Ärztliche Versorgung: KV Westfalen-Lippe befürchtet Kostenkontrolle

Dortmund – Die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten in Westfalen-Lippe befürchten mit Blick auf das prognostizierte Defizit bei den Krankenkassen, dass künftig bei der medizinischen Versorgung Kostenkontrolle und Einsparungen im Vordergrund stehen werden.
„Honorarsteigerungen werden dann ein Fremdwort sein“, sagte Dirk Spelmeyer in der jüngsten Sitzung der Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). Das zeigt nach Ansicht des KVWL-Vorstandsvorsitzenden der Auftakt der Honorarverhandlungen zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem GKV-Spitzenverband.
Spelmeyer zufolge hatten die Krankenkassen zunächst vorgeschlagen, den Betrag für die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV) abzusenken. Nach ersten Verhandlungen hätten sie „eine Nullrunde“ angeboten. Er sei jedoch zuversichtlich, dass noch ein Angebot folgen wird, „das sich im Plusbereich bewegt“.
Dabei kann der KVWL-Chef die Kassen durchaus verstehen. „Das IGES-Institut hat den Krankenkassen ein Defizit von circa 30 Milliarden Euro bis 2025 benannt.“ Grund sei die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen.
Das werde zeitnah zu Mengensteuerung und Budgetierung führen. Entsprechende Forderungen an die Politik gebe es bereits vom AOK-Bundesverband. Dabei seien doch erst vor zwei Jahren mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) Leistungen aus der Budgetierung geholt worden.
„Wir werden hier in Westfalen-Lippe in den Honorarverhandlungen dafür stehen, dass wir nicht tolerieren werden, dass ein unterfinanziertes System auf unseren Kosten und unseren Rücken so weitergeführt wird“, kündigte Spelmeyer an.
Schon jetzt blieben erhebliche Investitions- und Folgekosten der Digitalisierung zu weiten Teilen an den Praxen hängen. Zudem seien Leistungen im Bereich des ambulanten Operierens nicht ausreichend finanziert und die Ausgaben der Praxen für Hygienemaßnahmen deutlich gestiegen.
Krankenhausplan in NRW steht in der Kritik
Kritik übte Spelmeyer am neuen Krankenhausplan für Nordrhein-Westfalen (NRW). Eckpunkte des Plans hatte Nordrhein-Westfalens (NRW) Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) vor einer Woche zusammen mit Vertretern der Ärztekammern Nordrhein (ÄKNo) und Westfalen-Lippe (ÄKWL), der Krankenkassen und der Krankenhausgesellschaft (KGNW) vorgestellt.
„Wer dabei fehlte waren Frank Bergmann und ich“, sagte der KVWL-Chef mit Blick auf den Vorstandsvorsitzenden der KV Nordrhein (KVNo). „Man hat uns bei diesen Verhandlungen den Stuhl vor die Tür gesetzt.“ Man wolle die „Ambulantisierung der Medizin“ und habe die KVen mit ihren Kompetenzen nicht in die geplanten Reformen einbezogen. „Hier hat man eine Chance vertan“, ist Spelmeyer überzeugt. „Wir werden aber allen Beteiligten klarmachen, dass mit uns zu rechnen ist.“
Schließlich seien es die Vertragsärzte gewesen, die mit ihrem Einsatz während der Coronapandemie die Kliniken vor Überforderung bewahrt haben. Zudem habe die Impfkampagne gegen SARS-CoV-2 erst durch die Vertragsärzte „richtig Fahrt aufgenommen“.
Nach Angaben des KVWL-Chefs sind in den westfälischen Praxen inzwischen mehr als 4,3 Millionen Impfdosen verabreicht worden. „Wir haben gezeigt, wie flexibel wir uns auf neue Marktsituationen einstellen können.“ Dementsprechend werde die KVWL auch die weiteren Impfungen nach der Schließung der Impfzentren am 30. September in den Praxen umsetzen.
KVWL will noch besser werden
Um künftig noch besser zu werden, habe der Vorstand in einer Klausurtagung mit leitenden Mitarbeitern der KVWL seine strategischen Ziele abgesteckt, konkretisiert und Meilensteine aufgestellt, berichtete Spelmeyer.
„Eine der großen Aufgaben ist die Sicherstellung der flächendeckenden ambulanten Versorgung.“ Die Bandbreite der Themen reiche dabei von der Zusammenarbeit mit den Kommunen über die Werbung ärztlichen Nachwuchses und einer weiteren Reform des Notfalldienstes bis hin zur Entwicklung und Umsetzung neuer Versorgungsformen.
So soll bei der Nachwuchswerbung geprüft werden, ob die Ansprache der Medizinstudierenden und der Klinikärzte modernisiert und intensiviert werden muss. Zur Weiterentwicklung des Notfalldienstes sollen die Strukturen bei der Arztrufzentrale überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
Ein weiteres strategisches Ziel sei, „die KVWL als Marke für gute und innovative Versorgung zu etablieren“. Dazu soll der Bereich Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit modernisiert und personell verstärkt werden. Auch ihren Mitgliedern wolle die KVWL „kommunikativ besser gegenübertreten“. Sie sollen über digitale Medien nicht nur informiert werden, sondern sich auch aktiv beteiligen können.
Praxen auf Schließung der Impfzentren vorbereitet
Aktiv beteiligen können sich die Mitglieder derzeit an einer Online-Plattform zur Impfung gegen SARS-CoV-2. Ähnlich wie die KVNo fragt derzeit auch die KVWL unter ihren impfenden Ärzten ab, wer von ihnen über die „Stammpatienten“ hinaus weitere Patienten impfen kann.
„Es impfen momentan 2.953 Hausarztpraxen. Das sind 92 Prozent“, freute sich Volker Schrage. „Und es impfen 1.989 Facharztpraxen. Das sind 34 Prozent. Damit können wir flächendeckend reagieren“, so der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVWL mit Blick auf die Auffrischungsimpfungen, die hochbetagte Menschen, Bewohner von Pflegeheimen und Risikopatienten in NRW seit dem 1. September erhalten können.
Eine Herausforderung sei die Prüfung der Abrechnungen von Tests auf SARS-CoV-2. „Es ist eine deutliche Mehrarbeit für den Geschäftsbereich Abrechnung“, berichtete Schrage. Mit dem Impffortschritt gehe die Zahl der Tests allerdings zurück.
Ebenfalls zurückgegangen sei die ausgezahlte Vergütung an die Teststellen-Betreiber. „Die abschreckende Wirkung durch die Prüfung ist da“, betonte der KVWL-Vize. Der Testverordnung gemäß müssen seit dem 1. Juli die eingereichten Abrechnungen auf Plausibilität und in einer Stichprobe von einem Prozent der Leistungserbringer vertieft geprüft werden.
Zahl der Regresse nimmt zu
Ein Ärgernis ist nach Ansicht Schrages die zunehmende Zahl an Regressen durch die Krankenkassen. „Wir müssen dem Kollegen den Regress mitteilen, das Geld wegnehmen und der Kasse zuführen. Die Klagen der Kollegen geht aber nicht gegen die Kassen, sondern gegen uns.“
Von den Regressen betroffen seien zum Beispiel Psychotherapeuten. „Es ist bei ihnen bislang gängige Praxis, dass sie mit der Therapie bereits vor der Genehmigung durch die Kassen beginnen, zumal die Kassen teilweise zwölf Wochen für die Genehmigung brauchen, die Patienten mit ihrer Behandlung aber nicht so lange warten können.“
Inzwischen stellten immer mehr Krankenkasse Regressanträge, wenn Leistungen vor Erteilung der Genehmigung abgerechnet wurden. „Das sind meist nur 90 Euro pro Fall, aber für die Kassen kommen da schon hübsche Summen zusammen.“ Die Techniker Krankenkasse und auch Betriebskrankenkassen „machen das schon sehr aktiv“. Die AOK NordWest habe angekündigt, im kommenden Frühjahr damit zu beginnen. Die Kassen hätten ihre Computer-Systeme aufgerüstet, um die Prüfvorgänge zu automatisieren.
Allein im vergangenen Jahr seien 143.000 Prüfvorgänge eingeleitet worden, in diesem Jahr seien es schon 89.000. „Wir sind wieder auf dem Weg in die 150.000“, prognostizierte Schrage. Seiner Ansicht nach sind jetzt die Berufsverbände gefordert, ihre Mitglieder entsprechend zu informieren. Die KVWL habe das bereits getan. „Hier ist Widerspruch oberste Bürgerpflicht.“ Schließlich seien die Regresse ein wesentlicher Grund, der junge Mediziner von einer Niederlassung abhalte. Das konterkariere auch Nachwuchs-Werbekampagnen, betonte die VV.
Übertragung ärztlicher Tätigkeiten in der Kritik
Kritik übte Schrage an den Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegekräfte mit Zusatzqualifikation. Damit könnten sie selbstständig Heilkunde ausüben.
Grundlage ist das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) der Bundesregierung. Demnach sind die Krankenkassen verpflichtet, in jedem Bundesland mindestens ein Modellvorhaben dieser Art durchzuführen. „Aber wer kontrolliert die Abrechnung, wer die Mengenausweitung und wer die Sicherstellung?“ Das alles sei nicht geklärt, gab der KVWL-Vize zu bedenken.
„Wir müssen uns mit dem Thema befassen, weil wir mit immer weniger Arztstunden, die wir zur Verfügung haben, die Versorgung, so wie sie jetzt ist, nicht werden aufrechterhalten können, und weil die Entwicklung an uns vorbeigeht, wenn wir uns nicht drum kümmern.“
Die Substitution ärztlicher Aufgaben durch andere Gesundheitsberufe sei gesellschaftlicher Wille und finde sich in den Wahlprogrammen vieler Parteien. „Das wird kommen“, betonte Schrage mit Blick auf die Bundestagswahl am 26. September und die neue Legislaturperiode.
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