Barmer GEK: Kassen geben viel Geld für unnütze Arzneimittel aus

Berlin – Knapp elf Prozent der Arzneimittelausgaben der Barmer GEK und damit rund 440 Millionen Euro entfielen im Jahr 2013 auf Scheininnovationen. Das ist eines der Ergebnisse des Arzneimittelreports 2014 der Krankenkasse. „Diese Arzneimittel sind überflüssig, teuer und haben für Patienten keinen erkennbaren Mehrwert“, sagte Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, bei der Vorstellung des Reports heute in Berlin.
Würden die sogenannten Me-Too-Präparate durch Generika ersetzt, könnte allein die Barmer GEK ihre Arzneimittelausgaben um rund fünf Prozent und damit 200 bis 250 Millionen Euro senken. Für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung (GKV) würde das Einsparpotenzial rund 1,6 Milliarden Euro betragen, wie einer der Autoren des Reports, Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen erklärte.
Glaeske kritisierte die Entscheidung der Großen Koalition, auf die Nutzenbewertung des Bestandsmarktes zu verzichten. Die Krankenkassen würden dadurch noch viele Jahre mit hohen Ausgaben belastet. Schließlich seien die 20 umsatzstärksten Arzneimittel in Deutschland Bestandsmarktarzneimittel.
Verzicht auf den Bestandsmarktaufruf gefährdet Arzneimittelsicherheit
Der Verzicht auf den Bestandsmarktaufruf wirke sich seiner Ansicht nach auch erkennbar zulasten der Arzneimittelsicherheit aus. Der Bremer Pharmakologe machte dabei etwa auf die neuen oralen Antikoagulanzien aufmerksam, deren Anteil an den Gesamtausgaben für Mittel zur oralen Antikoagulation mittlerweile bei 86,8 liegen soll. Allein der Umsatz mit dem Arzneimittel Xyrelto habe innerhalb eines Jahres um 205 Prozent auf rund 282 Millionen Euro zugenommen.
„Bei den neuen Antikoagulanzien ist dringend eine Schaden-Nutzen-Bewertung erforderlich“, warnte Glaeske. So würden bei den neuen Gerinnungshemmern beispielsweise wirksame Gegenmaßnahmen fehlen, um unerwünschte Blutungen zu stillen, wie es bei bewährten Arzneimitteln wie Marcumar der Fall sei.
Insgesamt hat die Barmer GEK dem Arzneimittelreport zufolge im Jahr 2013 knapp 4,2 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben und damit 2,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Den 9,1 Millionen Versicherten der Barmer GEK wurden 80,4 Millionen Packungen Arzneimittel verordnet, das sind 8,8 Packungen pro Versichertem. Der Anstieg geht laut Report vor allem auf das vierte Quartal 2013 zurück. Nach einem moderaten Anstieg von 1,2 Prozent im ersten bis dritten Quartal, wuchsen die Ausgaben im letzten Viertel um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Auch für 2014 zeichnen sich hohe Ausgabensteigerungen bei den Arzneimitteln ab. Allein im ersten Quartal 2014 wuchsen aktuellen Statistiken zufolge die Arzneimittelausgaben um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Den Grund dafür sieht Schlenker in erster Linie in dem gesenkten Hersteller-Zwangsrabatt. Dieser war zu Jahresanfang zunächst von 16 auf sechs Prozent reduziert worden, seit April beträgt er sieben Prozent. „Arzneimittel werden politisch gewollt wieder zum Preistreiber und gefährden somit längerfristig die Beitragssatzstabilität in der GKV“, beklagte der Vize-Chef der Krankenkasse. Es sei deshalb nur eine Frage der Zeit, wann sich die Branche wieder auf Kostendämpfungsmaßnahmen einstellen dürfe.
Dennoch stellt Schlenker dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) ein gutes Zeugnis aus. Es sei ein sinnvoller Filter, um echte von Scheininnovationen zu trennen. So kann sich der stellvertretende Barmer GEK-Vorstandsvorsitzende sogar vorstellen, die Zulassung von Arzneimitteln an eine Nutzenbewertung als „vierte Hürde“ zu knüpfen.
VFA strikt gegen „vierte Hürde“
In einer Stellungnahme sprach sich Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), vehement gegen die Einführung einer solchen „vierten Hürde“ aus. „Statt neue Reglementierungen einzurichten, sollte man die vorhandenen Steuerungsinstrumente endlich fair ausgestalten, und auf diese Weise dafür sorgen, dass der Fortschritt die Patienten erreicht“, teilte sie mit. Die Idee einer „vierten Hürde“ würde hingegen darauf hinaus laufen, Patienten weit länger als bisher auf Neuerungen warten zu lassen, während über deren Zusatznutzen debattiert wird.
Frühe Nutzenbewertung allein nicht ausreichend
Schlenker geht allerdings noch weiter. Denn aus seiner Sicht ist die frühe Nutzenbewertung allein nicht ausreichend. Er forderte eine zusätzliche regelhafte Spätbewertung. „Hier sollten Erkenntnisse aus dem Versorgungsalltag im Rahmen einer nachträglichen Kosten-Nutzen-Bewertung einfließen“, sagte er.
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (bpi) übte ebenfalls scharfe Kritik an dem Bericht der Krankenkasse. „Auch wenn man Aussagen jedes Jahr wiederholt, werden sie nicht richtiger", erklärte der Verband in einer Stellungnahme. Die Kasse werfe mit „irgendwelchen Prozentzahlen" um sich, ohne deren Berechnungsbasis zu nennen. Die Forderung nach einer Nutzenbewertung zu einem späteren Zeitpunkt sei zugleich ein Zeichen für Unkenntnis der derzeitigen Situation. Viele Nutzenbewertungen seien befristet und mit der erneuten Vorlage von weiteren Studien zu einer späteren Neubewertung verbunden, so der bpi.
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