Ärzteschaft

Gesundes-Herz-Gesetz: Weiterhin Kritik aus Fachkreisen

  • Freitag, 5. Juli 2024
/natali_mis, stock.adobe.com
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Berlin – Das Gesunde-Herz-Gesetz erfährt weiterhin Kritik aus Fachkreisen. Der geplante breitere Einsatz von Statinen in der Bevölkerung, die Ausweitung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ohne eine transparente Bewertung von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit sowie medizinische Beratungsan­gebote in Apotheken stehen dabei vor allem im Fokus der Kritiker.

Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), hält es für absurd, mit der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD angeführten Begründung breiten Bevölkerungsschichten, darunter auch Kindern, Statine zu verabreichen.

„Das sind Medikamente mit erheblichem Nebenwirkungspotenzial“, sagte Hofmeister kürzlich in einem Inter­view. Dafür gebe es keine Evidenz. Es sei im Grunde eine Bankrotterklärung, den Menschen Statine zu geben.

Die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen sei wichtig, sie sollte Hofmeister zufolge jedoch eher durch eine veränderte Lebensführung, Sport, Bewegung oder eine andere Ernährung erfolgen. Die vorgesehenen Änderungen in den Disease-Management-Programmen erachtet er hingegen als „gut und notwendig“.

Für problematisch hält Hofmeister die Entscheidung über die Versorgung „durch Verordnung aus dem Minis­terium“. Es sei vielmehr Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), über geeignete Therapien, Untersuchungsmethoden und Medikamente für die Bevölkerung zu entscheiden. „Das ist in der Wissenschaft und der Medizin immer ein Ringen um Notwendigkeit, um Wirtschaftlichkeit, um Angemessenheit, auch um Nebenwirkungen“, sagte er.

Darüber hinaus kritisierte Hofmeister auch die angekündigten Beratungsangebote in den Apotheken. Diese stellten eine „Grenzverletzung“ dar. Gegen gelegentliche Cholesterin-, Zucker- oder Blutdruckmessungen sei nichts einzuwenden, betonte er. „Wenn es aber darum geht, medizinische Beratung anzubieten, dann ist das Heilkunde und die Heilkunde ist Ärztinnen und Ärzten vorbehalten“, sagte er.

Kritisch betrachtet der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV auch die Werbung für Präventionspro­gramme. In Apotheken dürfe dafür geworben werden, Ärzte dürften dies hingegen nicht. „Auch das ist eine Unwucht, die wir so auf keinen Fall akzeptieren können“, betonte er.

Intransparente Bewertung

Auch das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM) hält die geplante Ausweitung von Leistungen der GKV ohne eine vorherige systematische und transparente Bewertung von Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit für problematisch.

Die Regelungen zum Einsatz von Screeninginstrumenten, zur präventiven Verordnung von Statinen sowie zur medizinischen Beratung in Apotheken seien nicht auf Grundlage einer systematischen, öffentlich zugängli­chen Bewertung von Nutzen, Schadensrisiken und gesundheitsökonomischen Effekten erstellt worden.

Mögliche Interessenskonflikte seien darüber hinaus nicht dokumentiert und berücksichtigt worden. „Damit bahnen die Regelungen der – dringend zu reduzierenden – Fehl- und Überversorgung neue Wege und bergen erhebliche monetäre Fehlanreize“, heißt es in einem Statement der EbM.

Entgegen der ethischen und rechtlichen Ansprüche auf eine wohlinformierte Entscheidung würden die Rege­lungen zudem evidenzbasierte Entscheidungen der Bürger verhindern und deren Gesundheitskompetenz schwächen. Entscheidungen für Check-Ups sollten dem EbM zufolge mit den Bürgern auf Basis evidenzba­sierter Leitlinien, evidenzbasierter Patienteninformationen und Entscheidungshilfen gemeinsam getroffen werden.

Das EbM kritisiert weiterhin, dass sich die geplanten präventiven Maßnahmen nur an der individuellen Ver­haltensprävention orientieren würden und strukturelle, sozioökonomische und sozialraumabhängige Faktoren als möglicher Einfluss auf die kardiovaskuläre Gesundheit nicht berücksichtigt werden.

Problematisch findet das EbM auch die Ausweitung der Aufgaben in den Apotheken über den ursprünglichen Versorgungsauftrag hinaus. „Die Feststellung von kardiovaskulären Gesundheitsrisiken und eine präventive Beratung hierzu setzt Kompetenzen für eine evidenzbasierte, personenzentrierte Information und Beratung voraus“, heißt es in dem Statement. Hierfür seien vorab die notwendigen strukturellen Voraussetzungen zu schaffen.

Eingriff in die Kompetenzen der Selbstverwaltung

Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, machte ebenfalls deutlich, dass Prävention und Therapie auf wissenschaftlicher Evidenz basieren muss und nicht auf den Vorgaben von Politik und Behörden.

Mit dem Weg über eine Rechtsverordnung würde der Gesetzgeber von dem bewährten Grundsatz abrücken, dass die Politik einen rechtlichen Rahmen vorgibt, den die Selbstverwaltung evidenzbasiert ausgestaltet, sagte er. Dieser Eingriff in die Kompetenzen der Selbstverwaltung führe „nicht zu einer besseren Versorgung, sondern gefährdet die Qualität und Akzeptanz von Vorsorgeuntersuchungen und führt zu ordnungspoliti­schem Chaos“.

Den breiten Einsatz von Statinen hält Reinhardt ebenfalls für problematisch. „Hier greift der Bund in die etab­lierten und gesetzlich geregelten Verfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses ein, der auf Grundlage evi­denzbasierter Daten und Studien bewertet, wann ein Leistungsanspruch auf eine medikamentöse Therapie gegeben ist und wann nicht“, monierte er.

Zudem komme in dem Entwurf zu kurz, verhaltenspräventive Maßnahmen zur Verbesserung der Herzgesund­heit und zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu fördern. Dazu gehörten beispielsweise Informa­tionen und Anreize für mehr Bewegung und eine gesunde Ernährung im Zusammenspiel mit einer koordinier­ten Versorgung durch Haus- und Fachärzte.

Nicht sinnvoll sind aus Sicht des BÄK-Präsidenten auch die Präventionsgutscheine und Beratungsgespräche in Apotheken. Hierbei handele es sich lediglich um teure Parallelangebote, die den Arztbesuch und die ärztliche Präventionsberatung niemals ersetzen können. „Eine ärztliche Vorsorgeuntersuchung ist weit mehr als ein Laborbefund oder ein Blutdruckwert“, so Reinhardt.

Von der Anamnese über Diagnostik und Differenzialdiagnostik bis zur Therapie hätten Ärzte immer einen ganzheitlichen Blick auf einen Menschen. Apotheken seien von großer Bedeutung für die qualifizierte Versorgung mit Arzneimitteln. Sie seien aber keine Arztpraxen-to-go. „Das muss die Politik im Interesse der Patientinnen und Patienten endlich anerkennen.“

Das Gesunde-Herz-Gesetz soll die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Bevölkerung stärken und die Zahl kardiovaskulärer Erkrankungen senken. Geplant sind unter anderem Vorsorgeuntersuchungen für Kin­der und Jugendliche sowie Check-Ups bei Erwachsenen im Alter von 25, 35 und 50 Jahren.

Den Einladungen zu den Check-Ups sollen Gutscheine beigelegt werden, mit denen auch in Apotheken Bera­tungen und Blutdruckmessungen sowie Messungen von Risikofaktoren bei Diabetes vorgenommen werden können.

Die Verschreibung von Statinen soll deutlich ausgebaut werden. Inhalt des Gesetzes ist außerdem eine Aus­weitung der medikamentösen Therapie bei der Rauchentwöhnung: So soll der Anspruch der Versicherten künftig nicht mehr nur bei „schwerer Tabakabhängigkeit“ sondern auch häufiger als alle drei Jahre finanziert werden.

nfs/may/bee/mim

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