Politik

Gutachten stützen Verbot von „Konversions­therapien“

  • Dienstag, 11. Juni 2019
v.l.n.r.: Jens Spahn, Jörg Litwinschuh-Barthel, Martin Burgi /dpa
v.l.n.r.: Jens Spahn, Jörg Litwinschuh-Barthel, Martin Burgi /dpa

Berlin – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will sogenannte „Konversions­therapien“ für Homosexuelle in Deutschland verbieten. Zwei neue wissenschaftliche Gutachten und die Beratungsergebnisse einer Fachkommission stützen dieses Vor­ha­ben, für das Spahn noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein­brin­gen will, wie er heute auf einer Pressekonferenz in Berlin bekannt gab.

„Diese beiden Gutachten bestätigen mich in meiner Haltung, diese fälschlicherweise als Therapien bezeichneten Interventionen verbieten zu wollen“, sagte Spahn. „Sie nutzen den Betroffenen nicht nur nicht, sondern schaden ihnen sogar, außerdem ist ein entsprechendes Verbot verfassungsrechtlich möglich.“ Sogenannte „Konversions­the­rapien“, auch „Reparationstherapien“ genannt, zielen darauf ab, schwule und les­bische Menschen von ihrer Homosexualität zu „heilen“.

Peer Briken, Direktor des Instituts für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensi­sche Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg stellt in seinem Gutachten fest: „Die wissenschaftliche Literatur zeigt sehr klar, dass Homosexualität keine Krankheit ist, somit fehlt auch die Indikation für eine Behandlung.“

Darüber hinaus gebe es keine Evidenz, dass die sexuelle Orientierung von außen beeinflussbar oder eine bewusste Entscheidung sei. „Es gibt keine einzige Studie, die zeigen würde, dass sich durch sogenannte Konversionstherapien etwas an der sexuellen Orientierung ändern wür­de“, so der Psychiater.

Erhebliche negative Folgen

Auf der anderen Seite zeigt das Gutachten aber die Gefahr schädlicher Auswirkungen auf: Depressivität, Angst und Suizidalität können die Folge sein, wenn Menschen In­ter­ventionen ausgesetzt sind, die eine Veränderung der sexuellen Orientierung zum Ziel haben.

Briken betonte darüber hinaus die gesellschaftlichen Konsequenzen: Allein dass sol­che Verfahren angeboten würden (und erlaubt seien), vermittele das Bild, es handele sich bei Homosexualität um eine therapiebedürftige Krankheit.

„In der Gesellschaft fördert dies ein Klima der Diskriminierung“, stimmte Spahn zu und ergänzte: „Wir brauchen ein starkes Signal des Staates, um homosexuelle Menschen vor Pathologisierung, Diskriminierung und Stigmatisierung zu schützen.“

Dass ein Verbot sogenannter „Konversionstherapien“ nicht nur aus medizinischer Sicht geboten, sondern auch rechtlich möglich ist, zeigt das zweite heute in Berlin vorgestellte Gutachten. Martin Burgi, der an der LMU München den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht leitet, berichtet, dass Verbots­regelungen verfassungsrechtlich möglich sind. Dies gelte teilweise auch für eine Verankerung des Verbots im Strafrecht.

Gesetzliche Verbote müssten dabei unterscheiden, an wen sich das Verbot jeweils richte und wen es schützen solle, sagte er. „Ob es als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat angesehen wird, sollte auch davon abhängen, ob es sich um professionelle Anbieter solcher Verfahren handelt und ob die Betroffenen zum Beispiel noch minder­jährig sind“, so Burgi.

Keine verlässlichen Zahlen

„Die heute vorgestellten Gutachten zeigen eindrucksvoll, dass sogenannte ,Konversi­ons­therapien' verboten gehören“, resümierte Jörg Litwinschuh-Barthel. Der geschäfts­führende Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die die von Spahn im April einberufene Expertenkommission fachlich begleitet, wies darauf hin, dass das Aus­maß von Konversionsversuchen in Deutschland viel größer sei als angenommen.

„Eltern versuchen mit der Hilfe von Büchern und Informationen aus dem Internet ihre Kinder von der Homosexualität wegzubekommen, in klassischen Psychotherapien lösen sich die Therapeuten plötzlich von den Leitlinien und doktern mit dem therapie­ziel einer Veränderung der Homosexualität eigenmächtig an den Menschen herum. Im Umfeld fundamental religiöser Gruppen werden Homosexuelle gedrängt, sich von ihrer Homosexualität zu lösen, das reicht vom Gebet bis zum Exorzismus“, berichtete Litwinschuh-Barthel.

Die Fachkommission, die in zwei ganztägigen Workshops medizinische, juristische, gesellschaftspolitische sowie religiös-weltanschauliche Aspekte eines Verbots erörter­tete, bestand aus 46 Vertretern aus Politik, Medizin und Wissenschaft – eingeladen wa­ren auch die Deutsche Bischofskonferenz und der Zentralrat der Muslime. Außer­dem nahmen Betroffene von sogenannten „Konversionstherapien“ teil, die ihre Lei­dens­­geschichten beschrieben und die negativen Folgen solcher Angebote deutlich machten.

Verlässliche Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland, Konversionsversuchen aus­gesetzt sind beziehungsweise waren, gibt es Litwinschuh-Barthel zufolge nicht, insbe­son­dere aufgrund der Vielfalt der Interventionsmethoden. Seiner Schätzung nach be­wege sich die Fallzahl aber um die 1.000 Menschen pro Jahr.

Überprüfung des Verbots schwierig

Auf die Frage, wie das Verbot von Konversionsverfahren denn in der „Dunkelkammer der Psychotherapie“ umgesetzt beziehungsweisedurchgesetzt werden solle, räumte Spahn ein: „Das eine ist, ein Verbot zu propagieren und zu formulieren, das andere, es umzusetzen. Wir können schließlich nicht jedes psychotherapeutische Gespräch mithören.“

Wie ein entsprechendes Gesetz durchgesetzt werden könne, sei unter anderem ein Aspekt der Beratungen der von ihm einberufenen Fachkommission gewesen, sagte der Minister, ohne jedoch detaillierte Maßnahmen zu nennen. Spahn betonte außer­dem das gesellschaftspolitische Signal, das ein Verbot sende. „Wenn man weiß, dass etwas verboten ist, führt dies bereits zu einem ganz anderen Herangehen.“

Und Litwinschuh-Barthel ergänzte, dass man junge Erwachsenen stärken müsse. Diese müssten wissen, dass sie „nein sagen können“ –, aber auch, dass dringend eine Meldestelle notwendig sei, um klare Zahlen über die tatsächliche Häufigkeit von Konversionsversuchen zu erhalten.

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