Vermischtes

Bundesverfassungs­gericht erweitert Elternbegriff

  • Dienstag, 9. April 2024
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht, (l-r) Henning Radtke, Stephan Harbarth, Vorsitzender des Senats und Präsident des Gerichts, und Yvonne Ott, verkündet das Urteil in Sachen „Regelungen zur Vaterschaftsanfechtung“./picture alliance, Uli Deck
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht, (von links) Henning Radtke, Stephan Harbarth, Vorsitzender des Senats und Präsident des Gerichts, und Yvonne Ott, verkündet das Urteil in Sachen „Regelungen zur Vaterschaftsanfechtung“. /picture alliance, Uli Deck

Karlsruhe – Kinder können aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mehr als zwei rechtlich verant­wortliche Elternteile haben. Das Grundgesetz gebe nicht im Detail vor, welche Personen Träger des Eltern­grundrechts und Inhaber der Elternverantwortung seien, sagte BVerfG-Präsident Stephan Harbarth heute in Karlsruhe.

Der Gesetzgeber könne gestalten, welche Menschen als rechtliche Eltern eines Kindes gelten würden – wer also Elternverantwortung für die Kinder erhält und ausübe. Insbesondere garantiere das Grundgesetz einem leiblichen Vater die Möglichkeit, auch rechtlicher Vater seines Kindes zu werden, so das BVerfG (Az. 1 BvR 2017/21). Da sowohl rechtliche Eltern als auch leibliche Eltern Träger des Elterngrundrechts seien, könne es etwa Kons­tellation aus einer Mutter, einem leiblichen und einem rechtlichen Vater geben.

Das höchste deutsche Gericht stärkte mit seinem Urteil die Rechte leiblicher Väter und betonte, dabei auch das Wohl der Kinder im Blick zu haben. Der Gesetzgeber muss eine Neuregelung schaffen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte das schon angekündigt. Geklagt hatte ein Mann aus Sachsen-Anhalt.

Das Gericht betonte, Eltern im Sinne des Grundgesetzes seien die „im herkömmlichen Sinn leiblichen Eltern des Kindes“. Gemeint sind damit nach Definition der Richterinnen und Richter „der Mann und die Frau, die das Kind durch Geschlechtsverkehr mit ihren Keimzellen gezeugt haben, wenn diese Frau anschließend das Kind gebo­ren hat“. Das Urteil bezieht sich also nicht zwingend auf genetische Eltern etwa im Fall einer künstlichen Be­fruchtung.

Wer Elternteil im Sinne des Grundgesetzes ist, muss laut der Entscheidung grundsätzlich die Möglichkeit ha­ben, rechtlich Verantwortung für sein Kind zu übernehmen. Es sei verfassungsrechtlich zulässig, fachrechtlich eine rechtliche Vaterschaft von mehr als einem Vater auszuschließen. In diesem Fall müsse dem leiblichen Vater aber ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, rechtlicher Vater werden zu können. Dem trage die bisherige Rechtslage nicht Rechnung, befand das Gericht.

Die gesetzlichen Regelungen zur Vaterschaftsanfechtung durch leibliche Väter seien mit dem Elterngrundrecht nicht vereinbar, urteilte der Erste Senat. Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2025 bleibe das Gesetz in Kraft. So sollen leibliche Väter auf Basis des bisherigen Rechts weiter Vaterschaften an­fechten können, wenn sie das für erfolgversprechend halten. Eingeleitete Verfahren seien auf Antrag aber aus­zusetzen.

Vater klagte sich durch die Instanzen

Geklagt hatte der unbestritten leibliche Vater eines heute dreijährigen Sohnes, um auch rechtlich in der Rolle anerkannt zu werden. Als rechtlichen Vater hatte die Mutter des Kindes jedoch einige Monate nach der Geburt ihren neuen Lebensgefährten eintragen lassen.

Der Kläger hatte schon davor einen Antrag auf Feststellung seiner Vaterschaft gestellt. Das Gerichtsverfahren zog sich, und schließlich blitzte der Mann am Oberlandesgericht (OLG) Naumburg ab. Er hat bisher Umgangs- und Auskunftsrechte, aber in geringerem Umfang.

Das OLG hatte sich auf eine frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) berufen, der zufolge das Recht des leiblichen Vaters auf Anfechtung der Vaterschaft ausnahmslos ausgeschlossen sei, wenn zwischen dem Kind und dem gesetzlichen Vater zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am Familiengericht eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Davon geht man aus, wenn der Mann und die Mutter verheiratet sind oder der Mann mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.

Letzteres war in der konkreten Konstellation der Fall. Das Bundesverfassungsgericht hob den Naumburger Beschluss nun auf und verwies das Verfahren zurück an das OLG.

Gesetzesänderung in Planung

In der Praxis war die bisherige Sichtweise höchst umstritten. Fachleute sowohl aus der Justiz als auch der Psy­chologie hatten sich im September bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe für Änderungen ausge­sprochen.

Justizminister Buschmann hatte schon vor dem Urteil eine Gesetzesreform angekündigt. Er will demzufolge die Rechtsposition von leiblichen Vätern stärken, die als rechtliche Väter Verantwortung für ihr Kind übernehmen möchten.

So ist in Eckpunkten zur Modernisierung des Abstammungsrechts eine Sperrwirkung eines Feststellungsver­fah­rens enthalten. „Solange ein gerichtliches Verfahren läuft, in dem ein Mann seine Vaterschaft feststellen lassen will, soll grundsätzlich kein anderer Mann die Vaterschaft für dieses Kind anerkennen können“, heißt es dazu beim Ministerium. Die Gesetzentwürfe sollen noch im ersten Halbjahr 2024 folgen.

Bei der Vorstellung der Eckpunkte hieß es allerdings auch, es bleibe dabei, dass ein Kind nur zwei rechtliche Eltern haben könne. Ob Buschmann an diesem Punkt nun nach dem Urteil festhält, wird sich zeigen.

dpa

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