Vermischtes

Aktionsbündnis Patientensicherheit mahnt bessere Fehlerkultur an

  • Montag, 16. September 2024
/Worawut, stock.adobe.com
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Berlin – Ein transparenterer Umgang mit Fehlern ist aus Sicht des Aktionsbündnisses Patientensicherheit in Krankenhäusern und ärztlichen Praxen unerlässlich. Weiterhin fehle eine Sicherheitskultur im deutschen Gesundheitswesen.

„Es reicht nicht, einzelne Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen – die Sicherheit der Patientinnen und Patienten muss tief in den alltäglichen Arbeitsabläufen und in der Denkweise aller Beteiligten verankert werden", sagte heute die Vorsitzende Ruth Hecker anlässlich des morgigen Welttags der Patientensicherheit vor der Presse.

Schwerpunkt des diesjährigen Welttags ist die Förderung der Diagnosesicherheit. Diesbezüglich gebe es auch in Deutschland noch deutliche Defizite, so das Bündnis. Nach seinen Erhebungen sterben in Deutschland jedes Jahr bis zu 19.000 Menschen aufgrund von vermeidbaren Behandlungsfehlern.

Jeder Mensch erlebe wenigstens einen medizinischen Diagnosefehler in seinem Leben, betonte Hecker. Zudem würden Behandlungsfehler viele Milliarden Euro im Gesundheitssystem verschlingen, da falsche Diagnosen oder Arzneimittelfehler oft langwierige und teure Folgen hätten.

Das Aktionsbündnis fordert daher eine „Never Event Liste“, eine anonyme Erhebung von Behandlungsfehlern, die niemals hätten passieren dürfen. Joachim Maurice Mielert, Generalsekretär des Aktionsbündnis Patienten­sicher­heit, drängte auch auf eine bessere Nutzung der aktuellen technischen Entwicklungen. So stelle ein Medikati­ons­plan einen essenziellen Baustein für die Patientensicherheit dar. Dieser müsse jedoch auch losgelöst von der elektronischen Patientenakte (ePA) genutzt werden können.

Ferner müssten Patienten sowie Angehörige verstärkt in die Diagnosestellung einbezogen werden, fordert das Bündnis. „Missverständnisse und Konflikte sind in der Struktur des Gesundheitswesens unvermeidlich“, so Chris­tian Deindl, stellvertretender Vorsitzender des Aktionsbündnis Patientensicherheit. Hoher Zeitdruck, Hierarchien, emotionale Situationen und viele unterschiedliche Akteure mit diversen Hintergründen – all diese Faktoren erschwerten eine unmissverständliche Kommunikation.

Der Aufruf zur Verbesserung der Patientensicherheit richte sich aber nicht nur an die Gesundheitsberufe, son­dern an die gesamte Bevölkerung, so Deindl. Die Patienten könnten selbst viel zu ihrer sicheren Versorgung bei­tragen, indem sie über ihre Diagnose, Hygiene- und Präventionsmaßnahmen sprechen würden, Fragen stellten und Bedenken äußerten.

„Für Ärztinnen und Ärzte steht die Sicherheit ihrer Patientinnen und Patienten immer an erster Stelle“, sagte Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt anlässlich des Welttages der Patientensicherheit. Die Förderung von Qualität und Sicherheit sei aber nicht nur integraler Bestandteil ärztlicher Berufsausübung, sondern eine Gemeinschaftsaufgabe, der sich neben den Gesundheitsberufen auch Kostenträger und Politik stellen müssten.

Von Ärzten für Ärzte seien viele Initiativen entwickelt wurden, so Reinhardt, und würden auch im Versorgungs­alltag gelebt, beispielsweise Qualitätszirkel, Peer-Reviews, Konsile, Tumorkonferenzen oder Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen. Darüber hinaus befassten sich von den Ärztekammern anerkannte Fortbildungsveran­staltungen in unterschiedlichen Kontexten explizit mit der Diagnosestellung.

Wichtige Erkenntnisse für die Fehlerprävention würden auch aus den Daten der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern sowie aus CIRSmedical.de, dem Berichts- und Lernsystem der deutschen Ärzteschaft für kritische Ereignisse in der Medizin, gewonnen, die bundesweit erfasst und für Fortbildungen und Qualitätssicherungsmaßnahmen ausgewertet werden.

Rahmenbedingungen schaffen

Doch auch aus Sicht der Bundesärztekammer reicht dies nicht. Politik und Kostenträger müssten die Vorausset­zungen dafür schaffen, dass Patientinnen und Patienten angemessen in den Diagnoseprozess einbezogen wer­den können.

„Zeit für das Gespräch mit den Patientinnen und Patienten, für den interprofessionellen, fachlichen Austausch und für die Reflexion des eigenen Handelns tragen entscheidend dazu bei, Fehldiagnosen zu vermeiden“, sagte Reinhardt.

Angesichts zunehmender Arbeitsverdichtung, überbordender Bürokratie und Wettbewerbsdruck fehle in Kliniken und Praxen diese Zeit jedoch häufig. Notwendig sei ein klares Bekenntnis der Politik zur Patientensicherheit, das dann aber auch zu konkreten gesetzlichen Maßnahmen führen müsse, so der Präsident.

Ähnliche Rückmeldungen kommen aus verschiedenen Landesärztekammern. Edgar Pinkowski, Präsident der Landesärztekammer Hessen, mahnte beispielsweise, dass sich Ärztinnen und Ärzte möglicher „Stolpersteine“ bewusst sein müssten und individuelle Bedürfnisse und besondere Voraussetzungen der Patientinnen und Patienten verstärkt berücksichtigen müssten.

„Dies ist herausfordernd und erfordert immer wieder Perspektivwechsel – die Patientensicherheit hat hierbei oberste Priorität“, bekräftigte er. Die Landesärztekammern gestalteten daher immer wieder neue Formate und Fortbildungsmaßnahmen im Bereich der Patientensicherheit. Diese beinhalteten auch einen lösungsorientierten Umgang mit Fehlern und die Förderung einer Fehler- und Sicherheitskultur in der Patientenversorgung.

Auch für die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ist die sichere Diagnosestellung ist ein entscheidender Faktor für die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Der Aktionsplan des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zur „Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland“ setze genau hier an.

„Es kann vorkommen, dass die für Patientinnen und Patienten individuell angesetzte Arzneimitteltherapie Ne­ben­wirkungen hervorruft und zur Behandlung dieser unerwünschten Wirkungen weitere Medikamente verordnet werden, weil sie fälschlicherweise als neue Krankheitssymptome interpretiert werden“, so der Vorsitzende der AkdÄ, Wolf-Dieter Ludwig.

Für ihn gehöre es zweifelsfrei zu einer sicheren Diagnosestellung dazu, dass potenzielle Nebenwirkungen der Arzneimittelbehandlung auch als solche erkannt werden und dann gemeinsam abgewogen werde, ob eine An­passung der Therapie die unerwünschte Arzneimittelwirkung verhindern kann und das Auslösermedikament überhaupt noch indiziert ist.

„Nebenwirkungen, die durch Arzneimittel ausgelöst werden, sehen wir auch immer wieder bei unseren Patien­tinnen und Patienten in Pflegeheimen. Häufig ist dies mit der Gabe sogenannter potenziell inadäquater Medika­tion assoziiert, die bei Älteren und Hochbetagten oft mehr Risiken als Nutzen aufweist“, erklärte auch Petra Thürmann von der AkdÄ.

Die von ihr und ihrem Team erstellte PRISCUS-Liste unterstütze insbesondere im pflegerischen Bereich dabei, unangemessene Medikation zu erkennen. Sie helfe, auftretende Symptome als potenzielle Nebenwirkungen zu identifizieren, anstatt sie irrtümlich als neue Beschwerden zu deuten.

„Eine sichere Diagnose ist die Grundvoraussetzung für die richtige medizinische Behandlung“, erklärte heute auch Josef Hecken, Vorsitzender des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Was so selbstverständlich klinge, sei jedoch bei einer Reihe von Krankheitsbildern aus unterschiedlichen Gründen keine leichte Aufgabe.

„Projekte, die vom Innovationsausschuss gefördert werden, befassen sich deshalb auch mit dem Thema Diagnosesicherheit. Teilweise geht es darum, Gründe beziehungsweise Faktoren für eine verzögerte Diagnostik zu identifizieren. Teilweise werden bereits ganz konkrete Wege erprobt, um eine sichere Diagnose zu verbessern oder zu beschleunigen.“

Verbesserungen forcieren auch viele medizinischen Fachgesellschaften, beispielsweise die die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. DDG zertifizierte Kliniken wie „Klinik mit Diabetes im Blick DDG“ trügen maßgeblich dazu bei, Risiken zu minimieren und eine strukturierte Diabetes-Erkennung und -Versorgung stationsübergreifend zu gewährleisten, betonen sie und forderten gleichzeitig eine schnelle Integration von „Diabeteszentrum DDG“, „Diabetes Exzellenzzentrum DDG“, „Klinik mit Diabetes im Blick DDG“ und „Fußbehandlungseinrichtung DDG“ in den Bundes-Klinik-Atlas, damit Patientinnen und Patienten sich gut informiert entscheiden können.

ER

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