Politik

Krankenhäuser: Insolvenzrisiko steigt wegen hoher Energiekosten

  • Montag, 5. September 2022
/picture alliance, Fabian Strauch
/picture alliance, Fabian Strauch

Berlin – Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat vor Einschränkungen der Patientenversorgung im kommenden Jahr gewarnt, wenn die Politik den deutschen Krankenhäusern nicht bei der Refinanzierung der Inflationskosten hilft.

„Die Krankenhäuser stehen vor einer enormen wirtschaftlichen Herausforderung – einer Herausforderung, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten nicht erlebt haben“, sagte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß, heute vor Journalisten in Berlin. „Die Politik muss jetzt handeln, um die Patientenversorgung in den kommen­den Monaten und Jahren sicherzustellen und um Insolvenzen von Krankenhäusern zu vermeiden.“

Haupttreiber der aktuellen Kostensteigerungen sind die Preise für Gas und Strom. Als Beispiel beschrieb Gaß die Situation des Katholischen Klinikums Bochum, das an fünf Standorten über etwa 1.500 Betten verfügt. Im Jahr 2022 lagen die Kosten für Gas und Strom demnach bei 4,4 Millionen Euro.

Durch eine Steigerung des Gaspreises von zwei Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2022 auf 19 Cent im Jahr 2023 sowie eine Steigerung des Strompreises von 15 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2022 auf 42 Cent im Jahr 2023 erhöhten sich die Gesamtkosten auf 11,7 Millionen Euro. „Das ist ein Plus von 7,3 Millionen Euro innerhalb eines Jahres“, sagte Gaß.

Hochgerechnet auf alle Kranken­häuser in Deutschland würden die Energiekosten vor diesem Hintergrund im kommenden Jahr im Vergleich zum Jahr 2021 um vier Milliarden Euro steigen. Da die Erlöse innerhalb dieses Zeitraums stagnier­ten, ergebe sich ein gesamter Fehl­betrag für die Krankenhäuser von neun Milliarden Euro, so Gaß. Das ent­spreche rechnerisch 100.000 Vollzeit­kräften.

39 Prozent haben kritische Liquiditätssituation

Gaß wies darauf hin, dass die Krankenhäuser in dem regulierten Gesundheitssystem die gestiegenen Kosten nicht einfach an die Patienten weitergeben könnten. Im System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) sei für das Jahr 2022 eine Steigerung der Einnahmen für Krankenhäuser von 2,3 Prozent vorgesehen. Die In­fla­tion liege aber schon bei knapp acht Prozent und sie werde weiter auf zehn Prozent steigen.

Im Auftrag der DKG hat das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) eine Umfrage zu den aktuellen Kostensteige­run­gen durchgeführt, an der sich 274 Krankenhäuser beteiligt haben. 96 Prozent von ihnen erklärten dabei, dass sie die aktuellen Kostensteigerungen nicht aus den regelhaften Erlösen dauerhaft finanzieren könnten.

39 Prozent bewerteten ihre aktuelle Liquiditätssituation als kritisch, 50 Prozent als ausreichend und elf Pro­zent als gut. Krankenhäuser mit mehr als 600 Betten bewerteten zu 46 Prozent ihre Liquiditätssituation als kritisch. Nur fünf Prozent bezeichneten sie als gut.

87 Prozent der teilnehmenden Krankenhäuser verneinten zudem die Frage, ob sie in den vergangenen zwei Jahren Rücklagen bilden konnten, um die aktuellen Kostensteigerungen dauerhaft refinanzieren zu können.

Krankenhäuser beschäftigen sich mit Personalreduktion

„Die gestiegenen Energiepreise sind in den Krankenhäusern angekommen“, betonte Gaß. Und die Häuser müssten jetzt auf die Situation reagieren, wenn sie im Herbst ihren Wirtschaftsplan für das kommende Jahr aufstellen. „Wir wissen von großen Krankenhausträgern, die ihren Wirtschaftsplan für das kommende Jahr schon aufgestellt haben, dass ihre Liquidität bis zur Mitte des Jahres aufgebraucht ist“, sagte Gaß.

Die logische Konsequenz in einer solchen Situation sei es, beim Träger um einen Defizitausgleich zu bitten oder zur Hausbank zu gehen. „Doch die Krankenhäuser können nicht sagen, wann sie den Kredit zurückzahlen können – oder ob sie ihn überhaupt zurückzahlen können“, so der DKG-Vorsitzende.

Deshalb müssten sich die Krankenhäuser jetzt sehr konkret mit der Frage beschäftigen, ob sie im kommenden Jahr einzelne Leistungsbereiche schließen müssen. „Damit wären dann natürlich auch entsprechende Perso­nal­reduktionen verbunden“, sagte Gaß. „Die Krankenhäuser sehen sich heute nicht mehr in der Lage, mit den Erlösen, die sie durch die Patientenbehandlungen erwirtschaften, ihre Rechnungen zu bezahlen. Das ist ein unvorstellbarer Zustand.“

Ruf nach kurzfristigem Inflationsausgleich

In der Umfrage konnten 87 Prozent der Krankenhäuser nicht ausschließen, dass sie in den kommenden Wo­chen gezwungen sein würden, Stationen zumindest zeitweise zu schließen beziehungsweise abzumelden. 78 Prozent gingen zudem davon aus, dass sie im Herbst aufgrund des Personalmangels wieder vermehrt plan­ba­re Operationen verschieben beziehungsweise absagen müssen.

„Wir brauchen jetzt einen kurzfristigen Inflationsausgleich für die Sachkosten“, forderte Gaß. „Wir brauchen für das Jahr 2023 jetzt sehr schnell Vereinbarungen mit der Politik, wie die Kostensteigerungen abgefangen wer­den können, damit die Krankenhäuser nicht gezwungen sind, bei ihren Wirtschaftsplanungen Personal einzu­sparen. Wir schlagen dafür einen einheitlichen Aufschlag auf alle Krankenhausrechnungen aus dem Jahr 2022 von vier Prozent vor. Damit könnten die beschriebenen Kostensteigerungen refinanziert werden.“

Zugleich forderte die DKG finanzielle Unterstützung von der Politik, damit sich die Krankenhäuser künftig we­ni­ger abhängig von den Gaspreisen machen können. „Krankenhäuser sind massive Energieverbraucher“, sagte Gaß. Der Verbrauch pro Krankenhausbett sei in etwa so hoch wie der Verbrauch einer vierköpfigen Familie, die in einem Einfamilienhaus lebt.

„Hier brauchen die Krankenhäuser eine Perspektive, um künftig energieeffizienter werden zu können“, forderte Gaß. „Dafür brauchen wir eine Investitionsförderung, die die Krankenhäuser in die Lage versetzt, dieses Thema anzugehen. Wir brauchen ein Sonderinvestitionsprogramm ‚Klimaneutrales Krankenhaus‘, das mit einer Milliar­de Euro pro Jahr aufgelegt ist, damit wir die Problemlage auch mittelfristig meistern können.“

Darüber hinaus forderte die DKG einen Abbau regulatorischer und bürokratischer Vorgaben – insbesondere, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. „Der Personalmangel wird heute auch durch die vielschichtigen regulatorischen Anforderungen getrieben“, betonte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DKG, Hen­riette Neumeyer.

Mindestens drei Stunden am Tag müsse das Personal mit Bürokratie verbringen. Das erhöhe den Druck auf die Versorgung. „Das ist das Ergebnis einer Misstrauenskultur, die den Personalmangel weiter verschärft“, sagte Neumeyer.

Wegen der regulatorischen Anforderungen müssten sich beispielsweise Notaufnahmen heute von der Versor­gung abmelden, weil sie die Vorgaben nicht einhalten könnten. „Für die Patienten bedeutet das längere Wege und eine längere Zeit bis zu einer ärztlichen Versorgung“, betonte Neumeyer. „Das kann nicht im Sinne einer guten Versorgung sein.“

Um auf die Not der Krankenhäuser aufmerksam zu machen, führt die DKG in den nächsten Wochen Protestak­tionen in den Bundesländern durch. Mit einem Infomobil und anderen Veranstaltungen will die DKG dabei gemeinsam mit den Landeskrankenhausgesellschaften einen umgehenden Inflationsausgleich für die Klini­ken fordern, um ungesteuerteInsolvenzen zu verhindern.

„Damit wollen wir auch die Patienten auf die Lage der Krankenhäuser aufmerksam und die Problematik vor Ort sichtbar machen“, sagte Gaß. Zudem hat die DKG eine Online-Petition zu diesem Thema gestartet.

fos

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung