Ärzteschaft

Ärztetag lehnt Kommerzialisierung ab, ärztliches Handeln muss unbeeinflusst bleiben

  • Dienstag, 2. November 2021
/Jürgen Gebhardt
/Jürgen Gebhardt

Berlin – Leistungs-, Finanz-, Ressourcen- und Verhaltensvorgaben, die ärztlich verantwortungsvolles Handeln tangieren und mit ärztlich-ethischen Selbstverständnis unvereinbar sind, lehnt die Ärzteschaft ab. Diesen auf dem Leitantrag des Vorstandes der Bundesärztekammer (BÄK) zur Kommerzialisierung im Gesundheitswesen basierenden Beschluss fassten heute die Delegierten des 125. Deutschen Ärztetages.

Die Ärzteschaft habe sich immer dazu bekannt, mit den verfügbaren Ressourcen im Gesundheitswesen möglichst effizient umzugehen, heißt es im mit überwältigender Mehrheit gefällten Beschluss. Man wolle aber keine Entscheidungen treffen oder medizinische Maßnahmen vornehmen, die aufgrund wirt­schaftlicher Zielvorgaben erfolgten und dabei das Patientenwohl gefährdeten und den Patienten Scha­den zufügen könnten. Die politisch Verantwortlichen seien aufgefordert, diese ärztliche Grundhaltung mit konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen zu unterstützen.

Die Delegierten betonten, dass sich Ärztinnen und Ärzte in einen für sie schwer lösbaren Zielkonflikt befänden, wenn von Klinik- und Kostenträgern sowie zunehmend auch von kapitalgetriebenen Fremd­investoren Druck gemacht werde, in rein betriebswirtschaftlichen Dimensionen zu denken und nach kommerziellen Vorgaben zu handeln.

Für den stationären sowie für den ambulanten Bereich sollten dem Willen der Delegierten zufolge des­halb im Sozialrecht sowie speziell im Zulassungsrecht explizite Regelungen verankert werden, nach de­nen Träger von Einrichtungen unter Androhung von Sanktionen gewährleisten müssen, dass die bei ihnen tätigen Ärzte ihre berufsrechtlichen Vorgaben einhalten können.

Fehlanreize des DRG-Systems angehen

Grundsätzliche Fehlanreize seien bei der Vergütungssystematik im stationären Sektor offenbar gewor­den, so die DÄT-Delegierten. Um dem zukünftigen Versorgungsbedarf gerecht zu werden und negati­ve Auswirkungen des diagnosebezogenen Fallpauschalensystems (DRG) zu beheben, müsse es eine grund­legende Reform der bisherigen erlösorientierten Krankenhausfinanzierung geben. Diese dürfe nicht länger ausschließlich auf wirtschaftliche Effizienz eines Krankenhausbetriebes ausgerichtet sein.

Vielmehr solle die Vergütungssystematik vorrangig am Versorgungsbedarf und an angemessenen Vor­hal­tekosten für Personal, Infrastruktur und Technik ausgerichtet werden. Der Ausgliederung der Pflegeper­sonalkosten müsse die Ausgliederung der Kosten des ärztlichen Dienstes folgen.

Um die Krankenhäuser nachhaltig aufzustellen, ist aus Sicht des Ärztetags ein Mix aus pauschalierten Vergütungskomponenten zur Deckung von fallzahlunabhängigen Vorhaltekosten, einem fallzahlabhängi­gen Vergütungsanteil sowie einem Budget zur Entwicklung der Strukturqualität notwendig. Der demo­grafie- und morbiditätsbedingte Versorgungsbedarf sowie die dafür erforderlichen Personalressourcen müssten prospektiv ermittelt und in der Krankenhausplanung vorausschauend berücksichtigt werden.

Im Rahmen der Aussprache zur Kommerzialisierung bestand Einigkeit darin, dass akuter Handlungs­be­darf besteht. Julian Veelken von der Ärztekammer Berlin verwies bezüglich der Folgen des DRG-Systems unter anderem auf die starke Arbeitsverdichtung für Ärzte. Das Grundprinzip der Fallpauschalen sei aus seiner Sicht aber kaum reformierbar. BÄK-Präsident Klaus Reinhardt betonte, man müsse einen konzep­tio­nellen Gegenvorschlag vorlegen – wie man es mit dem im Leitantrag umrissenen Kalkulationsmix tue.

Auch ambulanten Bereich ins Auge fassen

Auch im ambulanten haus- und fachärztlichen Bereich drohten bestimmte Entwicklungen, die die Gefahr erhöhen, dass medizinische Entscheidungen zugunsten einer kommerziell motivierten Leistungserbrin­gung beeinflusst werden.

Die Delegierten verwiesen auf sich häufende Übernahmen von Arztpraxen und anderen Gesundheits­einrichtungen durch Fremdinvestoren und sogenannte Private-Equity-Gesellschaften mit einer vorwie­gend renditeorientierten Motivation.

Zu befürchten sei in diesem Zusammenhang eine Konzentration von investorenbetriebenen medizini­schen Einrichtungen, vor allem in Ballungsräumen – zulasten der Versorgung in ländlichen Gebieten.

Deshalb sollten laut DÄT-Beschluss weitergehende gesetzgeberische Maßnahmen auf Bundes- und Lan­desebene umgesetzt werden. Insbesondere müsse der Versorgungsauftrag von medizinischen Versor­gungszentren (MVZ) zur Wahrung der Trägerpluralität und der freien Arztwahl begrenzt werden.

MVZ-Gründungen durch Krankenhäuser müssten an einen fachlichen und räumlichen Bezug zu deren Versorgungsauftrag gekoppelt werden. Notwendig sei zudem eine Begrenzung von Gewinnab­führungs­verträge mit externen Kapitalgebern. Ein MVZ-Register solle mehr Transparenz für Patientinnen und Patienten über die im Bereich des SGB V agierenden Finanzinvestoren schaffen.

Gerald Quit­te­rer, Präsident der Baye­ri­schen Landes­ärz­te­kam­mer, betonte, bei dem problembehafteten Themenbereich MVZ sei der Gesetzgeber gefordert. Bei investorengesteuerten MVZ sei im höchsten Maße fraglich, inwieweit diese einen positiven Beitrag zur medizinischen Versorgung leisten.

aha

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