Bund startet Nationale Dekade gegen postinfektiöse Erkrankungen

Berlin – Das Bundesforschungsministerium (BMFTR) will den Fokus verstärkt auf Folgeerkrankungen von Infektionen wie etwa ME/CFS oder das Post-COVID-Syndrom lenken und in den kommenden zehn Jahren die Forschung in dem Bereich intensivieren. Dafür werde gemeinsam mit Partnern in der Gesundheitsforschung im kommenden Jahr eine sogenannte Nationale Dekade gegen postinfektiöse Erkrankungen ausgerufen, teilte das Ministerium in Berlin mit.
Es gehe darum, Ursachen, Grundmechanismen und darauf aufbauend neue Therapieoptionen für Betroffene zu erforschen. Über zehn Jahre sollen im Rahmen der Initiative ab 2026 rund 500 Millionen Euro bereitgestellt werden. Die Ankündigung kam im Zusammenhang mit der sogenannten Haushaltsbereinigungssitzung, bei der die Haushälter des Bundestages abschließend über die Ausgaben für das kommende Jahr beraten.
Was genau geplant ist
„Mit der Nationalen Dekade schlagen wir ein neues Kapitel in der Erforschung dieser Erkrankungen auf“, teilte Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) mit. „Wir benötigen eine langfristige Strategie, um die Ursachen und Mechanismen postinfektiöser Krankheiten besser zu verstehen und die Versorgung der Betroffenen nachhaltig zu verbessern.“
Das Konzept knüpft an die „Nationale Dekade gegen den Krebs“ an, die 2019 von der Bundesregierung ausgerufen wurde, um über die kommenden zehn Jahre mit verschiedenen Partnern wie der Deutschen Krebshilfe und dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), die Anstrengungen für Vorbeugung, Diagnostik und Therapien zu intensivieren.
Geplant ist nach Angaben des Ministeriums, dass unterschiedliche Forschungsprojekte zusätzlich gefördert werden, unter anderem in den Bereichen Pathophysiologie und Immunologie, Diagnostik und Biomarker, Neurologie/Psychische Gesundheit, Langzeitfolgen ME/CFS. Klinischen Studien würden sukzessive vorangetrieben und gestärkt. Außerdem sollen Nachwuchsgruppen gefördert werden.
Als weitere Eckpunkte nennt das BMFTR darüber hinaus das Schaffen einer neuen Datenbasis von Patientinnen und Patienten als Grundlage für neue Forschungsprojekte und zur Überprüfung neuer Therapieansätze. Zudem hofft man auf Erkenntnisse aus Genomsequenzdaten von nicht betroffenen sowie erkrankten Teilnehmenden großer bestehender Kohortenstudien.
Lauterbach hatte eine Milliarde Euro gefordert
Im Sommer hatte Ex-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Spiegel gefordert, dass Deutschland mindestens eine Milliarde Euro über drei oder vier Jahre in die Erforschung dieser Erkrankungen investieren sollte. Dass bisher so wenig passiert sei, obwohl man den Betroffenen Hilfe versprochen habe, bezeichnete der heutige Vorsitzende des Bundestags-Forschungsausschusses als „Staatsversagen“.
Bislang hat das BMFTR nach eigenen Angaben Mittel in Höhe von rund 64 Millionen Euro für wissenschaftliche Projekte zur Verfügung gestellt. Hinzu kämen Mittel im Rahmen der institutionellen Förderung. Im Bereich des Bundesgesundheitsministeriums laufen darüber hinaus verschiedene Versorgungsforschungsprojekte, die jeweils mit Mitteln im zweistelligen Millionenbereich, verteilt über mehrere Jahre, gefördert werden.
Ein Bericht der ME/CFS Research Foundation und des Unternehmens Risklayer hatte die gesellschaftlichen Gesamtkosten durch Long COVID und ME/CFS pro Jahr in Deutschland auf rund 63,1 Milliarden Euro beziffert. Die Zahl der Betroffenen wurde darin auf insgesamt etwa 1,5 Millionen geschätzt (davon rund 871 000 aktive Long COVID- und 650 000 ME/CFS-Fälle).
Die Dringlichkeit einer deutschen staatlichen Initiative hatte Lauterbach im Spiegel auch mit massiven Kürzungen in der biomedizinischen Forschung in den USA begründet. Hinzu komme, dass ME/CFS für die Pharmaindustrie in einer „Todeszone“ liege: Die Krankheit sei nicht häufig genug, damit ein Medikament Massenprodukt werden könnte, aber sie sei zu häufig, um hohe Preise wie für Arzneien gegen seltene Erkrankungen aufrufen zu können.
Außerdem wird von verschiedenen Krankheitsmechanismen ausgegangen, so dass einzelne Medikamente, die allen Betroffenen gleichermaßen helfen, als nicht wahrscheinlich gelten.
Erst zu Wochenbeginn war in einer Anhörung der Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie über Long COVID und ME/CFS diskutiert worden. Betroffenenorganisationen kritisierten dabei die aus ihrer Sicht bislang unzureichende Förderung der Therapieforschung, das Deutsche Ärzteblatt berichtete. Zuletzt hatten verschiedene Medien über Einsparungen der Koalition im Bereich Long COVID und ME/CFS berichtet
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