Politik

Betriebskranken­kassen klagen über zu viele Operationen

  • Dienstag, 3. Dezember 2019
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München – Die bayerischen Betriebskrankenkassen (BKK) beklagen eine Überversorgung und mangelnde Qualität zulasten der Patienten in vielen Krankenhäusern. Nach Ein­schätzung des BKK-Landesverbands haben wirtschaftliche Erfordernisse des Kranken­hausbetriebs dazu geführt, dass Patienten nicht notwendige Therapien und Operationen verordnet werden.

„Schlimm ist, wenn die Behandlung nicht am Menschen ausgerichtet wird, sondern an der Wirtschaftlichkeit“, sagte Sigrid König, die Vorsitzende des BKK-Landesverbands. „Das Gesundheitswesen gehört zur Daseinsvorsorge, es darf nicht nach gewinnorientierten Grundsätzen des ‚jeder der kann, der darf’ organisiert sein.“

Der BKK-Landesverband, die AOK und mehrere weitere Krankenkassen fordern von der Staats­regierung eine Bestandsaufnahme der Krankenhausversorgung und der Qualität der Versorgung. Vorbild ist Nordrhein-Westfalen, wo die Landesregierung eine solche Unter­suchung in Auftrag gegeben hatte.

Ergebnis war, dass es in den Städten teilweise Überversorgung, auf dem Land hingegen eine Unterversorgung gibt. Das Düsseldorfer Gesundheitsministerium stellte zudem fest, dass bestimmte Operationen – etwa der Bauchspeicheldrüse und nach Herzinfarkten – häufig in Krankenhäusern durchgeführt wurden, deren Chirurgen die empfohlene Erfah­rung fehlte.

Krankenhausgesellschaft weist Kritik stets zurück

Die Debatte ist nicht neu – im Freistaat weist die Bayerische Krankenhausgesellschaft (BKG) Vorwürfe regelmäßig zurück und wirft den Kritikern im Gegenzug Verunsicherung der Patienten vor. Die Staatsregierung wiederum hat das Ziel, die Krankenhausversorgung in Bayern auszubauen.

„Wir haben zu viele Betten im städtischen Bereich“, sagte König. „Wir haben sehr gute Häu­ser mit Maximalversorgung, aber wir haben auch Krankenhäuser, in denen die Quali­tät der Versorgung nicht stimmt.“

Nach Königs Einschätzung ist dies in Teilen eine Folge des 2003 eingeführten Abrech­nungs­­sys­tems mit diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG). Die Vergütung der Kranken­häuser richtet sich nach der Diagnosegruppe, in die ein Patient eingeordnet wird, es wird nicht jede medizinische Leistung einzeln abgerechnet. Viele Krankenhäuser in Deutsch­land schreiben rote Zahlen.

„Eine Folge des DRG-Abrechnungssystems ist, dass mehr operiert wird“, sagte König. „50 Prozent der Patienten kommen über die Notaufnahme ins Krankenhaus – und sie bleiben zum Teil, weil das Krankenhaus ein wirtschaftliches Interesse daran hat, dass sie bleiben.“ Die Krankenhäuser hätten mehr Operateure eingestellt, aber nicht gleichwertig mehr Pflegepersonal. „Die Folge all dieser Entwicklungen sind Qualitätsmängel, und diese führen zu vermeidbaren Todesfällen.“

König und andere Kritiker berufen sich dabei auch auf eine kürzlich veröffentlichte Studie des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) im Auftrag der Bertels­mann-Stiftung, derzufolge deutschlandweit zu viel diagnostiziert und operiert wird.

„In München wurden laut Bertelsmann-Daten in 20 von 25 Krankenhäusern, die Herz­in­farkte behandeln, weniger als die empfohlenen 309 Behandlungen pro Jahr durchge­führt“, sagte König. „Von diesen 25 hatten zehn keinen Herzkathetermessplatz, der für eine quali­fizierte Behandlung notwendig ist.“

Ein weiteres Beispiel: „Achtzig bis neunzig Prozent der Menschen, die an Rückenschmer­zen leiden, haben unspezifische Ursachen“, sagte König. „Das heißt, nur zehn bis 20 Prozent haben eine feststellbare somatische Ursache, wie eine Fraktur oder Bandscheibenvorfall.“

Die medizinischen Leitlinien sehen vor, dass nur dann operiert werden soll, wenn alle konven­tionellen Therapieoptionen ausgeschöpft sind, etwa die Physiotherapie. „Die Leit­linien­empfehlung wird aber häufig missachtet, und es wird ein wesentlich höherer Anteil operiert als notwendig wäre“, sagte König. Denn Krankenkassen gehe es dabei nicht um Kostensenkung, sondern um Verbesserung der Qualität.

dpa

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