Vermischtes

Armut nimmt weiterhin großen Einfluss auf Gesundheit

  • Montag, 17. März 2025
Uploaded: 04.03.2015 19:28:13 by mis
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Berlin – Sozioökonomische Faktoren haben weiterhin einen großen Einfluss auf die gesundheitliche Situation von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland. In Bezug auf die Lebenserwartung und die psychische Gesundheit von Heranwachsenden sprachen Fachleute heute bei der Eröffnung des Kongresses Armut und Gesundheit 2025 von besorgniserregenden Entwicklungen.

„Die Lebenserwartungslücke hat sich über den 20-Jahres-Zeitraum von 2003 bis 2022 vergrößert“, sagte Jens Hoebel, stellvertretender Leiter des Fachgebiets „Soziale Determinanten der Gesundheit“ in der Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring am Robert-Koch-Institut (RKI). Dies hätten die Ergebnisse einer aktuellen RKI-Analyse auf Grundlage bundesweiter Sterbedaten gezeigt.

Demnach hätten Frauen in Wohnregionen mit der höchsten sozio-ökonomischen Benachteiligung zuletzt eine um 4,3 Jahre kürzere Lebenserwartung als jene in den wohlhabendsten Wohnregionen gehabt. Bei Männern habe die Differenz bei 7,2 Jahren gelegen. Anfang der 2000er Jahre habe die Lebenserwartungslücke bei Frauen noch 2,6 Jahre betragen, bei Männern 5,7 Jahre.

„Bereits vor der COVID-19-Pandemie entwickelte sich die Lebenserwartung in den wohlhabendsten Regionen günstiger als in den am stärksten benachteiligten Regionen“, betonte Hoebel. In der Pandemie sei die Lebenserwartung von Frauen und Männern dann besonders in den benachteiligten Gebieten gesunken. Beide Entwicklungen hätten letztlich zur Ausweitung der Lebenserwartungslücke beigetragen.

Gesundheitliche Ungleichheit hat sich verstärkt

„Die Befunde weisen darauf hin, dass sich die gesundheitliche Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten verstärkt hat“, so Hoebel. Auch in einem wohlhabenden Land wie Deutschland hingen die Gesundheits- und Lebenschancen nach wie vor eng mit der sozialen Lage zusammen. Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status erkrankten häufiger und verstürben dadurch durchschnittlich früher als Gleichaltrige mit höherem sozioökonomischem Status.

Die internationale Kinder- und Jugendgesundheitsstudie „Health Behaviour in School-Aged Children“ (HBSC) kommt in Bezug auf sozioökonomische Benachteiligung und gesundheitlicher Situation zu ähnlichen Ergebnissen. Jugendliche aus sozioökonomisch schwächeren Familien in Deutschland litten demnach in den vergangenen 30 Jahren etwa häufiger unter psychosomatischen Beschwerden als Gleichaltrige aus sozioökonomisch besser gestellten Familien. Im Jahr 2022 stiegen die Prävalenzen insgesamt an, allerdings unabhängig von der sozialen Herkunft.

Deutliche sozioökonomische Ungleichheiten finden sich der HBSC-Studie zufolge auch im subjektiven Wohlbefinden und der Lebenszufriedenheit von Jugendlichen. Diese waren bei Kindern mit niedrigem familiärem Wohlstand im Jahr 2022 um das Zwei- bis Dreifache schlechter ausgeprägt als bei Gleichaltrigen.

„Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich in den letzten 30 Jahren deutlich verschlechtert – insbesondere während der Pandemie“, betonte Anne Kaman, Gesundheitswissenschaftlerin und stellvertretende Leiterin der Forschungssektion Child Public Health der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

„Psychosomatische Beschwerden nehmen zu, während sich die Einschätzung der subjektiven Gesundheit und Lebenszufriedenheit verschlechtert hat. Dabei zeigen sich deutliche Geschlechterunterschiede: Mädchen berichten weitaus häufiger von Belastungen als Jungen“.

Gesundheitliche Chancengleichheit für Kinder nicht erreicht

Kevin Dadaczynski, HBSC-Studienverbundsleiter und Professor für Gesundheitsinformation und Gesundheitskommunikation an der Hochschule Fulda, sagte: „Seit über 30 Jahren zeigen sich in Deutschland Unterschiede in der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nach ihrer sozialen Herkunft – es ist uns in dieser Zeit nicht gelungen, gesundheitliche Chancengleichheit für Kinder zu erreichen“.

Gesundheit und Bildung gingen Hand in Hand, weshalb Schulen Orte sein müssten, die ein gesundes Aufwachsen förderten und Bildung für alle ermöglichten. Dadaczynski forderte daher verbindliche schulgesetzliche Regelungen, die die Gesundheit auf allen Ebenen der Schule sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildung des Schulpersonals verankern.

„Die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen und die Ungleichheit der Bildungschancen sind seit 1995 nahezu kontinuierlich gestiegen“, sagte Rolf Rosenbrock, Vorstandvorsitzender Gesundheit Berlin-Brandenburg. Die Zahlen von RKI und HBSC zeigten, dass die Thematisierung und öffentliche Wahrnehmung noch nicht notwendig zu einer angemessenen politischen Bearbeitung führten.

Die Qualitätssicherung und Evaluation weise noch große Defizite auf, ferner würden GKV-Mittel für die Prävention in Lebenswelten nicht zielgenau zur Verminderung sozial bedingte Ungleichheiten verwendet werden. Der Kongress müsse daher auch ein starkes Signal für die Koalitionsverhandlungen liefern und mit Blick auf das neue Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) aufzeigen, dass die Zeit reif sei für ein modernes und effektives Public Health System in Deutschland.

„Eine demokratische Gesellschaft muss sicherstellen, dass Gesundheitsversorgung allen zugänglich ist“, betonte Christoph Aluttis, Referatsleiter im BIÖG. Für das BIÖG seien Public Health und gesundheitliche Chancengleichheit untrennbar miteinander verbunden, weshalb man versuchen werde, Menschen unabhängig von ihrer sozialen Lage die bestmöglichen Chancen auf ein gesundes Leben zu ermöglichen.

In der Eröffnungsveranstaltung ging Claudia Röhl, Leiterin des Fachbereichs „Gesundheitlicher Umweltschutz und Schutz der Ökosysteme“ im Umweltbundesamt, schließlich auch auf den Zusammenhang von Umweltschutz, soziale Fragen und Gesundheitsschutz ein. Haushalte mit geringem Einkommen seien demnach häufiger Mehrfachbelastungen aus schlechter Luftqualität, Lärm und heißen Tagen ausgesetzt als finanziell besser gestellte Haushalte.

„Die Höhe des Einkommens darf nicht über eine höhere oder geringere Belastung mit Umweltschadstoffen entscheiden“, sagte sie. „Gesunde Umwelt- und Lebensverhältnisse für und mit allen Menschen herzustellen, sei gelebte Demokratie. Das Umweltbundesamt setze sich dafür ein, die ungleiche Verteilung von Umweltbelastungen zu verringern und zu beseitigen.

Ina Czyborra, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege im Land Berlin, ging schließlich verstärkt auf das Motto „Gesundheit fördern, heißt Demokratie fördern“ des diesjährigen Kongresses ein. „Gesundheit ist auch ein demokratisches Projekt“, betonte sie. Die Menschen müssten erleben, dass ihre Anliegen gehört würden und auf ihre Rechte geachtet werde. Man müsse sie deshalb nicht nur unterstützen, sondern ihnen auch Mitbestimmung ermöglichen.

nfs

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