Politik

Gesundheitswesen bei Milliardenentlastung vergessen

  • Montag, 5. September 2022
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.l.), kommt neben Omid Nouripour (li.), Bundesvorsitzender der Grünen, Saskia Esken (re.), Bundesvorsitzende der SPD, sowie Christian Lindner (Mitte), FDP-Bundesvorsitzender und Bundesminister der Finanzen, gefolgt von Regierungssprecher Steffen Hebestreit (SPD) zur Pressekonferenz nach den Beratungen von SPD, Grünen und FDP im Koalitionsausschuss. /picture alliance, Michael Kappeler
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, 2.v.l.), kommt neben Omid Nouripour (li.), Bundesvorsitzender der Grünen, Saskia Esken (re.), Bundesvorsitzende der SPD, sowie Christian Lindner (Mitte), FDP-Bundesvorsitzender und Bundesminister der Finanzen, gefolgt von Regierungssprecher Steffen Hebestreit (SPD) zur Pressekonferenz nach den Beratungen von SPD, Grünen und FDP im Koalitionsausschuss. /picture alliance, Michael Kappeler

Berlin – Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich auf ein drittes Entlastungspaket im Umfang von etwa 65 Milliarden Euro geeinigt. Das Gesundheitswesen, vor allem Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen, standen nicht auf der Agenda. Das stößt auf Kritik.

„Auch im dritten Entlastungspaket der Bundesregierung sind die Krankenhäuser nicht berücksichtigt worden“, bemängelte heute der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß. Dabei stünden sie infolge der aktuellen Kostensteigerungen vor enormen wirtschaftlichen Herausforderung.

Haupttreiber der aktuellen Kostensteigerungen sind nach Aussagen der DKG die Preise für Gas und Strom. Hochgerechnet auf alle Kranken­häuser lägen die Mehrkosten für Energie im kommenden Jahr bei rund vier Milliarden Euro mehr als noch 2021, hieß es heute. Detaillierte Beispiele und die befürchteten Konsequenzen hatte die DKG heute in Berlin vorge­stellt.

Gaß erläutert, die Krankenhäuser könnten die gestiegenen Preise nicht einfach, wie andere Unternehmen, an ihre Patienten weitergeben. „Es geht hier um einen exogenen Schock, dessen Auswirkungen die Kranken­häu­ser aus eigener Kraft und durch eigenes Management nicht mehr bewältigen können“, mahnte er. Man befinde sich branchenweit „in einer dramatischen Situation“.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek forderte vom Bund angesichts der steigenden Energiekosten schnelle Finanzhilfen für die Krankenhäuser. Die Bundesregierung dürfe nicht länger untätig bleiben, sonst gerieten viele Krankenhäuser in eine existenzbedrohende wirtschaftliche Schieflage, sagte der CSU-Politiker in einem Interview der Mediengruppe Bayern. „Es ist schlicht nicht zu akzeptieren, dass der Bund die Kliniken einfach ihrem Schicksal überlässt.“

Die Kliniken befinden sich seinen Worten zufolge in einer sehr schwierigen Lage. „Sie müssen trotz massiver Kostensteigerungen und gleichzeitig coronabedingter Personalausfälle unbedingt handlungsfähig bleiben.“ Besonders die stark gestiegenen Energie- und Strompreise, aber auch weitere Sachkostensteigerungen könn­ten aktuell nicht kompensiert werden. „Sie gefährden auch die Liquidität der Kliniken.“

Die Gesundheitsministerkonferenz habe den Bund bereits aufgefordert, eine rasche Lösung zu entwickeln, sagte Holetschek. Die Mehrkosten könnten etwa durch die Gewährung eines unterjährigen Zuschlags kurzfris­tig kompensiert werden. „Doch in Berlin bewegt sich nichts“, kritisierte der Minister.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ließ Fragen des Deutschen Ärzteblattes dazu, ob der Koali­tions­ausschuss am vergangenen Wochenende überhaupt über die Lage der Krankenhäuser und Arztpraxen gespro­chen hat, unbeantwortet.

Auch die Frage, ob Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Krankenhäusern und Arztpraxen finanziell unter die Arme greifen wird, damit diese die höheren Energiekosten stemmen können, beantwortete das Ministerium nicht.

Entlastung für die Menschen

Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses der Ampelkoalition legen nahe, dass Hilfen für die Wirtschaft eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Energieintensive Unternehmen, die Kostensteigerungen nicht wei­terge­ben können, sollen mit einem neuen Programm unterstützt werden, heißt es zwar in den schriftlich fest­gehaltenen Ergebnissen des Koalitionsausschusses. Die Regelung bleibt aber vage, Details sind nicht genannt.

Bestehende Unternehmenshilfen unter an­derem mit zinsgünstigen Krediten und erweiterten Bürgschaften sollen bis 31. Dezember verlängert werden. Geprüft werden Schritte für Unter­nehmen, die aufgrund von Gas­mangel und hoher Energiepreise die Produk­tion zeitweise einstellen müssen.

Bei dem Paket geht es vor allem um die Entastung der Bürger. Für diese schnürten SPD, Grüne und FDP ein drittes Entlas­tungs­paket im Umfang von etwa 65 Milliarden Euro geeinigt. Es ist damit mehr als doppelt so groß wie die ersten beiden Pakete mit ihren zusammen rund 30 Milliarden Euro.

Zum Paket gehören ein bundesweit gültiger Nachfolger für das Neun-Euro-Ticket, Unterstützung für Rentner und Studierende, Gegenmittel zu steigenden Energiepreisen, Hilfen für Wohngeldbezieher und Geringver­die­ner sowie Steuerentlastungen.

„Deutschland steht zusammen in einer schwierigen Zeit“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Vorstell­ung der Ergebnisse im Kanzleramt. „Wir werden als Land durch diese schwierige Zeit kommen.“

Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP hatten etwa 18 Stunden lang bis zum gestrigen Sonntagmorgen über Details verhandelt. Neben Scholz nahmen unter anderem Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzmi­nis­­ter Christian Lindner (FDP) an den Beratungen teil.

Eine durchverhandelte Nacht später steht ein Paket, „von dem man durchaus sagen kann, dass es wuchtig ist“, wie Lindner zufrieden anmerkt – denn das hatte er vorher ebenso wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ge­fordert. Grünen-Chef Omid Nouripour lobt das Werk als „substanziell und rund“.

Die Grünen können insbesondere auf Geld für den Nahverkehr und Unterstützung für Menschen mit wenig Geld verweisen. Der SPD sind die gezielten Entlastungen für Rentner und Studierende wichtig. Die FDP wie­derum verbucht Unterstützung für Lindners neueste Steuerpläne auf der Habenseite.

Die Reaktionen auf das Paket fielen kontrovers aus. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kritisierte es etwa als enttäuschend: „Die Ausweitung des Sozialstaates kann keine Antwort auf eine Kostensteigerung der Ener­gie­preise auf dem Weltmarkt sein.“ DGB-Chefin Yasmin Fahimi bezeichnete das Paket dagegen als „insgesamt beeindruckend“.

Die CDU hat die geplanten weiteren Schritte zum Abfedern der gestiegenen Energiepreise als unzureichend kritisiert. Das Paket werde der Krise nicht gerecht, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Eine Entlastung von Normalverdienern der gesellschaftlichen Mitte sei nicht erreicht worden, auch nicht für mittelständische Betriebe. Angesichts eines drohenden Energiemangels fehlten außerdem Aussagen zum Angebot wie etwa zu einer Verlängerung der Atomkraftnutzung.

may/fos/dpa

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