Ausland

Ärzte ohne Grenzen: Libyen keine Lösung für Migrationskrise

  • Dienstag, 4. April 2017

Rom – Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat ein katastrophales Bild von den Zuständen in libyschen Haftzentren für Migranten gezeichnet. „Ich kämpfe immer noch ein wenig mit den Eindrücken, die ich dort bekommen habe“, sagte General­direktor Arjan Hehenkamp gestern in Rom. Er warnte davor, bei der Lösung der Migrationskrise auf das Bürgerkriegsland zu setzen. „Es ist einfach unmöglich, dass Libyen Teil irgendei­ner Lösung ist.“

Das Bürgerkriegsland steht im Mittelpunkt der Bemühungen der Europäischen Union, die Zuwanderung aus Afrika einzudämmen. Libyen ist das wichtigste Transitland für Flücht­lin­ge und Migranten auf ihrem Weg nach Europa. Hehenkamp besuchte vor wenigen Wo­chen Haftzentren in Tripolis und Umgebung, in denen MSF medizinische Hilfe leistet. „Ich habe dort Menschen gesehen, die jede Kontrolle über ihre Willensfreiheit verloren haben. Sie haben keine Würde mehr.“

In den Lagern herrscht ein Klima der Angst

Die Lager unterstehen offiziell der libyschen Agentur gegen illegale Migration (AIIA). In Wirklichkeit aber würden sie von verschiedenen Milizen kontrolliert. „Wir müssen mit Leu­ten verhandeln, die bewaffnet sind“, sagte Hehenkamp. In den Lagern herrsche ein Kli­ma der Angst. Die Menschen kämen nicht nur in die Lager, wenn sie von der libyschen Küstenwache in einem Flüchtlingsboot auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, sagte Hehenkamp. Sie seien auch auf der Straße in Gefahr. Denn für die Vielzahl an Schleu­ser­netzwerken, Banden und kriminellen Gangs seien die Migranten „bares Geld“ – egal, ob sie gerade erst aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara gekommen seien oder bereits seit Jahrzehnten in Libyen lebten und arbeiteten.

Wenn das Land abgeriegelt werde, würde es für die Hunderttausenden Migranten, die be­reits in dem Land sind, noch gefährlicher, warnte Hehenkamp. Denn dann gebe es gar keine Möglichkeit mehr zu entrinnen. Italienische Medien berichteten am Wochenende, dass sich Führer verschiedener Stämme in Libyen auf Vermittlung von Italien auf ein Frie­densabkommen geeinigt hätten und künftig mithelfen wollten, die etwa 5.000 Kilo­me­ter lange Grenze zu sichern. Eine Bestätigung dafür gab es nicht.

Legale Fluchtwege gefordert

Nichtregierungsorganisationen wie MSF kritisieren immer wieder die Bestrebungen der EU, Migranten so früh wie möglich auf ihrem Weg nach Europa aufzuhalten. Sie fordern legale Fluchtwege. Auffanglager in Nordafrika, wie sie von einigen Politikern gefordert werden, bezeichnen sie als unrealistisch. Denn in Libyen gibt es derzeit keine funktionie­ren­de Staatsmacht. Die unter UN-Vermittlung aufgestellte Einheitsregierung von Minister­präsident Fajis al-Sarradsch schafft es nicht, ihre Macht auszubauen. Zwei Gegenregie­rungen machen seiner Führung schwer zu schaffen.

„Es ist offensichtlich, dass es nicht einmal mehr in der Hauptstadt eine zentrale Kontrolle gibt“, sagte Hehenkamp. So zu tun, als könne man Menschen von Europa nach Libyen zurückschicken, sei „eine gefährliche Vorstellung“.

dpa

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