Medizin

Mehrfache BCG-Impfung schützte Typ-1-Diabetiker in Studie vor COVID-19

  • Mittwoch, 17. August 2022
/Bernard Chantal, stock.adobe.com
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Boston – Die mehrmalige Impfung mit dem vor hundert Jahren entwickelten Tuberkuloseimpfstoff BCG hat in einer randomisierten Studie die Zahl der SARS-CoV-2-Infektionen bei Menschen mit Typ-1-Diabetes deutlich gesenkt. COVID-19-Erkrankungen sind gar nicht aufgetreten. Die Studie war vor der Einführung der mRNA-Impfstoffe durchgeführt worden. Ihre Ergebnisse wurden jetzt in Cell Reports Medicine (2022; DOI: 10.1016/j.xcrm.2022.100728) veröffentlicht.

Zu Beginn der Pandemie, als noch kein spezifischer Impfstoff in Sicht war, machten verschiedene Wissen­schaftler einen ungewöhnlichen Vorschlag. Die Bevölkerung könnte durch den BCG-Impfstoff, den die Franzosen Albert Calmette und Camille Guérin Anfang des 20. Jahrhunderts gegen die Tuberkulose entwickelt hatten, vor schweren Erkrankungen an COVID-19 geschützt werden.

Die BCG-Vakzine erzeuge zwar keine Antikörper gegen SARS-CoV-2. Nach der Impfung komme es jedoch zu einer unspezifischen Aktivierung des Immunsystems, die die Reaktionsbereitschaft auch gegen andere Erreger erhöhe, lautet die Hypothese einer „heterologen“ Wirkung.

Sie ging auf die dänischen Anthropologen Peter Aaby und Christine Benn zurück, die in den 1980er Jahren beobachtet hatten, dass gegen Masern geimpfte Kinder in Westafrika auch in Jahren, in denen es keine Masernepidemie gab, ein niedrigeres Sterberisiko hatten. Eine ähnliche Wirkung wird dort der BCG-Vakzine zugeschrieben.

In Europa und Nordamerika wird die BCG-Vakzine heute nicht mehr eingesetzt, da sie nur eine begrenzte Schutzwirkung von schätzungsweise 60 % bis 70 % gegen die Tuberkulose erzielt. Die Impfung erschwert außerdem später die Diagnose einer Tuberkulose, weil der Hauttest falsch positiv ausfällt. Außerdem ist die Tuberkulose in reicheren Ländern selten geworden.

Die BCG-Impfung könnte deshalb gerade in Europa und Nordamerika die Abwehrkräfte gegen COVID-19 stärken, so die Idee. Mehrere Teams kündigten randomisierte Studien an. Sie wurden zumeist aufgegeben, als sich mit der raschen Entwicklung der mRNA-Impfstoffe eine bessere Lösung abzeichnete.

Ein Team um Denise Faustman vom Massachusetts General Hospital in Boston konnte ihre Studie zu Ende führen. Die Zielsetzung der Immunologin ist eigentlich eine ganz andere. Die Forscherin ist überzeugt, dass die durch die Impfung ausgelöste Reaktion den Angriff des Immunsystems auf die Inselzellen im Pankreas bändigt und eine Regeneration der Beta-Zellen ermöglicht (diese Idee wird von den meisten Immunologen nicht geteilt).

Die Studie war bereits 2015 von der FDA genehmigt worden. Seither waren 144 erwachsene Patienten mit Typ-1-Diabetes im Verhältnis 2 zu 1 auf eine Impfung mit BCG oder eine Placebogruppe randomisiert worden. Die Teilnehmer erhielten 3 Impfdosen: Die ersten beiden im Abstand von 4 Wochen, die 3. Dosis als Auffrischung nach 1 Jahr. Die meisten Patienten hatten die Impfungen in den 2 Jahren vor dem Beginn der Pandemie erhalten.

In den 15 Monaten bis März 2021 (die Auswertung wurde mit der Verfügbarkeit der mRNA-Impfstoffe gestoppt) erlitt nur 1 von 96 Teilnehmern, die mit BCG geimpft worden waren, eine bestätigte Infektion mit SARS-CoV-2. Unter den 48 Teilnehmern der Placebogruppe kam es dagegen zu 6 Infektionen (12,5 %).

Faustman ermittelt eine Impfstoffwirksamkeit von 92 %. Die Wahrscheinlichkeit einer Wirksamkeit von über 30 % betrag 99 % angegeben. Ein 95-%-Konfidenzintervall wird in der Studie nicht genannt. Der p-Wert betrug 0,009, womit eine statische Signifikanz nicht erreicht wäre.

Zu symptomatischen Erkrankungen an COVID-19 kam es in der BCG-Gruppe in keinem Fall gegenüber 5 Erkrankungen in der Placebogruppe. Die Impfstoffwirksamkeit liegt hier bei 100 %. Auch hier soll die Wahrscheinlichkeit einer Impfstoffwirksamkeit von über 30 % bei 99 % gelegen haben. Ein 95-%-Konfidenzintervall wird nicht angegeben. Der p-Wert soll 0,0036 betragen haben. Die Wirkung wäre damit signifikant.

Die Impfung soll den Schweregrad der Symptome vermindert haben und auch zu einem Rückgang von anderen Infektionen geführt haben. Ob die Publikation – das PDF wird als Pre-Proof bezeichnet – in dieser Form den Gutachterprozess („peer review“) besteht, bleibt abzuwarten.

Eine Alternative zu den zugelassenen Impfstoffen ist BCG sicherlich nicht. Ihr eigentliches Ziel, die „Heilung“ des Typ-1-Diabetes, verfolgt die Forscherin übrigens hartnäckig weiter. Im März wurde der Beginn einer weiteren Studie mit 150 Patienten angekündigt.

rme

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