Politik

Bundesgerichtshof skeptisch zu Schadenersatz bei künstlicher Ernährung

  • Dienstag, 12. März 2019
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Karlsruhe/München – Die Klage gegen einen Arzt, der einen Demenzkranken möglicher­weise zu lange am Leben erhalten hat, stößt beim Bundesgerichtshof (BGH) auf grund­sätzli­che Bedenken. Die Bundesrichter in Karlsruhe ließen heute  in der mündlichen Verhand­lung (Az.: VI ZR 13/18) durchblicken, dass sie zumindest Zweifel daran haben, ob dem Sohn Schmerzens­geld und Schadenersatz zustehen. Zugleich hob die Vorsitzende Rich­terin Vera von Pentz aber auch hervor, die Ausführungen des Senats seien nicht so zu verstehen, „dass der Fall so entschieden ist“.

Im vorliegenden Fall fordert der Sohn vom behandelnden Hausarzt insgesamt mehr als 150.000 Euro. Der Vater, der sich zum Schluss weder bewegen noch mitteilen konnte, war 2011 mit 82 Jahren gestorben. In den letzten Lebensjahren wurde er per Magensonde ernährt. Der Sohn ist der Ansicht, dass damit das Leiden seines Vaters unnötig in die Länge gezogen wurde.

Wie viel Behandlung dieser selbst gewünscht hätte, weiß nie­mand. Eine Patientenver­fü­gung hatte der alte Mann nicht verfasst, auch sein mutmaßlicher Wille mit Blick auf lebens­erhaltende Maßnahme ließ sich nicht feststellen. Sein Sohn ist dennoch der Ansicht, dass der Arzt das Ziel der Therapie hätte ändern müssen – nämlich dahin­gehend, das Sterben seines Vaters durch ein Ende der lebensverlängernden Maßnahmen zuzulassen. Weil er dies nicht tat, verklagte er den Hausarzt auf Schmerzensgeld und Schadenersatz.

Unterschiedliche Urteile in den Instanzen

Das Landgericht München I wies seine Klage im Januar 2017 noch ab. Doch im Berufungs­verfahren sprach ihm das Oberlandesgericht (OLG) München im Dezember 2017 Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro zu, weil der Arzt seine Aufklärungspflicht verletzt habe. Schadenersatzansprüche lehnte das Gericht dagegen ab. Gegen das Urteil legten beide Seiten Revision vor dem BGH ein.

Der BGH scheint mit dem Urteil des OLG München allerdings Probleme zu haben. Die Vor­sitzende sagte, nur jeder Einzelne für sich könne entscheiden, wann er nicht mehr weiter­leben wolle. Sie wies auch darauf hin, dass der Sohn zu Lebzeiten des Vaters die Möglich­keit gehabt hätte, beim Betreuungsgericht eine Prüfung des Falls zu beantragen.

Der Fall bewege sich in einem „sehr sensiblen Bereich“, sagte die Senatsvorsitzende in der mündlichen Verhandlung. Der Mensch habe zwar das Recht, über den Abbruch lebens­erhaltender Maßnahmen zu entscheiden. Die Frage sei aber nun, „ob im Weiterleben ein Schaden gesehen werden kann“.

Der Anwalt des Arztes vor dem BGH, Siegfried Mennemeyer, hob hervor, Menschen könnten zwar frei entscheiden, ob sie leben wollten oder nicht. Wenn ein Patient diesen freien Willen nicht mehr habe, liege die Aufgabe beim Betreuer. „Der Arzt kann diese Entscheidung nicht treffen“, sagte Mennemeyer am Rande des Verfahrens.­

Medizin nicht wertfrei

Der Medizinrechtsexperte und Anwalt des Klägers, Wolfgang Putz, forderte dagegen nach der Verhandlung, Ärzte sollten in solchen Fällen von sich aus an die Betreuer der Patienten herantreten und ihnen sagen, dass sich das Therapieziel ändern müsse. „Wir können nicht so tun, als wenn Medizin wertfrei sei“, sagte Putz. Irgendwann müsse überlegt werden, ob es vertretbar sei, „entsetzliche Zustände zu verlängern“.

Für die Deutsche Stiftung Patientenschutz ist klar: Hätte der Patient eine Patienten­ver­fügung gehabt, wäre der Prozess überflüssig. „Denn in der Patientenverfügung können präzise Behandlungsanweisungen für konkrete Krankheitssituationen gegeben werden“, sagte Vorstand Eugen Brysch.

Zehn Jahre sind es her, seit Patientenverfügungen in Deutschland rechtlich geregelt sind. Im Juni 2009 beschloss der Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Sechs Jahre lang hatten Politiker, Juristen, Mediziner und Kirchen gerungen: Wann muss man bei schwerst­kranken Patienten eine Therapie beenden, die das Sterben nur verzögert? Wer ent­scheidet, wenn ein Patient nicht mehr selbst bestimmen kann?

Gefunden wurde eine Regelung, die sich nach Meinung der Bundesärztekammer (BÄK) bewährt hat. Seitdem haben Kirchen, Ministerien, Juristen und Verbraucherschutz­organisationen Formulare und Ratgeber für Patientenverfügungen veröffentlicht. Auch viele Krankenhäuser und Palliativstationen haben reagiert: Patienten werden schon bei der Aufnahme gefragt, ob sie eine Patientenverfügung abgefasst haben.

Allerdings hat sich die Rechtsprechung immer wieder verändert: Allein in den vergan­genen zwei Jahren veröffentlichte der Bundesgerichtshof drei Entscheidungen dazu. Erst Mitte Dezember bestätigte er die starke Bindungswirkung der Verfügung. Wenn ein Betroffener seinen Willen präzise formuliert hat und die konkrete Situation in der Patientenverfügung beschrieben ist, müssten Gerichte auch den Abbruch lebenserhalten­der Maßnahmen nicht mehr zusätzlich genehmigen, betonten die Karlsruher Richter.

Konkret hat der Bundestag festgelegt, dass Patientenverfügungen für Ärzte und Angehö­rige zu jedem Zeitpunkt verbindlich sind, also unabhängig vom Krankheitsstadium. Immer wieder bestehen allerdings im Einzelfall Zweifel an der Gültigkeit der Verfügungen. Exper­ten räumen ein, dass kaum eine Patientenverfügung genau auf den jeweiligen Krankheitsfall passt. Es sei zudem fast unmöglich, zu gesunden Zeiten wirklich einzu­schätzen, ob man bei schwerer Krankheit noch künstlich ernährt werden will.

Experten raten zur Vorsorge

Um so dringender raten Experten, zusätzlich zur Patientenverfügung eine Vorsorgevoll­macht und eine Betreuungsverfügung zu erstellen und eine Vertrauensperson als Betreuer zu benennen. Sie kann sich im Fall schwerster Erkrankung dafür einsetzen, dass die Verfügung angemessen und im Interesse des Patienten durchgesetzt wird.

Als zusätzliches Instrument empfiehlt BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery eine intensivere und wiederholte Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten. Gerade in ernsten Erkrankungsfällen könne es sinnvoll sein, wenn Ärzte gegenüber ihren Patienten die Möglichkeiten vorsorglicher Willensbekundungen ansprechen. Von der BÄK hieß es heute weiter, dass zunächst das Urteil abzuwarten sei, bevor man sich konkret äußern könne.

Man weise aber grundsätzlich darauf hin, dass der Prozess der Indikationsstellung ein essenzielles Element des ärztlichen Auftrags und ein zentraler ärztlicher Abwägungs-, Beurteilungs- und Entscheidungsvorgang sei, in den sowohl wissenschaftliche Fakten als auch patientenbezogene Nutzen-Risiko-Abwägungen einfließen würden.

Für den Arzt ergäben sich dabei unterschiedliche Fragen, unter anderem dazu, ob mit Patienten, aber auch mit Kollegen Konsens über das Behandlungsziel bestehe, ob die geplante Maßnahme mit Blick auf die individuelle Diagnose und Prognose des Patienten geeignet sei, das Behandlungsziel zu erreichen oder ob Nutzen und Schadensrisiko der geplanten Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zueinander stünden. Die BÄK hat sich in einem Arbeitspapier intensiv mit dieser Thematik beschäftigt.

Für den Fall, dass sich Patienten selbst krankheitsbedingt nicht mehr adäquat mitteilen können, gibt es der BÄK zufolge verschiedene Möglichkeiten einer Vorausbestimmung der medizinischen Behandlung. BÄK und Zentrale Ethikkommission bei der BÄK haben dazu Hinweise und Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmachten und Patientenver­fügungen erarbeitet, zuletzt aktualisiert im Dezember 2018.

Intensive Auseinandersetzung gefragt

„Diese sollen Ärzten, aber auch Patienten, eine grundlegende Orientierung im Umgang mit vorsorglichen Willensbekundungen geben. Zudem werden die zugrundeliegenden Rechtsvorschriften verständlich dargestellt“, erläuterte ein BÄK-Sprecher. Ausgeführt werde darüber hinaus, dass Patientenverfügungen konkrete Maßnahmen für konkrete Situationen beschreiben sollten. Dennoch könne die Interpretation des Patientenwillens auf der Grundlage von vorsorglichen Willensbekundungen unsicher sein.

„Deshalb ist der Dialog zwischen Patient und Arzt sowie die Beratung und Aufklärung über diese Fragen besonders wichtig. Dabei kann die Einbeziehung von Angehörigen des Patienten hilfreich sein“, heißt es von der Bundesärztekammer, die zudem auf ihre „Grundsätzen zur ärztli­chen Sterbebegleitung“ verweist, in der die Bedeutung vorsorg­licher Willenserklä­rungen hervorgehoben wird.

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfall­me­dizin (DIVI), Uwe Janssens, unterstützte das. „Es erscheint mir sehr wichtig, dass gerade bei chronisch schwer kranken Menschen frühzeitig der Wille eruiert und auch dokumentiert wird“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Schon in Altenheimen oder auf der Normalstation von Krankenhäusern sollten die Wünsche und Einstellungen der Patienten abgefragt werden.

Der Bundesgerichtshof muss nun juristische Antworten auf die Fragen um das Ende des Lebens finden. In einigen Wochen will der 6. Zivilsenat ein Urteil verkünden, das in diesem Fall mehr als eines der vielen Grundsatzurteile aus Karlsruhe sein dürfte.

kna/dpa/afp

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