Bundesratsausschüsse wollen Cannabisgesetz in den Vermittlungsausschuss schicken

Berlin – Die Ausschüsse für Gesundheit, Inneres und Recht des Bundesrates empfehlen die Überweisung des Cannabisgesetzes in den Vermittlungsausschuss. Neben inhaltlichen Einwänden kritisieren sie, dass der Gesetzentwurf den Landesbehörden zu wenig Zeit für die Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen lasse. Die Landesinnenminister von CDU und CSU wollen sogar eine Klage gegen die teilweise Cannabis-Legalisierung prüfen.
Die geplante kontrollierte Teilfreigabe von Cannabis als Genussmittel soll demnach erst im Oktober in Kraft treten - statt wie von der Bundesregierung gewollt bereits zum 1. April. „Nach Auffassung des Bundesrates sind vor dem Hintergrund der vielfältigen Auswirkungen des Cannabisgesetzes auf die Länder und Kommunen die im Gesetz enthaltenen Regelungen zum Inkrafttreten nicht ausreichend“, heißt es in der von den drei zuständigen Ausschüssen gemeinsam beschlossenen Empfehlung.
So seien allein in der Suchthilfe bereits so viele Maßnahmen zu ergreifen, dass dies bis zum geplanten Inkrafttreten nicht geleistet werden könne. So würden die Regelungen unter anderem in einem gesteigerten suchtpräventiven Beratungsaufwand gegenüber Konsumierenden und ihren Angehörigen resultieren sowie Schulungsangebote für Präventionsbeauftragte in Anbauvereinigungen voraussetzen, für die noch gar keine Mustercurricula zur Verfügung stehen.
Verbesserter Gesundheitsschutz aktuell nicht zu erreichen
Das Ziel eines verbesserten Gesundheitsschutzes sei unter diesen Voraussetzungen nicht zu erreichen. Medizinische Fachgesellschaften würden bereits seit Beginn der Legalisierungsdebatte auf die Gefahren des Cannabiskonsums insbesondere für junge Menschen hinweisen.
Gerade deshalb müsse der mit einer Legalisierung drohenden Verharmlosung von Cannabis dringend durch entsprechende Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen insbesondere für die Zielgruppe der jungen Menschen bis 25 Jahre begegnet werden. Im bisherigen Gesetzentwurf hingegen würden den Anreizen zu hohem Cannabiskonsum weder ausreichende noch effektive Präventionsmaßnahmen entgegengestellt.
So handele es sich bei den geplanten Präventionsmaßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum größten Teil um Angebote, die von der Zielgruppe aktiv in Anspruch genommen werden müssen, wie digitale Informationen zu Cannabis, digitale Beratungsangebote oder Informationen für Anbauvereinigungen.
Lebensweltbezogene Präventionsmaßnahmen sehe das Gesetz dagegen nicht vor. „Im Ergebnis können die bundesseitig geplanten Maßnahmen den Konsumanreizen aus dem Gesetz nichts Wirksames entgegensetzen, es ist damit den Ländern überlassen, darauf zu reagieren“, heißt es in der Empfehlung.
Auch für die Ausbildung der vorgeschriebenen Präventionsbeauftragten in den Anbauvereinigungen reiche die vorgesehene Zeit nicht aus. Um eine qualitätsgesicherte Schulung nach bundesweit einheitlichen Standards zu ermöglichen, müsse stattdessen mit dem Inkrafttreten des Gesetzes die ein dahingehendes Curriculum bereitgestellt werden, beispielsweise durch die BZgA.
Anforderungen an die Länderjustiz nicht zu erfüllen
Zudem seien die vorgesehenen Amnestieregelungen in der Kürze der Zeit schlicht nicht umsetzbar. „Die Regelung, mit der ein rückwirkender Straferlass bewirkt werden soll, führt zudem zu unannehmbaren und nicht leistbaren Anforderungen an die Länderjustiz betreffend eine sehr große Zahl von Strafvollstreckungsverfahren“, schreiben die Ausschüsse.
Das Auffinden und Bearbeiten der betroffenen Fälle sei lediglich händisch möglich, elektronische Auswertungen könnten nur Näherungstreffer erbringen. Denn in den Datenverarbeitungssystemen der Justiz würden bislang lediglich Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz erfasst werden, ohne nach der Betäubungsmittelart oder Menge und oftmals auch ohne nach der konkreten strafbaren Handlung zu differenzieren.
Allein in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen müssten demnach weit mehr als 10.000 Fälle neu bearbeitet werden. In anderen Bundesländern seien ähnliche Größenordnungen zu erwarten.
Erschwerend komme hinzu, dass es sich bei Straftaten mit Cannabisbezug oftmals um so genannte „deliktische Mischfälle“ handele. Der Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz durch Anbau und Besitz von oder Handel mit Cannabis ist dabei nur ein Bestandteil und oftmals nicht die schwerwiegendste Straftat, über die in solchen Fällen geurteilt wurde.
Nicht nur wäre die Lokalisierung solcher Fälle ein besonderes Problem, weil sie eben nicht primär als Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht eingetragen sind, sondern unter der schwersten zur Verurteilung gelangten Norm. Letztlich wäre in solchen Fällen zudem eine gerichtliche Entscheidung zur Neufestsetzung der Strafe herbeizuführen.
Allein die Feststellung, ob in einem jeweiligen Fall tatsächlich ein künftig sanktionsloses Verhalten vorliegt, erfordere eine komplexe inhaltliche Prüfung. Die Staatsanwaltschaften würden dafür je Fall durchschnittliche Werte von zwischen wenigen Minuten für einfach gelagerte Verfahren bis hin zu einer Stunde für schwierigere Sachverhalte veranschlagen.
Mengenbegrenzungen noch überarbeitungsbedürftig
Neben den Folgen für Justizsysteme der Länder sehen die Bundesratsausschüsse jedoch auch einzelnen inhaltliche Regelungen Vermittlungsbedarf. So seien unter Berücksichtigung der Stellungnahmen von Fachgesellschaften die aktuell festgelegten Mengenbegrenzungen zu verringern.
Vorgesehen sind für Erwachsene der erlaubte Besitz von 50 Gramm Cannabis aus dem Eigenanbau und das Mitführen von 25 Gramm im öffentlichen Raum. Junge Erwachsene bis 21 Jahre sollen in Anbauvereinigungen maximal 25 Gramm am Tag und 30 Gramm pro Monat erhalten, wobei der THC-Gehalt 10 Prozent nicht überschreiten darf.
Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), die Bundesärztekammer (BÄK), die Psychotherapeutenkammer und die Fachkräfte der Suchtberatung hätten jedoch mehrfach darauf hingewiesen, dass cannabisabhängige Jugendliche und Heranwachsende in der Regel zwischen einem und zwei Gramm Cannabis pro Tag konsumieren und die vorgesehene Abgabemenge den üblichen Bedarf von behandlungsbedürftigen Abhängigen decke.
„Das bedeutet, die Abgabenmenge ist für Genusskonsumierende wesentlich zu hoch“, heißt es in der Empfehlung. Auch die vorgesehenen Abstandsregelungen beim öffentlichen Konsum seien nicht geeignet, dem Ziel des Kinder- und Jugendschutzes gerecht zu werden.
Statt der vorgesehenen Sichtweite sei für die Vollzugsbehörden eine Regelung wie der bei Spielhallen viel besser handhabbar. Dabei wird – wie es im ersten Gesetzentwurf noch vorgesehen war – auf eine überprüfbare Meterangabe zurückgegriffen.
Unterdessen kündigte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nach einem heutigen Treffen an, eine Klage gegen das Gesetz prüfen zu wollen. „Wir waren uns einig, dass auf die Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden der Länder schwierige zusätzliche Aufgaben und ein immenser Aufwand zukommen. Das wollen wir auf keinen Fall akzeptieren“, sagte er.
Eine Anrufung des Vermittlungsausschusses sei deshalb das Mindeste zur Entschärfung der größten Defizite in dem Gesetzentwurf. „Wir prüfen auch eine Klage dagegen“, erklärte er. Der Gesetzentwurf sei an vielen Stellen unscharf, enthalte eine unüberschaubare Anzahl an Tatbeständen, und die Vielzahl von Detailregelungen verursache erhebliche Rechtsunsicherheiten.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) und sein sächsischer Amtskollege Armin Schuster (CDU) erklärten ihre Zustimmung. Insbesondere die vorgesehenen Besitz- und Abgabemengen hielten sie für „viel zu überdimensioniert“.
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