Gewalt in der Pflege darf nicht ignoriert werden

München – Gewalt in der Pflege ist nach Einschätzung von Experten ein bislang stark unterschätztes Problem. „Sowohl Pflegende als auch Pflegebedürftige können gewaltsam handeln. Vielfach geschieht dies ohne Vorsatz“, heißt es in einer heute in Berlin veröffentlichten Befragung des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP). „Gewaltprävention ist Grundvoraussetzung für gute Pflege. Umso schwerwiegender, dass dies aktuell bei der Bewertung und Darstellung von Pflegequalität kaum beachtet wird“, sagte der ZQP-Vorstandsvorsitzende Ralf Suhr.
Er wies darauf hin, dass das ZQP mit der Befragung in Kauf genommen habe, dass die Untersuchung das Problem „sehr wahrscheinlich unterschätzt“. Die Ergebnisse verdeutlichten deswegen aber umso mehr, dass Gewalt in der Pflege nicht ignoriert werden dürfe. „Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens, nicht der Skandalisierung. Wer Gewaltprävention ernst nimmt, muss auf die Entstehungsbedingungen wie Überforderung oder Wissensdefizite aktiv Einfluss nehmen“, mahnte Suhr.
Er appellierte zugleich an die Politik, das Thema Gewaltvorbeugung zu einem „zentralen Punkt der pflegepolitischen Agenda nach der Bundestagswahl“ zu machen. Maßnahmen zur Prävention müssten auch bei der Reform des Pflege-TÜV berücksichtigt werden.
Oft verbale Übergriffe
Eine Befragung des ZQP unter 250 Pflegedienstleistern und Qualitätsbeauftragten in Pflegeheimen ergab, dass sich Gewalt professioneller Pflegekräfte gegen Pflegebedürftige am häufigsten in verbalen Übergriffen (oft: zwei Prozent, gelegentlich: 23 Prozent, selten: 55 Prozent) und Vernachlässigung (oft: zwei Prozent, gelegentlich: 17 Prozent, selten: 39 Prozent) zeigt. Auch körperliche Gewalt (oft: ein Prozent, gelegentlich: sieben Prozent, selten: 38 Prozent) und freiheitsentziehende Maßnahmen gegen den Willen des Pflegebedürftigen (oft: vier Prozent, gelegentlich: fünf Prozent, selten: 25 Prozent) wurden registriert.
Die Untersuchung zeigt laut ZQP zugleich Mängel in zahlreichen Pflegeheimen bei der Gewaltprävention. 46 Prozent der Befragten gaben an, dass es in ihren Heimen kein speziell zur Vorbeugung und für den Umgang mit Aggression und Gewalt geschultes Personal gibt. 28 Prozent berichteten, dass Gewaltvorkommnisse nicht in einem Fehlerberichtssystem angegeben werden könnten. In 20 Prozent der Einrichtungen ist das Thema nicht ausdrücklich Bestandteil des Qualitätsmanagements.
Für ganz besonders wichtig für bei erfolgreiche Gewaltprävention halten die verantwortlichen Pflegekräfte vor allem eine Fehlerkultur in der Einrichtung (74 Prozent), den Einsatz von mehr Pflegepersonal (50 Prozent) aber auch eine bessere fachliche Ausbildung der Pflegekräfte zu den Themen Konflikte, Aggression und Gewalt sowie spezifische Unterstützungsprogramme (je 44 Prozent).
Strategien gefordert
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) forderte unterdessen, dass in Deutschland Stragegien zum Schutz der Betroffenen eingeführt werden müssen. „Es gibt in Deutschland bisher keine verbindlichen Handlungsleitlinien zur Prävention von Gewalt gegen ältere Menschen“, sagte Monika Kaus, 1. Vorsitzende der DAlzG. Sie kritisierte fehlende Zuständigkeiten und verbindliche Ansprechpartner für Hausärzte, Pflegedienste und Privatpersonen, die Anzeichen von Gewalt gegen pflegebedürftige Menschen beobachteten.
Die Grünen-Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik, Elisabeth Scharfenberg, nannte jegliche Form von Gewalt „inakzeptabel“. Die Ursachen müssten identifiziert, benannt und bekämpft werden, sagte sie. Das gelte insbesondere in der Altenpflege, sowohl zu Hause als auch in stationären Einrichtungen. Ihrer Meinung nach müssen Pflegekräfte besser zum Thema Gewalt aus- und fortgebildet werden. „Es muss konkrete Angebote zur Gewaltprävention geben. Pflegeeinrichtungen müssen offen mit diesem Thema umgehen und es in ihr internes Qualitätsmanagement aufnehmen“, mahnte sie. Das Thema müsse auf die politische Agenda gesetzt werden.
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