Politik

Kein Schmerzensgeld wegen Lebensver­längerung durch künstliche Ernährung

  • Dienstag, 2. April 2019

Karlsruhe – Ein Arzt muss wegen der Lebensverlängerung eines Patienten durch künstli­che Ernährung kein Schmerzensgeld bezahlen. Das entschied heute der unter anderem für das Arzt­haftungsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH). Die Richter wiesen eine Klage auf Schmerzens­geld und Schadenersatz im Namen eines 2011 gestorbenen Demenzkranken ab (Az. VI ZR 13/18).

Es verbiete sich generell, ein Weiterleben als Schaden anzusehen, entschieden die obers­ten Zivilrichter des BGH. „Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zu­stand des Weiterlebens mit krankheits­be­dingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod“, hieß es vom BGH. Das menschliche Leben sei ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungs­würdig.

Die Vorsitzende Richterin Vera von Pentz sagte, es könne dahinstehen, ob der Arzt seine Pflichten verletzt habe. „Das Urteil über den Wert eines Lebens steht keinem Dritten zu.“ Es fehle deshalb schon an einem immateriellen Schaden, der Schmerzensgeldansprüche auslösen könne.

Dem Kläger steht laut BGH darüber hinaus auch kein Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen zu. „Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern“, erklärte der BGH. Insbesondere dienten diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.

Den Prozess führte der in den USA lebende Sohn des Mannes aus Bayern als alleiniger Erbe. Er hält es für einen Behandlungsfehler, dass sein kommunikations- und bewegungs­unfähiger Vater ohne jede Aussicht auf Besserung jahrelang weiter per Magensonde er­nährt wurde. Die Klage richtete sich gegen den behandelnden Hausarzt. Dieser sollte mindestens 100.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen und Behandlungs- und Pflegekosten von mehr als 52.000 Euro erstatten.

Vorsorglich können Menschen in einer Patientenverfügung aufschreiben, in welchen Situ­ationen sie wie behandelt werden möchten und wann sie keine Behandlung mehr wün­schen. In dem Fall hatte der Vater nichts hinterlassen und konnte sich selbst nicht mehr äußern. Ob er die Magensonde noch gewollt hätte, war deshalb unklar.

Das Oberlandesgericht (OLG) München war 2017 noch der Ansicht, dass der Arzt die Sonden­ernährung trotzdem nicht einfach hätte weiterlaufen lassen dürfen, ohne die Situation mit dem bestellten Betreuer gründlich zu erörtern. Wegen verletzter Aufklä­rungspflichten sprachen die Richter dem Sohn damals 40.000 Euro Schmerzensgeld zu. Dieses Urteil hob der BGH nun auf.

Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung wichtig

Die Bundesärztekammer (BÄK) begrüßte das Urteil. „Die Erhaltung menschlichen Lebens stellt keinen Schaden dar. Diese Klarstellung des Bundesgerichtshofs ist für uns als Ärzte wichtig und sie ist auch richtig“, sagte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery. Es gebe kein lebensunwertes Leben, das als Schaden qualifiziert werden könne, sondern nur die individuelle Entscheidung von Patienten, beziehungsweise ihres Vertreters, bestimmte lebensverlängernde Maßnahmen abzulehnen.

Der BÄK-Präsident wies darauf hin, dass Ärzte gemeinsam mit Patienten auch existen­zielle Entscheidungen wie etwa über lebensverlängernde Maßnahmen treffen müssten. Die Indikationsstellung hänge dabei aber maßgeblich vom Willen des Patienten ab.

„Jeder Patient kann dabei für sich individuelle Grenzen ziehen“, so Montgomery. Er könne entscheiden, welche Maßnahmen er wolle und welche er ablehne. Mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung habe jeder die Möglichkeit, für die Zukunft vorzusorgen. Der BÄK-Präsident wies darauf hin, dass es für Ärzte besonders schwierig wird, wenn der Wille des Patienten nicht bekannt ist und letztlich andere für ihn entscheiden müssen.

may/dpa/afp

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