Schlagabtausch zwischen Minister und Krankenkassen

Berlin – Verbaler Schlagabtausch zwischen GKV-Spitzenverband und Bundesgesundheitsminister beim Sommerfest des Krankenkassenverbands: Dabei griff die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für seine Politik frontal an.
„Ich werde nicht müde, Sie an den Koalitionsvertrag zu erinnern. Die Gemengelage ist schwierig, aber ich hätte mir von Ihnen mehr Engagement für die Versicherten gewünscht“, sagte Pfeiffer in Richtung Lauterbach mit Blick auf die vielen Gesetze, die vor allem aus den Beiträgen der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gezahlt werden sollen.
Besonderer Dorn im Auge ist Pfeiffer dabei der Transformationsfonds des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG), der zur Hälfte in Höhe von 25 Milliarden Euro von der GKV bezahlt werden soll. „Ja, die Transformation kostet etwas, die im Dienst aller Bürger steht, und nein, das darf nicht zur Hälfte den Beitragszahlern aufgebürdet werden“, so Pfeiffer weiter.
Das KHVVG habe ein paar erfreuliche Ansätze gehabt, aber werde seit einem Jahr in der Diskussion zerrieben. „Stand heute ist es ein Entwurf mit teuren Maßnahmen.“ Gleiches gelte auch für das GVSG, mit dem „keine nennenswerte bessere Versorgung“ komme, sondern nur „Hausärzte in städtischen Räumen gefördert werden“.
Auch das Prinzip der Ökonomie müsse aus ihrer Sicht im Gesundheitswesen gewahrt bleiben. „Sie sprechen von der Entökonomisierung des Gesundheitssystems. Dabei brauchen wir mehr ökonomische Orientierung, die Effizienzen im System ermöglichen“, sagte Pfeiffer. Daher gehe es „bei allen Gesetzen in die falsche Richtung“.
Auch am gerade vorgelegten Referentenentwurf für das „Gesunde-Herz-Gesetz“ ließ sie kein gutes Haar. „Präventiv war gestern, heute geht es zum Arzt“, so beschrieb Pfeiffer die Intention. Die Budgets für Prävention seien von der Politik gewollt knapp. „Nun wird die Prävention auch noch diskretisiert.“ Alle Präventionskurse der Krankenkassen seien zertifiziert, es gebe verbindliche Maßnahmen und keine Marketingeffekte, betonte Pfeiffer.
Deutliche Kritik auch an dem Vorhaben der Bundesregierung, wesentliche Kompetenzen bei der Arzneimittelzulassung, Prävention und Ausgestaltung von Anamnesebögen im Rahmen des Herz-Gesetzes weg von der Selbstverwaltung hin zur Bundespolitik zu geben.
„Es ist ein Rückschritt in der Evidenz, wenn diese Kompetenzen nicht mehr beim Gemeinsamen Bundesausschuss liegen“, so Pfeiffer. Das Vorhaben sei nun eine Fortsetzung der langen Reihe an Gesetzen, die das selbstverwaltete Gesundheitssystem aushöhle.
„Und da bin ich persönlich von ihnen enttäuscht, dass sie das Prinzip der Evidenz nicht berücksichtigen. Sie beschädigen die Grundsätze der Selbstverwaltung. Bei Ihren Amtsvorgängern hätte ich das nicht überraschend gefunden, bei Ihnen hätte ich das aber nicht erwartet“, schloss sie ihre Rede unter Applaus der anwesenden der Selbstverwaltung.
Diese stärkten ihr am folgenden Tag in der Sitzung des GKV-Verwaltungsrates noch einmal den Rücken und lobten Pfeiffer für diese klare Rede gegen den Gesundheitsminister.
Lauterbach wehrt sich
Lauterbach ließ die scharfe Kritik an seinem Regierungshandeln nicht auf sich sitzen. „Ich finde es gut, wenn man sich offen und klar austauscht, man darf nicht drumherum reden“, sagte er gleich zu Beginn seiner 15-minütigen Replik.
„Ich stehe klar hinter der Selbstverwaltung, selbst wenn wir hier oder da etwas anderes machen. Das selbstverwaltete System ist das beste System in Europa, und so soll es auch bleiben“, betonte der Minister. Aber man müsse betrachten, wo das Land nun stehe. „Man könnte den Eindruck gewinnen, die Selbstverwaltung hat es gut gemacht, die Gremien funktionieren“, so Lauterbach.
Der Schluss, mit etwas weiterem Steuergeld würde die Einnahmeseite verbessert und man hätte dann Zeit für große Reformen, sei ein Trugschluss. „Aber die Wahrheit ist: Wir haben keine Einnahmenprobleme, wir haben erhebliche Qualitätsprobleme und Effizienzprobleme. Die sind nur lösbar, wenn wir stärker die medizinischen Probleme in den Vordergrund stellen und nicht glauben, die Ökonomie könne das lösen.“
Daher sei seine Losung: „Wir machen sehr grundsätzliche Reformen, die nicht mehr nach der deutschen Lösung gehen, einfach mehr Steuergeld ins System zu geben und danach bleibt alles so wie es war“, so Lauterbach weiter. Dies halte er für falsch.
Daher müsse man bei der Prävention beginnen: „Natürlich ist es simpel und plausibel, wenn man sagt, die jungen Leute sollen mehr Sport machen, dann brauchen sie noch keine Statine“, so Lauterbach zu seinen Plänen, die Verschreibung von Statinen auch bei Kindern und Jugendlichen zu vereinfachen.
„Aber es gibt die Kinder, die eine angeborene Fettstoffwechselstörung haben, die können so viel Sport machen, wie sie wollen, mit 25 sind ihre Gefäße genauso gut, wie bei 80-Jährigen.“ Für die müsse es Lösungen geben. „Wenn wir die Prävention ernst nehmen, dann können wir die Prävention durch Medikamente nicht durch Prävention durch Lebensstil ausspielen.“
Insgesamt stelle sich die Frage, warum es in Deutschland so viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen gebe. „Ich kann immer wieder nur sagen ‚speist gesünder, werdet vegan, mehr Sport im Unterricht‘. Wenn ich das aber ernsthaft machen will, muss ich die Blutdruckwerte und Fettstoffwechselstörungen konsequent angehen“, so Lauterbach weiter. Dies sei nicht nur „Ministermeinung oder ein Verrat an der evidenzbasierten Medizin“, dies entspreche auch Empfehlungen von Leitlinien.
Es sei sehr häufig, dass die evidenzbasierte Medizin durch die Selbstverwaltung umgesetzt wurde. „Aber es ist nicht richtig zu sagen, es gibt nur evidenzbasierte Medizin, wenn die Selbstverwaltung teilgenommen hat“, so Lauterbach weiter mit dem Verweis auf die Fragen, wie sehr die Selbstverwaltung am Gesetz noch beteiligt ist. „Wir sollten nicht so weit gehen. Wenn wir in diesem Ausnahmefall die Evidenz direkt aus der Wissenschaft nehmen, dann machen wir das, um Zeit zu gewinnen, denn ich will bei den jungen Menschen nicht weitere Zeit verlieren.“
Zur Krankenhausreform verteidigte er die Finanzierung des Transformationsfonds: „Natürlich wäre es mir lieber, wir hätten 25 Milliarden Steuermittel dafür. Die Wahrheit ist die, dass wir derzeit die Steuermittel nicht haben.“ Bei der Verhandlung des Koalitionsvertrages – „an den Sie mich immer wieder erinnern“, habe es den Krieg in der Ukraine nicht gegeben. „Wenn ich die Reform jetzt verschiebe, bis wieder Geld da ist, dann machen wir das, was wir immer gemacht haben: Wir machen das deutsche System, wir geben immer mehr Geld ins System, aber strukturell ändert sich wenig.“ Das wolle Lauterbach nicht.
Für das Medizinforschungsgesetz (MFG), das nach Informationen des Deutschen Ärzteblattes in der parlamentarischen Beratung abgeschlossen und kommende Woche im Parlament abgestimmt werden soll, deutete Lauterbach einige Änderungen an.
„Die Unternehmen, die hier forschen, sollen bei der AMNOG-Bepreisung dafür einen Vorteil haben. Ich kann da ihren Aufschrei schon sehen, wie man das miteinander verbinden könne. Aber das ist aus meiner Sicht eine Win-Win-Situation. Wir setzen dafür Anreize, dass nennenswerte klinische Forschung wieder stattfindet.“ Aus seiner Sicht sei Deutschland als Studienstandort deutlich zurückgefallen. Dies sei auch kein gutes Zeichen für den europäischen Standort.
Insgesamt resümierte er, die Bundesregierung mache Reformen für die Patienten. „Der Bundesfinanzminister hat ein Interesse daran, dass die Kosten nicht so hoch sind, ich habe ein Interesse daran, dass die Versorgung besser wird.“ Dazu gehöre auch, dass die hohe Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte – Lauterbach geht inzwischen von einer Milliarde Arztkontakte pro Jahr aus – deutlich reduziert werden müsse.
Gleichzeitig gebe es lange Wartezeiten bei Fachärzten und in der Psychotherapie: „Das ist ein Thema, da ist die Selbstverwaltung ohne die Hilfe des Ministers nicht weitergekommen.“ Als erster Schritt werden die Quartalspauschale bei Hausärzten abgeschafft, digitale Möglichkeiten sollen im Praxisalltag helfen, Vorschläge für Facharztpraxen wolle Lauterbach prüfen.
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