Medizin

Alter Tuberkuloseimpfstoff schützt Gesundheitspersonal nicht vor COVID-19

  • Freitag, 28. April 2023
/peterschreiber.media, stock.adobe.com
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Melbourne – Eine Impfung mit dem vor mehr als 100 Jahren entwickelten Tuberkuloseimpfstoff BCG (Bacille Calmette-Guérin) kann zwar die Immunreaktion auf SARS-CoV-2 beeinflussen, ein günstiger Effekt auf den Verlauf der Erkrankung war in der bisher größten randomisierten Studie zu dieser Frage jedoch nicht nach­weisbar, wie die jetzt im New England Journal of Medicine (NEJM 2023; DOI: 10.1056/NEJMoa2212616) publizierten Ergebnisse zeigen.

Im ersten Jahr der Pandemie, als noch keine Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 zur Verfügung standen, wurde verzweifelt nach anderen Möglichkeiten gesucht, Risikopersonen zu schützen. Eine Idee war, die Personen gegen andere Infektionskrankheiten zu impfen, um die allgemeinen Abwehrkräfte zu stärken.

Eine unspezifische Immunreaktion sollte die Patienten dann auch vor anderen Erregern schützen. Die Hypo­the­se geht auf Beobach­tungen der dänischen Anthropologen Peter Aaby und Christine Benn zurück. Ihnen war in den 1980er Jahren aufgefallen, dass gegen Masern geimpfte Kinder in Westafrika auch in Jahren, in denen es keine Masernepidemie gab, ein niedrigeres Sterberisiko hatten.

Für diese „Off-Target“-Wirkung von Impfungen bei Kindern gibt es mittlerweile eine Reihe von Belegen aus epidemiologischen, aber auch klinischen Studien. Nach einer systematischen Übersicht im britischen Ärzteblatt (BMJ 2016; DOI: 10.1136/bmj.i5170) erzielen neben der Masernimpfung auch der BCG-Impfstoff eine gute Wirkung (während nach der DTP-Impfung gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis das Risiko auf andere schwere Infektionen vorübergehend ansteigen soll).

Zu Beginn der Pandemie wurde deshalb eine Reihe von klinischen Studien durchgeführt. Das Projekt mit der mit Abstand größten Teilnehmerzahl war die „BCG Vaccination to Reduce the Impact of COVID-19 in Healthcare Workers“ oder BRACE-Studie.

An 36 Zentren in Australien, Brasilien, den Niederlanden, Spanien und Großbritannien wurden seit März 2020 Angehörige von Gesundheitsberufen auf die einmalige intradermale Injektion von BCG-Denmark oder Place­bo randomisiert. Geplant war eine Teilnehmerzahl von 6.828 Personen. Die Studie wurde allerdings vorzeitig abgebrochen, nachdem früher als erwartet die ersten Impfstoffe eingeführt wurden.

Zu diesem Zeitpunkt waren 3.988 Personen geimpft worden. Primärer Endpunkt war die Inzidenz einer symp­to­matischen Infektion mit SARS-CoV-2 und die Zahl der schweren Erkrankungen an COVID-19 in den ersten 6 Monaten nach der Impfung. Die Auswertung wurde auf Personen beschränkt, die bei der Impfung noch keinen Kontakt zu SARS-CoV-2 gehabt hatten (1.703 Personen in der BCG-Gruppe und 1.683 Personen in der Placebogruppe).

Wie das Team um Nigel Curtis von der Universität Melbourne berichtet, erkrankten in der BCG-Gruppe 14,7 % der Teilnehmer an COVID-19 gegenüber 12,3 % in der Placebogruppe. Der Unterschied von 2,4 %-Punkten war jedoch mit einem 95-%-Konfidenzintervall von -0,7 bis 5,5 %-Punkten nicht signifikant.

Auch schwere Erkrankungen an COVID-19 traten mit 7,6 % versus 6,5 % tendenziell häufiger auf. Auch hier war die Differenz von 1,1 %-Punkten (-1,2 bis 3,5 %-Punkte) nicht signifikant. Schwere Nebenwirkungen traten nach der BCG-Impfung häufiger auf (20 versus 5 Fälle).

Die Ergebnisse sind natürlich enttäuschend. Im letzten Jahr hatten die Forscher in Clinical & Translational Immunology (2022; DOI: 10.1002/cti2.1387) noch günstige Labordaten vorgestellt.

Die BCG-Impfung, nicht aber die Placeboimpfung, hatte die Freisetzung von Zytokinen, die bekanntermaßen mit einer schweren Erkrankung an COVID-19 in Verbindung gebracht werden, vermindert, darunter IL-6, TNF-alpha und IL-10. Darüber hinaus hatte die BCG-Impfung die Bildung von Gedächtniszellen gefördert, was auf eine längerfristige Schutzwirkung hindeutete.

Jetzt scheint es eher, als hätte die Impfung die Immunreaktion verstärkt. Dies könnte die leicht erhöhte Rate von leichten Erkrankungen erklären. Dieser Nachteil könnte in Kauf genommen werden, wenn die Immun­reaktionen die Patienten vor einem schweren Verlauf geschützt hätten.

Die Subgruppenanalyse lieferte keine Hinweise auf Personen, die am ehesten von der BCG-Impfung profitie­ren könnten. Weitere Studien sind nach der Einführung von spezifischen Impfstoffen nicht mehr zu erwarten.

rme

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