Politik

Bundesdrogen­beauftragter: Sportwettensucht boomt

  • Donnerstag, 1. Dezember 2022
/wpadington, stock.adobe.com
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Berlin – Der Bundesbeauftragte für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, übernimmt die Schirmherrschaft über das Bündnis gegen Sportwetten-Werbung. Das erklärte er heute in Berlin. Damit wolle er helfen, dem sich schnell verschärfenden Problem der Sportwettenabhängigkeit entgegenzutreten.

Seit der Liberalisierung des Glücksspielmarktes vor anderthalb Jahren ist er auf Wachstumskurs: 34 Sportwettanbieter mit bis zu sieben Wettportalen und 14 Anbieter virtueller Automatenspiele mit bis zu drei verschiedenen Portalen gibt es mittlerweile laut dem Fachverband Glücksspielsucht (FAGS).

Um 21 Prozent auf 9,4 Milliarden Euro ist der Umsatz allein von Sportwettenanbietern im vergangenen Jahr gestiegen. „Dahinter liegt sogar Lotto mit 7,9 Milliarden Euro zurück“, sagte Blienert. Insbesondere im Fußball haben sich Sportwetten mittlerweile komplett etabliert.

Parallel dazu steigt die Zahl der Menschen mit Spielsucht: 1,4 Millionen Menschen in Deutschland würden mittlerweile pathologisch spielen. „Fast jeder Dritte, der eine Sportwette abschließt, hat ein Problem“, erklärte Blienert heute bei der Jahrestagung des Verbands. Das sei alarmierend. „Die Zahlen zeigen, dass wir etwas verändern müssen.“

Eine entscheidende Rolle spiele dabei die Werbung, die nicht nur im Pay-TV, sondern sogar im öffentlich-rechtlichen Programm gezeigt werde. Über 40 Prozent der von Spielsucht Betroffenen würden aufgrund von Werbung ein neues Spiel ausprobieren. Vor allem der Fußball sei mittlerweile fest mit der Werbung für Wettanbieter verbunden, beklagte Blienert: „Ich finde, die Bratwurst gehört dazu, die Sportwette nicht.“

Er wiederholte deshalb seine Forderungen nach einer Einschränkung solcher Werbung und kündigte an, die Schirmherrschaft über das kurz vor dem diesjährigen Beginn der Fußballsaison ins Leben gerufenen Bündnis gegen Sportwetten-Werbung zu übernehmen. Dem gehören neben zahlreichen Verbänden aus dem Fußballumfeld auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen sowie mehrere Landesstellen an.

Selbst mit einer stärkeren Regulierung von Sportwettenwerbung wäre es aber nicht getan. „Deutschland hat nicht nur ein Regulierungs-, sondern auch ein Kontroll- und Vollzugsdefizit – und zwar ein enormes“, kritisierte der SPD-Politiker. So werde viel zu wenig gegen illegales Glücksspiel unternommen. Nicht nur die Länder, auch die Kommunen müssten da genauer hinschauen.

„Wie kann es sein, dass es im vergangenen Jahr gerade einmal 146 Verurteilungen wegen illegalen Glücksspiels gab?“, fragte er. Im Vergleich dazu habe es 40.000 Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz gegeben.

Blienert zog eine Parallele zur geplanten Legalisierung von Cannabis als Genussmittel: „Wenn wir im Bereich Cannabis den Schwarzmarkt zurückdrängen wollen, dann ist es nur folgerichtig, auch illegale Glücksspielanbieter stärker zu bekämpfen.“

Die Anbieter wiederum würden ebenfalls keinerlei Engagement zeigen, illegale Machenschaften zu unterbinden. „Statt sich um eine weiße Weste zu bemühen, klagen die Glücksspielunternehmen nun“, kritisierte Blienert. Ziel sei eine Anhebung der gesetzlichen Höchstgrenze von 1000 Euro Einsatz im Monat, „Sie halten 1.000 Euro im Monat für zu wenig. Bei vielen Menschen ist das die Hälfte des Nettoeinkommens.“

Es brauche unter anderem bessere Identitätskontrollen und stärkere Einschränkungen der Verfügbarkeit, forderte FAGS-Vorstandsmitglied Jan-Philipp Rock. Bei Tabak und Alkohol habe sich ja bereits gezeigt, dass mit sinkender Verfügbarkeit auch der Konsum abnehme.

Und ebenso wie bei Tabak und Alkohol handele es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Sportwetten seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen, beklagte der Psychologe Tobias Hayer von der Arbeitseinheit Glücksspielsucht der Universität Bremen: „Wir haben hier kein Randphänomen mehr.“

Aus Sicht der Public-Health-Forschung seien die Schäden der Glücksspielsucht klar verteilt: Betroffen seien vor allem junge Männer mit niedrigem Bildungsstand sowie solche mit Migrationshintergrund.

Die FAGS-Vorstandsvorsitzende Ilona Füchtenschnieder brachte deshalb die Forderung nach einem Präventionsfonds ins Gespräch: So solle man am besten die Glücksspielunternehmen verpflichten, die Summe, die sie für Werbung ausgeben, in einen solchen Fonds einzuzahlen.

Die betonte allerdings auch, dass es bereits Positivbeispiele gebe: So müssten Betreiber bei Eröffnung eines Wettbüros die Herkunft des Kapitals nachweisen, um assoziierte Kriminalitätsformen wie Geldwäsche einzuschränken, während in Nordrhein-Westfalen anonyme Wetten verboten seien. „Das ist in anderen Ländern nicht so und wir müssen uns fragen, warum“, erklärte sie.

lau

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