Ausland

Brustim­plantate-Skandal: TÜV Rheinland muss zahlen

  • Donnerstag, 14. November 2013
Uploaded: 14.11.2013 16:57:53 by mis
dpa

Köln/Toulon – Im weltweiten Skandal um Billig-Brustimplantate ist der TÜV Rheinland wegen mangelhafter Kontrollen zu einem Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt worden. Das Handelsgericht im südfranzösischen Toulon entschied am Donnerstag, dass der TÜV haftbar sei, weil er gegen "seine Kontroll- und Aufsichtspflichten" verstoßen habe. Erstmals wies damit ein Gericht dem deutschen Unternehmen in dem Skandal um minderwertige Brustimplantate der französischen Firma PIP eine Mitschuld zu.

„Wir sind schockiert.“ Der TÜV Rheinland machte am Donnerstag keinen Hehl aus seinem Entsetzen über das Urteil des Handelsgerichts im südfranzösischen Toulon. Zu Schadenersatz verdonnerte das Gericht den TÜV, weil er jahrelang seinen Qualitätsstempel an die französische Firma PIP vergab, die weltweit ein Vermögen mit minderwertigen Brustimplantaten machte. Für den TÜV geht es dabei nicht nur um den Imageschaden, sondern auch um eine mögliche Signalwirkung des Urteils von Toulon, denn in weiteren Ländern sind Klagen dazu anhängig.  

Der Argumentation des TÜV, dass er in dem Skandal um die hunderttausendfach verkauften Implantate selbst Opfer eines großangelegten Betruges geworden sei, folgte das Handelsgericht in Toulon nicht. Vielmehr hielt es dem renommierten deutschen Unternehmen vor, gegen „seine Kontroll- und Aufsichtspflichten“ verstoßen zu haben. „Das ist das erste Mal weltweit, dass die Haftbarkeit des TÜV in Betracht gezogen wird“, empörte sich dessen Anwältin Cécile Derycke.  

TÜV geht in die Berufung
Der TÜV kündigte umgehend Berufung an. Derycke räumte ein, dass ein Schadenersatz für das Unternehmen ein „erhebliches Risiko“ bedeute. Noch einmal hob sie hervor, dass sich der TÜV „strikt an die geltenden Regelungen gehalten“ habe. Doch genau dies hatten die Opfer angezweifelt: Obwohl der TÜV auch unangemeldet Kontrollen bei der Firma PIP hätte vornehmen können – was er freilich nicht musste –, tat er dies nie. Die Prothesen selbst, hebt der TÜV seit Beginn des Skandals Ende 2011 hervor, seien nicht Teil des Kontrollauftrags gewesen.  

Damals riefen die Gesundheitsbehörden mehrerer Länder, darunter Deutschlands, die betroffenen Frauen auf, sich die PIP-Einlagen vorsichtshalber wieder entfernen zu lassen. In Deutschland hatten sich etwa 5.000 Frauen die Brust-Prothesen einsetzen lassen, die schneller reißen und Entzündungen hervorrufen. Nicht erwiesen ist bisher, ob sie auch Krebs auslösen.  

PIP-Firmengründer Jean-Claude Mas hat bereits zugegeben, seit 1995 den Großteil seiner Einlagen mit einem Industriesilikon gefüllt zu haben. Dabei soll es sich um ein Gel gehandelt haben, wie es auch für Matratzen und Computer verwendet wird. Der über 70-Jährige gestand im Polizeiverhör auch unumwunden, dass seine Firma die TÜV-Kontrolleure systematisch hinters Licht führte. Später bestritt er aber, dass er selbst daran beteiligt gewesen sei, dass Unterlagen und ganze Container mit dem minderwertigen Produkt vor den Kontrollbesuchen zur Seite geschafft worden seien.  

Neben dem Zivilverfahren, das nun in Toulon in erster Instanz entschieden wurde, läuft in Frankreich auch ein Strafprozess wegen Betrugs in Marseille, wo mehr als 5.000 Frauen geklagt haben und das Urteil im Dezember fallen soll. Letztlich geht es in dem Skandal aber auch darum, wer für den immensen Schaden aufkommen muss.  

Firmengründer ist pleite
Der Firmengründer ist nach eigenen Angaben pleite. Der deutsche Versicherer Allianz sieht sich wie der TÜV, der auf eine Revision des Urteils von Toulon in höherer Instanz setzt, selbst als Opfer eines Betrugs. Am Pranger stehen außerdem die französische Arzneimittelaufsicht, Schönheitschirurgen und die EU wegen ihrer bisher schlappen Kontrollregelungen für Medizinprodukte.  

In Deutschland bekam der TÜV bisher bei allen Schadenersatzklagen Recht, doch auch in anderen Ländern drohen Urteile. So fordern 300 Frauen in Argentinien insgesamt 41 Millionen Euro von PIP und vom TÜV. Die Kläger in Toulon - Händler und fast 1.700 Frauen - sehen in dem Urteil vom Donnerstag daher einen „Fortschritt für alle Opfer weltweit“.

Ihrer Ansicht nach hätte der ganze Skandal durch schärfere Kontrollen des TÜV verhindert werden können, wie Anwalt Olivier Aumaitre im Prozess sagte: „Es hätte genügt, eine einzige der hunderttausenden Prothesen zu prüfen.“

afp

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