Politik

Wissenschaftler plädieren für ärztlich assistierten Suizid

  • Montag, 22. Juni 2020
/dpa
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München – Mediziner und Juristen haben heute in München einen ausformulierten, ver­fassungskonformen Gesetzesvorschlag zur Neuregelung des assistierten Suizids vorge­legt. Explizit Ärzte, ­ aber auch Angehörige ­ sollen danach unter bestimmten Voraus­setzun­gen Sterbewilligen Assistenz beim Suizid leisten dürfen.

Kein Arzt soll jedoch zu einer Suizidhilfe verpflichtet werden können. Eine Rechtsverord­nung soll die Anforderungen an die fachliche Qualifikation der beteiligten Ärzte festle­gen, wobei dem Entwurf zufolge mindestens einer der beiden Ärzte über psychiatrische, psychotherapeutische oder psychosomatische Fachkenntnisse verfügen muss.

Ziel des Gesetzentwurfs mit dem Titel „Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben“ sei es, den vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Freiraum für selbstbe­stimm­tes Sterben abzusichern und zugleich den Lebensschutz zu stärken, betonten die Pallia­tivmediziner Gian Domenico Borasio und Ralf Jox von der Universität Lausanne, der Tü­bin­ger Medizinethiker Urban Wiesing sowie der aus Mannheim zugeschaltete Jurist Jo­chen Taupitz heute vor der Presse.

Internationale Daten zeigten, dass diese Ziele am besten durch klare gesetzliche Regeln erreicht würden, sagten sie. Gleichzeitig würde so eine Freigabe der Tötung auf Verlan­gen verhindert. Die vier Hochschullehrer hatten bereits 2014 einen ähnlichen Gesetzes­vorschlag vorgelegt, den sie jetzt überarbeiteten und der bald in Buchform in 2. Auflage erscheinen soll.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Hintergrund der Neuauflage ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Febru­ar. Dieses hatte klargestellt, dass sich aus der Würde des Menschen auch ein Recht erge­be, seinem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen und dafür die Hilfe anderer in An­spruch zu nehmen. Zugleich hatte das Gericht den Gesetzgeber ermutigt, dieses Recht in einer Regelung zu verankern, die der staatlichen Fürsorgepflicht für das Leben der Bürger ge­recht wird.

Um die Suizidhilfe zu regulieren, schreibe ihr erneuter Vorschlag Ärzten bewusst eine maßgebliche Rolle bei der Hilfe zur freiverantwortlichen Selbsttötung zu, betonten die vier Hochschullehrer. „Die Suizidhilfe ist eine komplexe ärztliche Leistung“, sagte Borasio, Inhaber des Lehrstuhls für Palliativmedizin der Universität Lausanne und Chefarzt der Ab­teilung Palliative Care am Universitätsspital Lausanne.

Meist seien die Betroffenen körperlich schwer erkrankt oder befänden sich am Lebens­en­de in ärztlicher Behandlung. Zudem seien die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für eine fürsorge- und lebensorientierte Beratung und die Durchführung dieser komple­xen Aufgabe ärztlicher Natur, betonte der Palliativmediziner.

Andere Berufsgruppen oder Laien verfügten nicht über die notwendigen fachlichen Kom­petenzen. Deshalb werde ihnen zum Schutz der Betroffenen die Durchführung der Suizid­hilfe strafrechtlich verwehrt. Angehörige oder Nahestehende, die in der Regel aus Mitge­fühl einer eng verbundenen Person Hilfe leisten, seien von der Strafbarkeit ausgenomm­en.

Anlehnung an Oregon

Der Gesetzesvorschlag lehnt sich an das Modell im US-Bundesstaat Oregon an, wo die Suizidbeihilfe seit 1997 gesetzlich geregelt ist. Zahlreiche wissenschaftliche Untersu­chun­gen hätten mittlerweile die Sorgen vor negativen Auswirkungen zerstreut, sagte Bo­rasio. Auch das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Ärzte habe keinen Schaden genommen.

Dem heute vorgestellten Gesetzesentwurf zufolge muss ein Arzt die Freiwilligkeit, Ernsthaf­tigkeit und Beständigkeit des Suizidwunsches prüfen und den Suizidwilligen umfassend und lebensorientiert aufklären. Außerdem muss eine zweite, unabhängige ärztliche Mei­nung hinzugezogen werden.

Werbung für Suizidhilfe und Sterbehilfevereine sollen verboten werden, um zu verhin­dern, dass die Suizidhilfe als kommerzialisierbare oder organisierte Dienstleistung darge­stellt wird. Insgesamt soll mit den Regelungen eine Kultur der Selbsttötung als reguläre oder gar erwartete Auswegstrategie verhindert werden, so die Autoren.

Die vorgeschlagene Neuregelung lasse ferner die Grenze zu der nach Paragraf 216 Straf­gesetzbuch (StGB) verbotenen Tötung auf Verlangen unberührt, betonte Taupitz, Ge­schäftsführender Direktor des Instituts für Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim und Vorsitzender der Zentralen Ethik­kom­mis­sion bei der Bundesärztekammer.

Tötung auf Verlangen soll weiterhin strafbar bleiben. „Voraussetzung für die rechtmäßige Hilfe zum Suizid ist nach unserem Gesetzesvorschlag, dass zwei unabhängige Ärzte die Einwilligungsfähigkeit des Sterbewilligen feststellen“, erklärte der Jurist dem Deutschen Ärzteblatt auf Nachfrage. „Beihilfe zum Suizid bei psychisch Kranken, die nicht einwilli­gungsfähig sind, ist deshalb ausgeschlossen.“

Auch bezogen auf gesunde Hochbetagte habe das Bundesverfassungsgericht ausdrück­lich festgestellt: „Das den innersten Bereich individueller Selbstbestimmung berührende Verfügungsrecht über das eigene Leben ist nicht auf schwere oder unheilbare Krankheits­zustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt.“ Damit habe auch ein gesunder Hochbetagter das verfassungsrechtlich verbürgte Recht, sich selbst zu töten und die von anderen freiwillig gewährte Hilfe in Anspruch zu nehmen, erläuterte Taupitz.

Der Jurist verwies auf weitere Anforderungen, die dem Entwurf zufolge für die Rechtmä­ßig­keit ärztlicher Suizidhilfe erfüllt sein müssen: So muss der Patient umfassend und le­bensorientiert über seinen Zustand, dessen Aussichten sowie über alternative – insbe­son­dere palliativmedizinische – Möglichkeiten aufgeklärt werden. Zudem soll eine Be­denkzeit von zehn Tagen bestehen, die es dem Betroffenen ermöglicht, sich weiter über alternative lebensbejahende Optionen zu informieren, sich mit nahestehenden Personen zu beraten und seinen Entschluss zu überdenken.

Eine Gefahr der Normalisierung der Suizidbeihilfe durch eine Zulassung des ärztlich as­sis­tierten Suizids sieht Taupitz nicht. „Die Beihilfe zum Suizid darf keine ärztliche Pflicht­aufgabe, kein Regelangebot werden“, stellte er gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt klar. „Jeder Arzt hat nach seinem Gewissen zu entscheiden, ob er Beihilfe zum Suizid leistet oder nicht.“ Erfahrungen aus dem Ausland zeigten, dass eine Regelung, wie die jetzt vor­geschlagene, die Suizidzahlen nicht erheblich ansteigen lasse.

„Viele Menschen fürchten ja nicht den Tod, sondern den Sterbeprozess und die Unfähig­keit, das Leben selbstbestimmt (weiter) zu führen. Viele wollen das tödlich wirkende Me­di­kament zwar zu Hause haben, nehmen es aber letztlich nicht ein“, so Taupitz. Zudem sehe der Gesetzesvorschlag vor, dass zwei unabhängige Ärzte den Suizidwilligen lebens­orientiert beraten und insbesondere über Handlungsalternativen aufklären müssen – ins­besondere auch über palliativmedizinische Maßnahmen. „Damit soll Suizidprävention erreicht werden.“

Auch die Vergütung soll dem Entwurf zu­folge staatlich festgelegt werden. „Damit soll ver­hindert werden, dass sich die Suizidhilfe zum gewinnorientierten Gewerbe unter dem Deckmantel des ärztlichen Berufs entwickelt.“

Akzeptanz unterschiedlicher Vorstellungen

Ethisch basiert der Gesetzesvorschlag auf dem Respekt vor den individuellen Überzeu­gun­gen des Betroffenen und der Akzeptanz unterschiedlicher ethischer Vorstellungen zum freiverantwortlichen Suizid. „Wir wollen ein Gesetz vorschlagen, dass verschiedene Vorstellungen von Menschen schützt“, sagte Wiesing, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen.

„Der Gesetzgeber darf dem Bürger die richtige Weise zu leben und zu sterben nicht vor­schreiben, aber er muss dafür Sorge tragen, dass niemand in seinen individuellen Ent­wür­fen von anderen bedrängt, manipuliert oder geschädigt wird.“

Nicht jeder Suizid(versuch) sei freiverantwortlich, erläuterte Wiesing. Er könne durch affektive Impulse, schwere seelische Störungen, Fehlinformationen, unzureichende me­dizinische Versorgung oder Druck von anderen ausgelöst werden. Für die Verhinderung dieser Formen des nicht-freiverantwortlichen Suizids bedürfe es ärztlicher Expertise. Es gelte, nicht-freiverantwortliche Suizide zu verhindern sowie der Fürsorge für das Leben Geltung zu verschaffen.

Die mit Abstand größte Gruppe der freiverantwortlichen Suizidwilligen befände sich in einem Zustand schwerer Krankheit, anhaltenden Leidens oder am Lebensende, ergänzte Jox, Professor für geriatrische Palliativmedizin und für Medizinethik der Universität Lausanne und Leiter der Einheit für Klinische Ethik am Universitätsspital Lausanne.

Palliative Care könne manche, aber nicht alle Suizidwünsche nachweislich reduzieren, sagte der Palliativmediziner. Deshalb müssten palliativmedizinische und hospizliche Angebote flächendeckend ausgebaut und angemessen finanziert werden.

„Das Bundes­verfassungsgericht hat Klarheit geschaffen und den Weg frei gemacht für eine humane gesetzliche Regelung. Der Deutsche Bundestag erhält nun eine zweite Chance auf ein kluges Gesetz – er sollte sie nutzen“, erklärte Jox.

ER

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