IQWiG: Biomarker-Test bei Brustkrebs derzeit keine Entscheidungsgrundlage für Chemotherapie

Köln – Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sieht derzeit weder einen Nutzen noch einen Schaden für eine Patientin mit einem primären Mammakarzinom, wenn sie Biomarker-Tests zur Entscheidungsfindung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie heranzieht.
Gegenwärtig könne man jedoch einer Frau mit klinisch hohem und genetisch niedrigem Risiko nicht guten Gewissens von einer Chemotherapie abraten, heißt es in dem heute veröffentlichten Bericht des Instituts. Der tatsächliche „Mehrwert“ der Biomarker-Tests für die Patientinnen mit primärem Hormonrezeptor-positivem, HER2/neu-negativem Mammakarzinom und bis zu drei befallenen Lymphknoten kann nach Ansicht des IQWiG erst dann beurteilt werden, wenn weitere Ergebnisse der laufenden Studien vorliegen.
Den Auftrag, den Nutzen eines Einsatzes von Biomarkern für die Therapieentscheidung bei Brustkrebspatientinnen zu ermitteln, hatte der Gemeinsame Bundesausschuss dem IQWiG im April 2014 erteilt. Bereits vor einem Jahr hatte das Institut dann einen Vorbericht vorgelegt, aber auf noch ausstehende Ergebnisse weiterer relevanter Studien verwiesen, die jetzt in den Abschlussbericht einbezogen werden konnten. Dabei handelt es sich vor allem um die Studie MINDACT. In dieser randomisierten kontrollierten Studie wurde das Tumorgewebe von knapp 7.000 Frauen mit Mammakarzinom im Frühstadium nach der Tumoroperation zusätzlich zur klinischen Risikoeinschätzung auch mit einem Biomarker getestet, und zwar konkret mit MammaPrint. Bei diesem Test wird die Ablesestärke von 70 Genen ermittelt.
„Die neuen Studiendaten von MINDACT liefern wertvolle Hinweise auf die möglichen Konsequenzen eines Chemotherapieverzichts wegen eines Biomarker-Testergebnisses“, sagte Stefan Lange, stellvertretender Leiter des IQWiG. „Es ist aber schlicht eine Fehlinformation, dass man durch den Test guten Gewissens auf eine Chemotherapie verzichten kann.“
Die Studienautoren hätten ermittelt, dass mit Chemotherapie 95,9 Prozent der Frauen nach fünf Jahren fernmetastasenfrei waren und ohne Chemotherapie 94,4 Prozent: Ein statistisch nicht signifikanter Unterschied von etwa eineinhalb Prozent, der allerdings wegen der Unsicherheit aufgrund der beschränkten Teilnehmerzahl auch bis zu knapp vier Prozent betragen könnte.
„Wenn 1.000 Frauen aufgrund eines niedrigen Biomarker-Testergebnisses auf eine Chemotherapie verzichten, ist demnach mit etwa 32 zusätzlichen Rezidiven zu rechnen und mit elf zusätzlichen Todesfällen“, erläuterte Lange. „Nach Auffassung der Autoren sind die Unterschiede so klein, dass man den Frauen eine Chemotherapie ersparen kann. Aber das würde ich gerne mit den betroffenen Frauen und Fachleuten genauer diskutieren.“ Es sei fraglich, ob ein bis zwei Prozent mehr Todesfälle durch eine Wiederkehr und Ausbreitung der Krebserkrankung wegen eines Chemotherapieverzichts wirklich unbedeutend seien. „Wir halten 32 zusätzliche Rezidive für relevant und können daher einen zusätzlichen Nutzen des Biomarker-Tests nicht bestätigen“, betonte der stellvertretende Leiter des IQWiG.
Zudem sei für eine solche Aussage auch der Beobachtungszeitraum von fünf Jahren zu kurz: „Viele Fernmetastasen treten erst in den Folgejahren auf“, sagte Lange. Das IQWiG habe daher nur eine grobe Abschätzung der nach zehn Jahren zu erwartenden Ergebnisse vornehmen können. „Niemand weiß genau, ob die Unterschiede zwischen den Gruppen mit und ohne Chemotherapie in den nächsten Jahren wachsen oder schrumpfen oder aber in beiden Gruppen etwa gleich viele weitere Fernmetastasen auftauchen werden.“
Unklar seien zudem die potenziellen Nebenwirkungen und Spätfolgen einer Chemotherapie, erläuterte Daniel Fleer aus dem Ressort „Nichtmedikamentöse Verfahren", der den Biomarkerbericht im IQWiG betreut hat. Man lese immer wieder, dass schätzungsweise zwei bis drei Prozent der Chemotherapien zu schweren Schäden führen. „Das sind aber nur ‚Hausnummern‘, die oftmals ohne Belege einfach so in den Raum gestellt werden. Dank MINDACT wissen die betroffenen Frauen jetzt viel besser als vorher, wie groß die Risiken eines Verzichts auf die Chemotherapie sind“, sagte Fleer.
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