Wie SARS-CoV-2 das Gehirn infiziert

Berlin – Das Coronavirus SARS-CoV-2 gelangt möglicherweise über das Riechepithel direkt von der Nase ins Gehirn. Darauf deuten neurohistologische Befunde in Nature Neuroscience (2020; DOI: 10.1038/s41593-020-00758-5) hin. Den Forschern gelang es im Riechepithel intakte Viren mit dem Elektronenmikroskop abzubilden.
Die Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 beruht darauf, dass es anders als beispielsweise Grippeviren nicht nur die Lungen befällt. Wissenschaftler haben das Virus in den letzten Monaten in verschiedenen anderen Organen nachgewiesen, darunter auch im Gehirn.
Wie es dorthin gelangt, ist bisher unklar. Eine mögliche Verbindung führt vom Riechepithel direkt ins Gehirn. Die Schädelbasis enthält im vorderen Teil zahlreiche Öffnungen (nach denen das dort gelegene Siebbein benannt ist). Durch die Öffnungen der Lamina cribrosa ziehen die Fortsätze des Nervus olfactorius nach unten zur Nasenhöhle.
Sie empfangen dort die Signale von den Sinneszellen des Riechepithels. Vom Bulbus olfactorius, der bereits Teil des Gehirns ist, besteht eine Verbindung zum Tuberculum olfactorium, der nächsten Station auf der Riechbahn des Gehirns.
Ein Team um Frank Heppner von der Berliner Charité hat in diesen Strukturen gezielt nach SARS-CoV-2 gesucht. Sie konnten dazu postmortal 33 Patienten untersuchen, die an COVID-19 gestorben waren. Zunächst haben die Forscher im Nasenepithel nach den Viren gesucht.
Die Virusgene waren bei den meisten Patienten im Riechepithel in größerer Menge nachweisbar. Bei drei Verstorbenen konnten die Forscher die Viren auch im Bulbus olfactorius identifizieren. Bei einem Patienten war der Gentest auch im Tuberculum olfactorium positiv.
Diese Befunde könnten die Ausbreitung von SARS-CoV-2 im Gehirn nachzeichnen. Die Viren würden zunächst das Epithel der Nasenschleimhaut infizieren. Von dort würden sie an die Fasern des Nervus olfactorius weitergegeben. Im Bulbus olfactorius würden sie mit dem nächsten Neuron weiter zum Tuberculum olfactorium gelangen.
Die Forscher konnten die Viren an der Kontaktstelle zwischen Epithel und Nervenfasern identifizieren. Zunächst färbten sie in Gewebeschnitten die Antigene der Coronaviren mit immunhistochemischen Methoden an.
Dann gelang es ihnen, intakte Viren mit einem Elektronenmikroskop abzubilden: Sie fanden die Viren sowohl im Inneren von Nervenzellen als auch auf den Fortsätzen der dort ansässigen Deckzellen. Ein weiteres Glied der Beweiskette, nämlich den Nachweis der Viren entlang der Nervenfasern, gelang ihnen allerdings nicht.
Die Virusgene waren bei den Verstorbenen nicht nur im Nasenepithel und in der Riechbahn vorhanden. Auch andere Strukturen wie das Ganglion trigeminale oder der Hirnstamm wurden von SARS-CoV-2 infiziert. Diese Bereiche des Gehirns haben keine direkte Verbindung zur Riechbahn.
Die Forscher vermuten deshalb, dass es noch einen zweiten Weg ins Gehirn gibt. Dies könnte die Blutbahn sein. Andere Forscher hatten bereits gezeigt, dass SARS-CoV-2 in anderen Regionen des Körpers die Endothelien infiziert, die die Blutgefäße auskleiden.
Das Team um Heppner kann dies jetzt bestätigen. Bei einem Patienten wurde das S-Protein des Virus in den Endothelzellen nachgewiesen. Es befand sich an einer Stelle, an der sich ein Mikrothrombus gebildet hatte. Die pathologische Blutgerinnung in den kleinen Blutgefäßen war bereits anderen Forschern aufgefallen.
Ein denkbarer Ablauf ist, dass die Viren die Endothelien infizieren und zerstören. Dadurch wird das darunter liegende Bindegewebe freigelegt. Dies führt zur Aktivierung der Blutgerinnung. Ein Thrombus verlegt das Blutgefäß. Das umgebende Gewebe kann nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden und stirbt ab.
Die Mikrothromben und Mikroinfarkte könnten einen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung haben. Wenn sie im Hirnstamm die Steuerungszentren von Atmung und Kreislauf schädigen, könnte dies an der Störung der Atem- und Kreislauffunktion beitragen.
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