Ärzteschaft

BÄK-Präsident Reinhardt plädiert für Verbesserungen beim künftigen Pandemiemanagement

  • Dienstag, 4. Mai 2021
BÄK-Präsident Klaus Reinhardt /Gebhardt
BÄK-Präsident Klaus Reinhardt /Gebhardt

Berlin – Die Krisenreaktionsfähigkeit in Deutschland muss für den Fall einer pandemischen Lage dringend optimiert werden. Das hat Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), heute in seiner Rede zur Eröffnung des 124. Deutschen Ärztetages betont, der digital abgehalten wird. Reinhardt verwies darauf, dass man leistungsstarke Strukturen erhalten und ausbauen müsse, statt sie, wie von einigen immer wie­der gefordert, auszudünnen und auf reine Kosteneffizienz zu trimmen.

„Bei allem, was erfolgreich gelaufen ist, die vergangenen Monate haben auch Defizite unseres Gesund­heitswesens offengelegt“, so Reinhardt. Dies betreffe unter anderem die unzureichende personelle und technische Ausstattung der Gesundheitsämter, die Meldestrukturen, den digitalen Ausbau oder auch die Finanzierung der Krankenhäuser. Auch sei der Arbeitsdruck für Ärzte und Pflegekräfte auch schon vor Corona „enorm hoch“ gewesen – nur habe das vorher niemand ernsthaft zur Kenntnis nehmen wollen.

Für die Zukunft müssen Krisenstäbe gebildet werden

Für künftige Ernstfälle müssten Reserven für relevante Medizinprodukte, wichtige Arzneimittel sowie unentbehrliche Grundsubstanzen zum Beispiel für die Impfstoffproduktion angelegt werden. Man brauche gesetzlich verankert feste Krisenstäbe der Bundesländer – unter Einbezug der (Landes-)Ärztekammern – mit klar definierten Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten.

Notwendig seien außerdem gesetzlich vorgegebene regelmäßige Übungen für alle an der Umsetzung der Pläne Beteiligten. Meldestrukturen sollten europaweit abgestimmt und miteinander grenzüberschreitend kompatibel gemacht werden.

Unverzichtbar seien aber auch Strukturreformen im Gesundheitswesen. So seien die personellen und strukturellen Defizite des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) seit Langem bekannt. Neben dem ÖGD-Pakt von Bund und Ländern sei eine grundsätzliche Strukturreform des ÖGD notwendig – auch um die Ko­ordination der Gesundheitsämter untereinander und vor allem mit den Ärzten in Kliniken und Praxen zu verbessern.

Um mehr Ärzte für den ÖGD zu gewinnen, brauche es auch die entsprechenden finanziellen Anreize – man fordere deshalb eine tariflich gesicherte, arztspezifische Vergütung der Amtsärztinnen und Amtsärzte.

Im Krankenhausbereich brauche es „eine bundesweit abgestimmte Klinikplanung und mehr länderüber­grei­fende Kooperationen“. Eine moderne Krankenhausplanung müsse mehr kooperative Versorgungskon­zep­te und die Möglichkeiten der belegärztlichen, beziehungsweise der sektorenübergreifenden Versorgung berücksichtigen. Reinhardt plädierte für „ein funktional und nach einheitlichen Kriterien abgestuftes, subsi­diär strukturiertes Netz einander ergänzender Kliniken“.

Der Personalbedarf sowie Reservekapazitäten für Notfälle sollten aus Sicht von Reinhardt viel stärker als bisher in der Krankenhauspla­nung und -finanzierung berücksichtigt werden. Eine solche Krankenhauspla­nung müsse außerdem durch eine Neustrukturierung der Krankenhausinvestitionsfinanzierung und der Krankenhausvergütung flankiert werden. Der bloße Appell an die Bundesländer bezüglich der Investitions­kostenfinanzierung reiche offensichtlich nicht aus. Wolle man den Investitionsstau auflösen, dann sei eine dauerhafte additive Kofinanzierung durch den Bund „unerlässlich“.

Leistungen der Niedergelassenen

Dass das deutsche Gesundheitswesen durch die Coronapandemie zu keinem Zeitpunkt überlastet gewesen sei, habe auch daran gelegen, dass der weit überwiegende Teil der COVID-19-Patienten von den niederge­lassenen Haus- und Fachärzten betreut worden sei beziehungsweise betreut werde. Die Pandemie habe aber auch die Abläufe in Haus- und Facharztpraxen oft sehr einschneidend verändert und unter anderem für rückläufige Patientenzahlen gesorgt.

Für viele Praxen wären die wirtschaftlichen Folgen verheerend gewesen, wenn der Bund nicht durch ent­sprechende Verpflichtungen der Krankenkassen einen finanziellen Schutzschirm gespannt hätte – die Fortschreibung des Schutzschirms, wenn auch in reduzierter Form, sei weiterhin hilfreich.

Zu den notwendigen Reformen gehöre „zweifelsohne“ auch die Novelle der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), betonte Reinhardt. Alle Leistungsinhalte seien zwischen der BÄK, den Fachverbänden und dem PKV-Verband konsentiert.

Damit liege eine nach betriebswirtschaftlichen Kriterien entwickelte ärzteeigene GOÄ mit einer rationalen Systematik und medizinisch-wissenschaftlich erarbeiteten Leistungslegenden vor. Parallel würden die fina­len Verhandlungen mit dem PKV-Verband an einem gemeinsamen GOÄ-Vorschlag im Hinblick auf die Leis­tungsbewertungen weiter laufen. Damit stehe einer „schnellen Umsetzung der Novelle nach der Bundes­tagswahl“ nichts mehr entgegen.

Konsequente Förderung sinnvoller digitaler Anwendungen

Die Pandemie habe auch gezeigt, wie weit einzelne Bereiche des Gesundheitswesens von einem sinnvoll­en, bedarfsgerechten und standardisierten Informationsfluss in den medizinischen Versorgungsprozessen entfernt sind. Bereits erprobte Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI), wie der Notfalldatensatz und der elektronische Medikationsplan, sollten zügig in den Versorgungsalltag eingeführt werden.

Reinhardt warnte aber zugleich vor einer „zu engen Taktung bei der Digitalisierung“, die keine Zeit mehr dafür lasse, neue Anwendungen mit der dafür notwendigen Gründlichkeit auf ihre Praxistauglichkeit hin zu erproben. Die vom Gesetzgeber beschlossenen Fristen für die nächsten Digitalisierungsschritte seien schon ohne Pandemie „nicht zu halten“. Anwendungen, die nicht primär die Patientenbehandlung unterstützen, sollten verschoben werden. Das betreffe das elektronische Rezept (E-Rezept) und auch die elektronsiche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU).

Und natürlich müssten auch die Sanktionen gestrichen werden, so der BÄK-Präsident. Dies gelte vor allem für Sanktionen, die an die Verfügbarkeit notwendiger Ausstattungen anknüpfen, aber erkennbar ohne Ver­schulden der Ärzteschaft nicht zu den gesetzlich vorgesehenen Terminen zur Verfügung stehen werden.

Gegen die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen

„Wir sehen Kliniken und Praxen als Einrichtungen der Daseinsvorsorge und nicht als Industriebetriebe oder lukrative Renditeobjekte finanzstarker Fremdinvestoren“, sagte Reinhardt weiter. Mittlerweile habe man, zumindest in Teilen der Politik, ein Bewusstsein dafür geschaffen, das „Mantra von mehr Markt und Wett­bewerb“ kritisch zu hinterfragen. Nun müssten konkrete gesetzliche Maßnahmen folgen.

In den Krankenhäusern seien Fehlanreize des diagnosebezogenen Fallpauschalensystems (DRG) zu behe­ben. Gebraucht werd auch eine grundlegende Reform der Krankenhausbetriebsmittelfinanzierung. Diese müsse sich prioritär an den Kriterien des tatsächlichen Personalbedarfs, an der Personalentwicklung, der Flächendeckung und an notwendigen Vorhalteleistungen ausrichten.

Im ambulanten Bereich brauche es eine Begrenzung der Beteiligungsmöglichkeiten von Fremdinvestoren. Insbesondere seien Größe und Versorgungsumfang von medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zu be­grenzen. MVZ-Gründungen durch Krankenhäuser sollten an einen fachlichen und räumlichen Bezug zum Versorgungsauftrag gekoppelt werden. Darüber hinaus sollten in einem Register alle MVZ und deren Trägerschaft aufgeführt werden.

Vorausblickend auf ein zentrales Thema des Ärztetages verweis Reinhardt auf das Urteil des Bundesver­fassungsgerichts vom Februar des letzten Jahres zum assistierten Suizid. Der Ärztetag werde die berufs­recht­lichen Implikationen des Urteils eingehend erörtern und darüber diskutieren, ob und wenn ja die ärztliche Berufsordnung an dieser Stelle angepasst werden muss. „Es ist gut, dass der Bundestag in die Debatte über entsprechende gesetzliche Neuregelungen eingestiegen ist“, betonte Reinhardt. Es brauche klare gesetzliche Vorgaben.

Folgen der Coronapandemie

Die Pandemie hat Reinhardt zufolge in vielen Bereichen ihre Spuren hinterlassen. Diese Kollateraleffekte seien lange unterschätzt worden, so der BÄK-Präsident. Das gelte etwa für dringend notwendige Behand­lungen, die nicht begonnen worden seien, Früherkennungsuntersuchungen, die ausgesetzt worden seien, oder die erheblichen psychosoziale Folgen der Eindämmungsmaßnahmen für Kinder und Ältere.

Wenn man daraus nachhaltig lernen wolle, so Reinhardt, müsse man bei diesen Aspekten ansetzen und die umfassenden gesundheitlichen Auswirkungen der Coronaeindämmungsmaßnahmen eingehend wissen­schaftlich evaluieren – „ehrlich, unvoreingenommen und konstruktiv in die Zukunft gerichtet“.

aha

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