Politik

Krankenhaussterben: Krankenhäuser drängen auf politisches Handeln

  • Dienstag, 20. Juni 2023
Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, spricht im Rahmen des bundesweiten Protesttags der Deutschen Krankenhausgesellschaft auf dem Washingtonplatz. /picture alliance/dpa/Jörg Carstensen
Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, spricht im Rahmen des bundesweiten Protesttags der Deutschen Krankenhausgesellschaft auf dem Washingtonplatz. /picture alliance/dpa/Jörg Carstensen

Berlin – Mit einem bundesweiten Protesttag haben Krankenhäuser heute auf die nach ihrer Einschätzung prekäre finanzielle Lage der Kliniken hingewiesen. In mehreren deutschen Städten fanden Kundgebungen statt, unter anderem in Berlin. Es sei „Alarmstufe Rot“, warnte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) – sie sprach von einem „eiskalten Strukturwandel“.

„Wir stehen am Vorabend eines großen Kliniksterbens“, sagte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß heute bei der Kundgebung am Berliner Hauptbahnhof. An der Kundgebung nahmen nach Polizeiangaben rund 500 Menschen teil.

Wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dieses Kliniksterben nicht verhindern könne, offenbare dies seine Handlungsunfähigkeit, kritisierte Gaß. Er nannte es inakzeptabel, dass sich in einem Bundeshaushalt von 500 Milliarden Euro keine zehn Milliarden zum Erhalt der flächendeckenden Krankenhausversorgung fänden. Immer häufiger müssten Städte und Landkreise Defizite ausgleichen.

Die Krankenhäuser wollen Gaß zufolge aber die Reform nicht verhindern, sondern sich gegen die kalte Strukturbereinigung wehren. Er wolle keine weiteren Hilfspakete des Bundes, sondern „faire Krankenhauspreise“, damit die Krankenhäuser ihren Job machen könnten. Dafür brauche es aber einen Inflationsausgleich, so Gaß. Dieser solle die Mehrkosten für die Krankenhäuser ausgleichen.

Pflegekräfte sind kein Wanderzirkus

Die Pflegedirektorin des Deutschen Pflegerates, Jana Luntz, warnte ebenfalls vor Krankenhausschließungen. Die geplante Reform sehe diese aber vor. Das Pflegepersonal sei den selbst gewählten Krankenhäusern aber treu. „Wir sind kein Wanderzirkus“, warnte Luntz vor der geplanten Zentralisierung von Standorten.

Zudem kritisierte Luntz, dass die Krankenhausreform bislang ganz ohne Qualitätskriterien für die Pflege auskomme. „Pflegerische Versorgung ist Behandlungsqualität“, betonte sie.

Auch die Gewerkschaft Verdi warnte vor Krankenhausschließungen aus finanziellen Gründen. „Während Bund und Länder noch um den richtigen Weg einer Krankenhausreform ringen, stehen viele Kliniken wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Es braucht jetzt einen schnellen Schutz vor Insolvenzen“, forderte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler.

„Es wäre unverantwortlich, Kliniken zu schließen, die für eine flächendeckende, wohnortnahe und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung gebraucht werden“, warnte die Gewerkschafterin. „Krankenhäuser sind ein elementar wichtiger Teil der Daseinsvorsorge“, betonte Bühler. Diese dürfe nicht infrage gestellt werden, nur weil Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) haushaltspolitisch andere Prioritäten setzen wolle. Aber auch die Länder müssten „endlich ihrer Pflicht nachkommen, notwendige Investitionen vollständig zu finanzieren“.

An der Kundgebung nahmen viele Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachkräfte teil, die sich vor allem um die Patientenversorgung sorgen. „Wir sind auf dem platten Land und haben eine alte Bevölkerung. Die Infrastruktur ist bei uns ohnehin schwierig, unser Krankenhaus muss auf jeden Fall überleben“, sagte die Pflegerin Claudia Dargel dem Deutschen Ärzteblatt. Sie arbeitet am Oder-Spree-Krankenhaus, eine kleine Klinik in Brandenburg.

Auch der Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin, Saeed Esmaili vom Dominikus-Krankenhaus in Berlin kritisierte, dass viele kleine Häuser verschwinden werden. Eine regionale Versorgung der Patienten vor Ort sei sehr wichtig, sagte der Arzt. Er sprach sich für die Krankenhausreform aus, allerdings müsse die Gesundheitsversorgung auch entsprechend gewährleistet werden.

Auf die angespannte Personalsituation vor allem im pflegerischen aber auch im ärztlichen Bereich, machte Friederike Kobel, Ärztin in Weiterbildung im Fachbereich Neurologie, aufmerksam. Kobel arbeitet im Jüdischen Krankenhaus Berlin und berichtet von Überstunden und Mehrarbeit, die sie und ihre Kolleginnen und Kollegen leisten müssten, um Personalengpässe auszugleichen.

Misstrauensverhältnis zwischen Politik und Kliniken

Sybille Kraus vom Sozialdienst des Alexianer St. Hedwig-Krankenhauses in Berlin stört sich an dem Misstrauen, mit dem die Politik die Kliniken behandele. „Mit der neuen Reform sollen Ärzte und Pflegende wie Spielfiguren herumgeschoben werden und es wird ständig behauptet, dass wir zu viele Krankenhausbetten hätten“, kritisierte Kraus. „Der Oberhammer ist aber, dass Minister Lauterbach ein Konzept zur Ambulantisierung vorgelegt hat, ohne vorher mit denen zu sprechen, die es in der Praxis umsetzen müssen.“

Lauterbach sagte am Rande eines Kongresses zum internationalen Gesundheitsdatenaustausch, er könne „den Protesttag sehr gut verstehen“. Die Krankenhäuser seien in einer Notlage, dieses Jahr werde es noch „einigermaßen funktionieren“, aber das nächste Jahr werde sehr schwer. 20 bis 25 Prozent der Krankenhäuser seien akut insolvenzgefährdet, darunter auch solche, die notwendig für die Versorgung seien.

Daher werde mit Hochdruck an der Krankenhausreform gearbeitet, um das Kliniksterben aufzuhalten. Es gehe darum, dass die Krankenhäuser, die für die Daseinsvorsorge notwendig sind, auch dann Geld bekommen, wenn sie weniger Patienten haben, sagte er heute. Angesichts der schwierigen Lage der Kliniken plant Lauterbach eine Finanzierungsreform.

Im Kern soll das Vergütungssystem mit Pauschalen für Behandlungsfälle geändert werden, um Kliniken von Finanzdruck zu lösen. Um nicht auf immer mehr Fälle angewiesen zu sein, sollen sie einen größeren Vergütungsanteil für das Vorhalten von Leistungsangeboten bekommen.

Schnelle Reform benötigt

Im Zuge des Protesttages forderte der Katholische Krankenhausverband Deutschland auf ein „nachhaltiges Finanzierungspaket für die Krankenhäuser“. Dies sei notwendig, „damit nicht schon vor der angekündigten Krankenhausreform bedarfsnotwendige Kliniken wegbrechen“. Bereits Ende dieses Jahres müssten die Krankenhäuser bundesweit ein Defizit von zehn Milliarden Euro schultern, kritisierte die Verbandsvorsitzende Bernadette Rümmelin.

Auf die rasche Umsetzung der Reformpläne drang die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus. „Ohne eine umfassende Strukturreform laufen wir Gefahr, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden müssen und die Versorgungslage sich erheblich verschlechtert“, erklärte sie in Berlin.

„Wir brauchen einen aktiv gesteuerten Transformationsprozess und eine qualitätsorientierte Veränderung der Krankenhauslandschaft“, forderte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann. Allerdings sehe sie aktuell auch nicht die Gefahr einer Insolvenzwelle. Reimann wies darauf hin, dass es insbesondere während der Coronapandemie durchaus massive Unterstützung für die Krankenhäuser gegeben habe.

„Jedes Krankenhaus muss erhalten bleiben“, verlangte Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. Sie warnte ansonsten vor längeren Anfahrtswegen in Notfällen. „Insgesamt müssen wir weg von der Profitlogik im Gesundheitssystem“, forderte die Linken-Politikerin. „Es darf nicht sein, dass Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften müssen und deshalb gezwungen sind, an Personal und Versorgungsqualität zu sparen.“

afp/dpa/cmk/bro

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