Wissenschaftler und Politiker in Großbritannien fordern Ausbau der Phagenforschung

London/Berlin – Das britische Science, Innovation and Technology Committee setzt sich in einem neuen Bericht dafür ein, die Potenziale von Phagen bei der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen stärker zu nutzen.
„Viren, die Bakterien fressen, können bakterielle Infektionen behandeln und die Resistenz gegen Antibiotika verringern, indem sie Barrieren – Biofilme – beseitigen, die sich entwickelt haben und die antimikrobielle Wirksamkeit verringern“, heißt es in dem Report.
Die Phagen könnten auf einzelne Bakterienarten abzielen, mit anderen Phagen und Antibiotika kombiniert und so speziell für einzelne Patienten angepasst werden. Phagen seien daher eine Form der personalisierten Medizin, so das Science, Innovation and Technology Committee.
Allerdings stehe die Phagentherapie vor großen Herausforderungen: Im Vereinigten Königreich würden Phagen nicht nach erforderlichen Standards hergestellt, was den klinischen Einsatz von im Vereinigten Königreich produzierten Phagen ausschließe.
„Die geringen Mengen an Phagen, die im Vereinigten Königreich verwendet werden, werden importiert und unterliegen starken Beschränkungen, da sie nicht zugelassen sind“, heißt es in dem Report. Deswegen sollten die Aufsichtsbehörden zügig festlegen, welche Standards für Phagen erforderlich seien, damit sie den Standards für klinische Studien und einem „Good Manufacturing Process“ entsprächen.
Die regulatorischen Hemmnisse haben bislang laut Komitee dafür gesorgt, dass Kapitalgeber nicht nennenswert in Infrastruktur zur Phagentherapie investiert haben. „Dies hat den Aufbau von Phagenbiobanken, eines systematischen Netzes von Phagenlabors zur Herstellung spezifischer Phagen-Formulierungen oder der Produktionskapazitäten zur Herstellung allgemeinerer Phagen für den Menschen verhindert“, heißt es in dem Report.
Wichtig sei weitere Forschung zu den Möglichkeiten von Bakteriophagen bei der Abwehr bakterieller Infektionen: „Eine solche Forschung könnte die Fähigkeiten der britischen Genomforschung und der künstlichen Intelligenz nutzen, um Phagen schnell auf Bakterien abzustimmen und eine Manipulation zur Steigerung der Wirksamkeit zu ermöglichen“, so die Autorinnen und Autoren des Reports.
Catherine Rees, Professorin für Mikrobiologie und stellvertretende Leiterin der Abteilung für Mikrobiologie, Brauereiwesen und Biotechnologie der Universität Nottingham, begrüßte den Report: „Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch antibiotikaresistente Bakterien besteht nun ein zunehmender Bedarf, andere Wege zur Behandlung von Infektionen zu finden und Phagen könnten genau die richtige Antwort sein“, sagte sie.
Von einer „echten Krise, da immer mehr Patienten an bakteriellen Infektionen sterben, die nicht behandelt werden können“, spricht Martha Clokie, Professorin für Mikrobiologie und Direktorin des Zentrums für Phagenforschung an der Universität von Leicester.
„Der Ausschuss hat unabhängig und systematisch alle Beweise für die Sicherheit und Wirksamkeit der Verwendung von Phagen als Arzneimittel untersucht und alle finanziellen und strukturellen Herausforderungen bei der Entwicklung neuer Arzneimittel bewertet. Sie kamen zu dem Schluss, dass das Vereinigte Königreich mehr in diesen Forschungsbereich investieren sollte, um Leben zu retten“, betonte sie.
Deutsche Einrichtung beim Bundestag legte bereits 2023 einen Bericht zum Potenzial von Phagen vor
Laut einem Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag (TAB) behindern derzeitige Richtlinien und Verordnungen auch in Deutschland Fortschritte bei der Nutzung von Phagen gegen bakterielle Infektionen.
„Wir müssen Zulassungsformen modernisieren und können hier viel von unseren europäischen Nachbarn wie Belgien oder auch Israel lernen“, sagte Julia Frunzke vom Institut für Bio- und Geowissenschaften, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ) dem Science Media Center im Juli 2023.
In der Europäischen Union und Deutschland könnten Phagen derzeit nur unter Ausnahmebedingungen und in Einzelfällen eingesetzt werden – beispielsweise als individueller Heilversuch, wenn herkömmliche Medikamente nicht mehr wirksam sind.
Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie an der Uniklinik Köln, empfiehlt daher, sich in der klinischen Forschung auf besondere Indikationen für diese Therapieform zu konzentrieren, zum Beispiel auf langwierige Wundinfektionen mit antibiotikaresistenten Erregern. Ein weiteres mögliches Gebiet könnte laut Fäktenheuer die Behandlung bei chronischen Lungenerkrankungen sein, etwa bei Mukoviszidose oder einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD).
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