Politik

Anwendungs­beobachtungen: Ärger um Zahlungen an Ärzte

  • Montag, 8. August 2016
Uploaded: 08.08.2016 16:21:09 by maybaum
/dpa

Berlin – Im vergangenen Jahr haben Pharmaunternehmen Ärzten für die Teilnahme an sogenannten Anwendungsbeobachtungen (AWB) mehrere Millionen Euro gezahlt. Das haben Recherchen von NDR, WDR, Süddeutscher Zeitung und Correctiv ergeben.

Demnach gab es 2015 mehr als 600 Anwendungsbeobachtungen. Über 150 neue AWB wurden gestartet – mehr als in den vorherigen zwei Jahren. Die Studien ha­ben eine Laufzeit von teils mehreren Jahren, bei manchen sind es sogar mehr als zehn oder 20 Jahre. Die vereinbarten Honorare liegen in der Regel bei mehreren Hundert, manchmal bei mehreren Tausend Euro pro Patient. Etwa jeder zehnte niederge­lassene Arzt nahm 2015 nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) an sol­chen Studien teil: insgesamt knapp 13.000 Mediziner, außerdem rund 4.000 Klinik­ärzte.

Bei Anwendungsbeobachtungen übermitteln Ärzte Daten, die sie routinemäßig bei ihren Behandlungen erfassen, an die Auftraggeber – meist sind dies Pharmaunternehmen. Kritiker bezeichnen diese Form von Studien als „legale Form von Korruption“. Aus ihrer Sicht haben viele dieser Studien keinen wissenschaftlichen Nutzen. Ärzte könnten aber durch die Honorare dazu animiert werden, bestimmte Mittel zu verschreiben.

Kritik von der Arzneimittelkommission
Bei einem großen Anteil der Anwendungsbeobachtungen gehe es darum, Ärzten durch das Honorar eine Motivation zu geben, „Arzneimittel zu verordnen, die sie sonst eigent­lich gar nicht verordnen sollten“, sagte der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Wolf-Dieter Ludwig. Er spricht sich deshalb für eine Ge­setzes­ver­schärfung aus. Ludwig fordert ein Verbot für AWB, bei denen kein wissen­schaft­licher Wert zu erkennen sei. Ein unabhängiges Gremium solle dies prüfen. Dies sei die einzige Möglichkeit, „Spreu von Weizen zu trennen“. Es gebe einen kleinen Prozent­satz an AWB, die Sinn machten. Aber: „Der Großteil dieser Anwendungs­beobachtungen ist eindeutiges Marketing und gehört verboten“, so Ludwig.

Pharmaunternehmen müssen Anwendungsbeobachtungen zwar bei den zuständigen Behörden melden, aber nicht genehmigen lassen. Außerdem werden zwar die Meldun­gen zu den Studien veröffentlicht – allerdings meist ohne Angaben zur Höhe der Hono­rare.

Lauterbach für schärfere Regeln
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisiert diese mangelnde Transparenz. Dabei hatte die Pharmaindustrie in den vergangenen Monaten noch mehr Offenheit ver­spro­chen. Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) hatte eine Transpa­renzinitia­tive gestartet. Ende Juni haben erstmals mehrere Pharmaunternehmen Zahlen zu ihren Zu­wendungen an Ärzte veröffentlicht. Doch konkrete Honorare für umstrittene AWB sind davon ausgenommen, sie sollen weiter geheim bleiben.

Von der freiwilligen Transparenz-Initiative der Pharmaindustrie habe er sowieso nichts gehalten, sagte nun Lauterbach. Er plädiert ebenfalls für eine Gesetzesverschärfung. AWB sollten auf das unbedingt notwendige Maß begrenzt werden, auf solche, die von Behörden vorgeschrieben sind, um die Sicherheit der Mittel nach der Markteinführung zu überwachen. Außerdem dürften dann auch nur kleine Bezahlungen zugelassen werden, so Lauterbach. Denn viele derzeitige AWB führten zu „Fehlbehandlungen und Geld­ver­schwendung“. Allerdings sei solch ein Gesetz in der Großen Koalition nicht durchsetzbar, beklagte Lauterbach. Er warte auf die nächste Gelegenheit, die Bundestagswahl 2017.

Michalk: Union will nun genau hinsehen
Doch auch aus der Union kommen mittlerweile kritische Töne in Richtung Industrie: „Die Freiwilligkeit hat offenbar Lücken, wir werden das jetzt weiter beobachten“, sagte die ge­sundheitspolitische Sprecherin der Unions-Fraktion, Maria Michalk. „Wenn sich nichts tut, denken wir über eine verpflichtende Transparenz auch für Anwendungsbeob­achtun­gen nach.“

Im Sommergespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt hatte die gesundheitspolitische Spreche­rin der Linken, Kathrin Vogler, ebenfalls strengere Regeln verlangt. „Gerade die so­ge­nannten Anwendungsbeobachtungen müssen strengstens reguliert werden“, for­der­te sie. Vom Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen habe man sich „klarere Re­ge­­lungen gewünscht“. „Es muss darum gehen, den Einfluss der Pharma- und Medi­zin­pro­dukte­lobby auf die Ärzteschaft, aber auch auf die Politik weiter zurückzudrängen, da­mit unser solidarisch finanziertes Gesundheitswesen nicht noch mehr zum Selbstbe­die­nungs­­laden für Profitinteressen verkommt“, so Vogler.

Die Intransparenz scheint nach Angaben des Recherchepools System zu haben: Sogar die Pharmaindustrie selbst weiß demnach nicht genau, wie viele dieser Studien laufen. Im Juli veröffentlichte der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) eine Pressemitteilung. Darin ist die Rede von „nicht-interventionellen Studien“ (NIS), ein Oberbegriff, unter dem die Anwendungsbeobachtungen ebenfalls erfasst werden. Der Verband schreibt, seine Mitgliedsunternehmen hätten „nur 37 NIS“ in 2015 initiiert.

Tatsächlich waren es deutlich mehr, wie die Auswertung von NDR, WDR, SZ und Correctiv zeigt. Demnach haben die Firmen etwa 50 AWB begonnen, hinzu kommen knapp 30 Beobachtungsstudien, die von Behörden angeordnet wurden und die ebenfalls zu den NIS zählen. Diese Angaben stammen von der KBV. Dort müssen alle NIS inklusive Angaben zu den Honoraren gemeldet wer­den.

Auf Nachfrage zu der Diskrepanz teilte der vfa mit, er habe die öffentlich zugäng­lichen Datenbanken des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) genutzt. Sie hätten jetzt aufgrund der Recherche die Register erneut durchsucht. Dabei seien sie nunmehr auf 41 AWB ihrer Mitglieder (ohne Töchter­unternehmen) gekommen. Die Datenbank der KBV hätten sie nicht verwendet, da diese nicht öffentlich zugänglich sei, hieß es. Die KBV hat die Zahlen mittlerweile transpa­rent gemacht und online im Internet veröffentlicht. Auch auf der Internetseite correctiv.org/awb sind alle Daten der KBV zu AWB aus den Jahren 2009 bis 2015 einsehbar.

Die KBV weist darauf hin, dass die Entscheidung, an einer AWB teilzunehmen oder nicht teilzunehmen, immer dem Arzt überlassen bleibe. „Nur dieser erhält während der Rekru­tierungsphase Informationen, die eine Beurteilung zulassen, ob die AWB sinnvoll, praxisrelevant und geeignet ist und eine angemessene Aufwandsentschädigung bietet“, heißt es. Entscheidungskriterien hat die KBV beispielsweise in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt (2009) benannt und die wichtigsten Tipps zusammengefasst (siehe Kasten).

may/EB

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