Politik

Biomarkerbasierte Brustkrebstests: G-BA-Verfahren läuft weiter

  • Dienstag, 24. April 2018

Berlin – Noch steht die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) aus, ob und welche biomarkerbasierten Brustkrebstests in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgenommen werden. Über das Für und Wider der Kostenübernahme dieser Tests diskutierten heute bei der Veranstaltungsreihe „Diagnostik-Dialog“ in Berlin Ärzte, Betroffene sowie unabhängige Experten.

„Es ist uns wichtig, sowohl die Befürworter als auch die Zweifler an einen Tisch zu bringen“, erklärte der Veranstalter Herbert Rebscher, Geschäftsführer des Instituts für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der DAK. Nur so könne eine Verständigung über eine moderne und angemessene Therapie gelingen.

IQWiG: Daten fehlen

Generell diskutiert wird das Thema seit Jahren: Ende vergangenen Jahres kam das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu dem Schluss, dass weiterhin verlässliche Daten zum möglichen Nutzen der Tests fehlen. Den Auftrag für das Gutachen hatte das Institut 2014 vom GBA erhalten, um den Nutzen eines Einsatzes von Biomarkern für die Therapieentscheidung bei Brustkrebspatientinnen zu ermitteln.

Diese Einschätzung ­­kritisieren Frauenärzte, Pathologen sowie Patientenverbände. Sie argumentieren, dass nach derzeitiger Datenlage die Biomarker ihre Erwartungen erfüllen und die Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie für die Patientinnen mit primärem Hormonrezeptor-positivem, HER2/neu-negativem Mammakarzinom erleichtern können. Sie wünschen deshalb eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Lohnend für viele Patientinnen

So auch Nadja Harbeck, Leiterin des Brustzentrums der Universität München sowie Wissenschaftliche Leiterin der Westdeutschen Studiengruppe. Die Brustkrebsspezialistin ist überzeugt, dass aus klinischer Sicht ausreichend valide Daten für die Nutzung der Tests vorliegen: „Es gibt keinen Zweifel, dass die Tests in die Regelversorgung übernommen werden sollten“, sagte sie in Berlin.

Harbeck geht davon aus, dass sich die Tests bei fast der Hälfte der Brustkrebs-Patientinnen lohnen würden. Momentan erhielten etwa 30.000 Brustkrebspatientinnen jährlich in Deutschland eine vorbeugende Chemotherapie – mit den oft nicht ausbleibenden Nebenwirkungen. Man wisse jedoch genau, dass viele diese Therapie gar nicht benötigten. „Patientinnen mit niedrigen Risiko darf man keiner Chemotherapie aussetzen. Das ist Körperverletzung“, betonte sie.

Dies untermauerte Renate Haidinger, Gründerin und Vorsitzende von Brustkrebs Deutschland. Sie stellte die Ergebnisse ihrer Online-Umfrage zu Langzeitnebenwirkungen der Brustkrebstherapie vor, nach denen viele Patientinnen stark unter der Chemotherapie leiden. „Wenn man die Langzeitnebenwirkungen, die das Leben der Patientinnen massiv beeinflussen, bei einem Teil vermeiden könnte, wäre das ein großer Gewinn“, sagte sie.

Abwarten bringt keinen Erkenntnisgewinn

Ähnlich argumentierte per Videoübertragung Christian Jakisch von der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Sana Klinikum Offenbach. „Wie lange will man Innovation noch zurückhalten?“, fragte der Gynäkologe. Aus seiner Sicht sprichts nichts gegen den Einsatz der Tests: Sie seien valide – sogar mit einer prospektiv bewiesenen Sicherheit versehen –, nicht invasiv und führten zu einer Kostenersparnis. „Weiteres Abwarten bringt keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn“, erklärte er.

Anderer Ansicht ist indes das IQWiG. Es sah in seinem Bericht Ende 2017 weder einen Nutzen noch einen Schaden für eine Patientin mit einem primären Mammakarzinom, wenn sie Biomarker-Tests zur Entscheidungsfindung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie heranzieht. Somit könne man gegenwärtig einer Frau mit klinisch hohem und genetisch niedrigem Risiko nicht guten Gewissens von einer Chemotherapie abraten, betonte Daniel Fleer aus dem Ressort „Nichtmedikamentöse Verfahren", der den Biomarkerbericht im IQWiG betreut, heute erneut.

Das IQWIG hatte untersucht, ob die Tests MammaPrint, Oncotype DX, Prosigna oder Femtelle sicherer oder genauer Auskunft über das Rückfallrisiko geben können als die herkömmlichen klinischen Tests und kam zu dem Schluss: „Es ist nicht nachgewiesen, dass einer der Biomarker-Tests das Rückfallrisiko zuverlässiger vorhersagen kann, als dies anhand klinischer Kriterien möglich ist. Verschiedene Biomarker-Tests können auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.“

Neue Studienergebnisse änderten daran bislang nichts, sagte Fleer. Der tatsächliche „Mehrwert“ der Biomarker-Tests für die Patientinnen mit primärem Hormonrezeptor-positivem, HER2/neu-negativem Mammakarzinom und bis zu drei befallenen Lymphknoten kann nach Ansicht des pharmaunabhängigen Instituts erst dann beurteilt werden, wenn weitere Ergebnisse der laufenden Studien vorliegen. Fleer verwies darauf, dass die Tests nur Fernrezidive bei der Ermittlung des Rückfallrisikos berücksichtigen würden. „Dadurch unterschätzen Biomarker-Tests das Risiko, erneut an Brustkrebs zu erkranken und berücksichtigen somit nicht ausreichend das krankheitsfreie Überleben", sagte der Experte.

Koch: Begrenzte Erkenntnisse

Solange unklar sei, ob die Tests tatsächlich helfen würden, eine bessere Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie zu treffen, müssten die Frauen ganz individuell auf die begrenzten Erkenntnisse über die Tests hingewiesen werden, betonte Klaus Koch, Ressortleiter Gesundheitsinformation beim IQWiG. Es sei individuell unterschiedlich, welches Rückfallrisiko einer Frau so niedrig erscheint, dass sie auf eine Chemotherapie verzichten wolle. Ob die biomarkerbasierten Tests das individuelle Rückfall-Risiko tatsächlich präziser vorhersagen könnten, sei nach wie vor unklar.

Für eine pragmatische Lösung plädierte Rebscher im Verlauf der Veranstaltung: Er warb für eine limitierte Zulassung der Tests in Deutschland und eine Evaluierung der Datenlage in einem multizentrischen Design.

ER

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