Ärzteschaft lehnt Konzept der Bürgerversicherung ab

Berlin – Die deutsche Ärzteschaft steht einer von Teilen der Politik geforderten Bürgerversicherung mehrheitlich kritisch gegenüber. So stimmte auf dem 124. Deutschen Ärztetag ein Großteil der Delegierten gegen einen Änderungsantrag, in dem die Antragsteller eine neutralere Haltung gegenüber den Themen duales Versicherungssystem und Bürgerversicherung im Leitantrag des Vorstands der Bundesärztekammer (BÄK) forderten.
Der Vorstand hatte sich darin klar zum dualen Versicherungssystem bekannt. Die vor der kommenden Bundestagswahl von mehreren Parteien ins Spiel gebrachte Vereinheitlichung der Systeme löse keine Probleme, sondern schaffe neue. Mit der Einführung einer Bürgerversicherung drohten „Rationierung, Wartezeiten und Begrenzungen des Leistungskatalogs“.
Kritik an „wenig differenzierter Polemik“
Damit positioniere sich die Ärzteschaft „quasi parteipolitisch“ kritisierten die Antragsteller Detlef W. Niemann, Abgeordneter der Ärztekammer Hamburg, und Katharina Thiede, Abgeordnete der Ärztekammer Berlin, in ihrem Papier. Das „emphatische Bekenntnis“ zum dualen System sowie die „wenig differenzierte Polemik“ passten nicht zu dem ansonsten „sachlichen und zustimmungswürdigen Leitantrag“.
Sie verwiesen unter anderem auf einen vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) beauftragten Bericht der Wissenschaftlichen Kommission für ein modernes Vergütungssystem (KOMV) aus dem Jahr 2020. Darin gebe es – entgegen der Formulierung im Leitantrag – kein klares Bekenntnis für den Erhalt des dualen Systems, sondern die Empfehlung für eine „partielle Harmonisierung“ des Vergütungsrechts. Die Meinungen über die Auslegung des Berichts gingen innerhalb der digital anwesenden Ärzteschaft jedoch deutlich auseinander.
So unterscheidet das Konzept des (KOMW) zwischen Bausteinen der Vergütungssystematiken in der vertragsärztlichen Versorgung für GKV-Versicherte (EBM) und der privatärztlichen Versorgung (GOÄ), die „gemeinsam weiterentwickelt werden“ sowie „Bereichen, bei denen Unterschiede bewusst erhalten bleiben sollten“. Nach Ansicht der Kritiker des Änderungsantrags eine klare Empfehlung für den Erhalt des dualen Systems.
Zu viel Einfluss durch den Staat
Antragsteller Detlef Niemann kritisierte die „Horrorszenarien“, die der BÄK-Vorstand zum Thema Bürgerversicherung prognostiziere indes als unsachlich. Eine Bürgerversicherung sei nicht von jetzt auf gleich umzusetzen, beide Systeme müssten auf Vor- und Nachteile untersucht werden. „Wir müssen verbal abrüsten und uns einmischen“, so Niemann.
Auch andere Teilnehmer forderten, das Konzept der Bürgerversicherung nicht kategorisch abzulehnen, solange es dafür noch gar kein konkretes Konzept gebe. So nehme man sich die Möglichkeit mitzugestalten und untergrabe mögliches Reformpotenzial.
Zudem könne sich die Ärzteschaft einer Diskussion nicht verschließen, es müsse feste Ansprechpartner geben, die eine politische Diskussion um verschiedene Versicherungssysteme konstruktiv begleiten könnten.
Kritiker des Änderungsantrags beriefen sich auf immer stärkere Eingriffe des Staates in die gesetzliche Krankenversicherung und verwiesen beispielhaft auf dessen zunehmenden Einfluss über die Anteile des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) an der Gematik.
Es könne nicht das Ziel sein, dass wichtige Entscheidungen ausschließlich vom BMG getroffen würden, was bei einem vereinheitlichten Versicherungssystem womöglich der Fall wäre. Eine tatsächliche Selbstverwaltung sei dann nicht mehr möglich.
Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, bezeichnete den Plan einer Bürgerversicherung als „Irrweg“. Weitere Delegierte argumentierten, dass Bürger durch das duale System selbst über die Form ihrer Versicherung entscheiden könnten. Diese Wahlfreiheit solle nicht unnötig eingeschränkt werden.
Auch auf ärztlicher Seite müsse Wahlfreiheit möglich sein, erklärte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. „Dualität ist in der Summe für uns besser. Wir haben den Eindruck, dass innerhalb der Ärzteschaft große Zustimmung für diese Position besteht“, so Reinhardt. Diese Annahme bestätigte sich bei der Abstimmung: 139 Delegierte lehnten den Antrag ab, 76 stimmten dafür, acht enthielten sich.
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