieversuch bei Therapieversagen nach medizinischem Standard. „Cannabis beziehungsweise alle Medikamente können bei Schmerzpatienten jedoch immer nur ein Teil einer multimodalen Therapie sein“, betonte er.

Schäfer berichtete auf Nachfrage von Journalisten, dass die Nachfrage nach Cannabis in seiner Klinik seit März vergangenen Jahres deutlich zugenommen habe. Das Gros der Patienten betreibe damit keinen Missbrauch, also gebe beispielsweise Krankheits­symptome vor, um die Droge Cannabis zu erhalten.

pb

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