Arme Kinder werden immer ärmer

Berlin – Trotz des Wirtschaftswachstums der vergangenen Jahre und der gesunkenen Arbeitslosigkeit bleibt die Armutsquote in Deutschland hoch. Insbesondere Alleinerziehendenhaushalte und Paare mit drei und mehr Kindern haben für ihre Kinder weniger Geld zur Verfügung. Das geht aus dem neuen Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes hervor.
Er geht darin unter anderem der Frage nach, wie viel Geld Familien mit Kindern zur Verfügung haben und was sie für die physischen und für soziale Grundbedarfe der Kinder ausgeben. Datengrundlage der Expertise sind allerdings Zahlen der Jahre 2003 bis 2013.
Der Verband plädiert auf Grund der Ergebnisse für eine einkommens- und bedarfsorientierten Kindergrundsicherung. Dies unterstützt die Brandenburgische Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Susanna Karawanskij (Linke). „Bestehende kindbezogene Transferleistungen sollen durch eine einheitliche Kindergrundsicherung ersetzt werden“, appellierte sie. Zudem sei es an der Zeit, endlich Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, so die Ministerin.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte: „Die Studie zeigt sehr deutlich, dass die Schere zwischen arm und reich immer weiter aufgeht. Das viele Geld aus der Familienförderung kommt bei denjenigen, die es am dringendsten brauchen, kaum an.“ Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte: „Jeden Tag erleben Millionen Kinder die Abwertung und Demütigung, die mit Armut einhergehen.“ Auch die Vize-Chefin der SPD-Fraktion, Katja Mast, befürwortete langfristig eine Kindergrundsicherung.
Daten bis 2013
Für die Erhebung hat der Verband eine Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichproben des Statistischen Bundesamts mit Daten von 2003 bis 2013 herangezogen. Er stellte Ergebnisse am Beispiel von Paaren mit einem Kind dar. Demnach betrug das Einkommen bei den zehn Prozent dieser Familien am unteren Ende der Verdienstskala 2013 im Schnitt 1.550 Euro. Bei den zehn Prozent dieser Familien mit den größten Einkommen waren es 8.642 Euro. Der Durchschnitt war 3.762 Euro.
Damit sei das Einkommen bei den ärmsten Familien innerhalb von zehn Jahren im Schnitt um 3,2 Prozent gesunken. Bei den reichsten habe es seit 2003 um 0,8 Prozent zugelegt. Auch die Durchschnittseinkommen hätten zugenommen, nämlich um 1,6 Prozent.
Den Familien am unteren Ende der Einkommensskala sei es im Schnitt nicht gelungen, ihre Ausgaben für den Grundbedarf aus dem Einkommen zu decken. Im Schnitt hätten diese Ausgaben 2013 um 135 Euro über dem Einkommen gelegen. Viele Familien müssten deshalb Schulden machen.
Arme Familien hatten 2013 laut der Analyse weniger Geld zur Verfügung als noch zehn Jahre zuvor, um ihren Kindern mehr als das physisch Notwendige zu finanzieren. „Arme Kinder werden ärmer und immer weiter abgehängt. Das, was für die Mehrheit Gleichaltriger selbstverständlich ist, bleibt ihnen auf Grund der Einkommenssituation ihrer Eltern versagt“, erläuterte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
Sie hätten daher das Gefühl, nicht dazu zu gehören, ausgegrenzt zu sein und abseits stehen zu müssen. „Frust, Resignation, weniger Bildungserfolg und höhere Krankheitsanfälligkeit sind schließlich sehr häufig die Folgen der Einkommensarmut der Familien“, so Schneider.
Laut dem Bericht gaben die reichsten zehn Prozent der Familien im Jahr 2013 im Schnitt 1.200 Euro im Monat für ihr Kind aus. Die durchschnittlichen Ausgaben für ein Kind lagen bei rund 600 Euro. Die ärmsten zehn Prozent der Paarhaushalte mit einem Kind konnten sich dagegen nur 364 Euro pro Monat für ihr Kind leisten. Besonders eklatant seien die Differenzen bei den Ausgaben für die sozialen Grundbedarfe.
Insgesamt konnten die ärmsten Paarhaushalte mit einem Kind 44 Euro pro Monat für Freizeit, Unterhaltung und Kultur sowie außerhäusliche Verpflegung ihres Kindes ausgeben und damit preisbereinigt fast 30 Prozent weniger als zehn Jahre zuvor. Der Durchschnitt gab für ein Kind fast drei Mal so viel (123 Euro) aus, die reichsten zehn Prozent der Familien dagegen sogar 257 Euro und damit fast sechs Mal so viel wie die ärmsten Familien und preisbereinigt 14,7 Prozent mehr als zehn Jahre vorher.
„Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich manifestiert sich am Ende im sozialen Ausschluss der Kinder“, so Mit-Autor der Studie Andreas Aust von der Paritätischen Forschungsstelle.
Der Verband hat für die Analyse auf Daten des Statistischen Bundesamtes zurückgegriffen, genauer, auf die „Einkommen-Verbrauchsstichprobe“. Diese wird aber nur alle fünf Jahre erhoben. Die für die Studie einschlägige Auswertung der jüngsten Erhebung von 2013 liegt laut dem Verband erst seit dem vergangenen Jahr vor. Verbandsgeschäftsführer Schneider zeigte sich jedoch sicher, dass sämtliche Negativtrends bis heute andauerten.
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