Ärzteschaft

Ärzte ohne Grenzen kritisiert EU-Flüchtlings­politik

  • Mittwoch, 14. Juni 2017
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Berlin – Der von der Politik erweckte Eindruck, die Flüchtlingskrise sei weitgehend gelöst, sei ein fataler Irrtum. Das erklärte heute Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, auf der Jahrespressekonferenz der Hilfs­organisation in Berlin. „Das Einzige, was sich 2016 geändert hat: Europa hat die Schutzsuchenden und ihre Nöte zunehmend ausgesperrt“, bilanzierte Westphal.

Er übte scharfe Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik sowie am Vorgehen der deutschen Bundesregierung: „Die Krisenrhetorik, die viele europäische Politiker noch immer pflegen, ist im globalen Maßstab lächerlich“.  Derzeit befänden sich mehr als 65 Millio­nen Menschen auf der Flucht, davon 40 Millionen im eigenen Land. „Allein Uganda, ein armes Land mit gerade 35 Millionen Einwohnern, hat im vergangenen Jahr mehr Flücht­linge aufgenommen, als übers Mittelmeer in die EU gekommen sind“, bilanziert Westphal. Europa sei demgegenüber nur marginal von globalen Flucht- und Vertrei­bungs­krisen betroffen, stellt der Geschäftsführer klar.

Kritisch bewertet er auch die „zunehmende Diskreditierung lebensrettender Hilfe“. Er bezog sich dabei auf eine Aussage des innenpolitischen Sprechers der Bundestags­fraktion von CDU/CSU, Stephan Mayer (CSU), der die Seenotrettung im Mittelmeer kürzlich als „Shuttle-Service“ nach Italien bezeichnete, der Meyer zufolge nicht praktikabel sei.

Von der Bundesregierung forderte Westphal ein Bekenntnis zur Seenotrettung und die Schaffung sicherer Fluchtwege. Zudem solle die Bundesregierung jegliche Pläne, Schutzsuchende nach Libyen zurückzubringen, eindeutig zurückweisen: „Wer Menschen in diese Hölle zurückschicken will, handelt verantwortungslos und menschen­verach­tend“.

Ein klares Signal gegen die EU-Abschottungspolitik setzte die Hilfsorganisation mit ihrer Entscheidung, keine Fördergelder mehr von der EU und ihren Mitgliedstaaten anzunehmen. Aufgrund bereits geschlossener Projektmittelverträge werde sich diese Entscheidung jedoch erst in diesem Jahr in den Einnahmen der Hilfsorganisation bemerkbar machen. Westphal ist zuversichtlich, dass der Wegfall der EU-Gelder aus­geglichen werden kann: „Dank der beeindruckenden Unterstützung durch mehr als 580.000 Spenderinnen und Spender in Deutschland konnten wir 2016 sogar erneut mehr Geld für die medizinische Nothilfe bereitstellen.“

Die Spendeneinnahmen von Ärzte ohne Grenzen lagen im vergangenen Jahr bei 132,8 Millionen Euro und sind damit im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent gestiegen. In 40 Ländern leistete die Hilfsorganisation im Jahr 2016 Nothilfe für Geflüchtete.

Volker Westerbarkey, Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, machte darauf aufmerksam, dass die weltweit größten humanitären Krisen auch im Jahr 2016 weiterhin nicht im Fokus der Weltöffentlichkeit standen. So gehörte der Einsatz im Südsudan im vergangenen Jahr für die Hilfsorganisation erneut zu einem der umfangreichsten weltweit.

„Südsudanesische Flüchtlinge berichten von unvorstellbaren Grausamkeiten. Den Men­schen bleibt nichts, als Hals über Kopf zu fliehen“, erklärte Westerbarkey, der Anfang des Jahres als Arzt vor Ort im Einsatz war. An eine Flucht Richtung Libyen oder Europa sei für die meisten Menschen aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen jedoch gar nicht zu denken, sagte Westerbarkey. Seit Ausbruch des aktuellen Konflikts sind im Südsudan fast vier Millionen Menschen auf der Flucht vor Kämpfen und Gewalt.

vp

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