Künstliche Intelligenz in der Medizin: Arztunterstützend, nicht arztersetzend

Berlin – Aktuelle Umfragen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen zeigen unterschiedliche Einschätzungen in Deutschland: So hatte die Management- und Technologieberatung BearingPoint in einer repräsentativen Onlinebefragung in der Bevölkerung noch gewisse Vorbehalte festgestellt.
Danach lehnen 63 Prozent der Befragten die alleinige Diagnose durch einen Computer ab. Wäre jedoch ein Arzt involviert, wäre KI in Zusammenarbeit mit einem Arzt für 61 Prozent akzeptabel. Nach einer ebenfalls repräsentativen Bevölkerungsumfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom hingegen meinen 57 Prozent der Befragten, dass im Gesundheitswesen mithilfe von KI bessere Diagnosen gestellt werden.
Diese Differenzierungen kamen auch in der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) veranstalteten „kontroversen Mittagspause“ zum Thema „Dr. Algorithmus: Arzt unseres Vertrauens?“ zur Sprache.
Inzwischen belegen viele Studien den großen Nutzen von intelligenten Systemen, die mit lernenden Softwarealgorithmen arbeiten, beispielsweise für bildgestützte Diagnoseverfahren.
So verwies der Moderator Philipp Grätzel auf eine prospektive Studie japanischer Gastroenterologen zur softwaregestützten Endoskopie. Mit dem KI-gestützten System, das auf Basis einer Datenbank mit mehr als 30.000 endozytoskopischen Bildern als Referenzdaten trainiert wurde, ließen sich erfolgreich Vorhersagen zur Bösartigkeit von Koloskopiebefunden in weniger als einer Sekunde machen, wobei jeweils rund 300 Eigenschaften des jeweiligen Polypen analysiert werden. In einer anderen Untersuchung haben britische Allgemeinmediziner vier Deep-Learning-Algorithmen auf eine elektronische Patientenakte angesetzt und dabei mit hoher Zuverlässigkeit kardiovaskuläre Risiken ermittelt.
Ein Beispiel für die großen Erwartungen, die mit der Entwicklung solcher Systeme verbunden sind, zeigt auch das Beispiel von „Ada Health“, eine Symptomchecker-App, für die kürzlich Investitionsmittel in Höhe von 40 Millionen Euro eingeworben worden sind. Die App ermöglicht es auf Basis von mit KI unterlegten Algorithmen herauszufinden, ob bestimmte Beschwerden Symptome für eine schwerwiegende Erkrankung sind oder nicht.
Aus Sicht des Mediziners und Informatikers Klaus Juffernbruch, Vorsitzender der Expertengruppe „Intelligente Gesundheitsnetze“ des Digitalgipfels der Bundesregierung, können KI-gestützte Systeme die drohende Versorgungslücke durch den Fachkräftemangel abmildern. Es seien inzwischen Algorithmen zugelassen worden, die bei Herzuntersuchungen mit bildgebenden Verfahren die Kammersegmentierung in 15 Sekunden machen könnten, für die der Kardiologe sonst 30 Minuten benötige.
Dadurch könne sich derselbe Radiologe um viel mehr Patienten kümmern. Auch bei der Befundung eines Röntgenthorax ließen sich in naher Zukunft bei gleicher Qualität Vorbefunde mittels KI erstellen, sodass der Radiologe in seiner Arbeit erheblich unterstützt werde.
Nicht nur die Arztperspektive, sondern auch die Patientenperspektive müsse zudem stärker als bisher berücksichtigt werden. Dies gelte beispielsweise für Patienten mit seltenen Erkrankungen, die jahrelang von Arzt zu Arzt wandern, bis endlich jemand die richtige Diagnose stelle. „Wenn jeder Arzt im Hintergrund ein KI-System hätte, das in der Lage wäre, die Symptome des Patienten auf Basis der neusten Forschungsergebnisse gegenzuchecken, könnten wir mit großer Sicherheit so manchem Betroffenen eine langwierige, frustrierende Patientenkarriere ersparen“, erklärte Juffernbruch.
Grundsätzlich sei zu fragen, welche medizinisch relevanten Daten in einen Algorithmus einfließen, um etwa Diagnosen zu stellen, gab KBV-Vorstandsmitglied Thomas Kriedel zu bedenken. Zu klären sei auch die Verantwortung, denn der Mediziner wisse wahrscheinlich nicht, was der Algorithmus genau mache. „Kann ich mich als Arzt darauf verlassen?“ Die Algorithmen könnten dem Patienten aber im Vorfeld helfen zu entscheiden, ob ein Arztbesuch erforderlich sei.
Unbestritten sei auch, dass Algorithmen den Arzt bei der Diagnose und der Therapie unterstützen können. „Wie weit das geht, wird kontrovers diskutiert. Wird das arztersetzend sein? Ich glaube, Stand heute, nein“, erklärte Kriedel. Die Endverantwortung müsse immer ein Arzt haben, nicht zuletzt mit Blick auf Haftungsfragen. Zudem sei das Arzt-Patient-Verhältnis ein Mensch-Mensch-Verhältnis. „Schaffen wir eine Plattformökonomie dazwischen, also Arzt – Plattform/Algorithmus – Patient?“ Aus Sicht von Kriedel ist dies keine Lösung.
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