Politik

Buschmann kündigt größte Familienrechtsreform seit Jahrzehnten an

  • Montag, 10. Januar 2022
/luckybusiness, stock.adobe.com
/luckybusiness, stock.adobe.com

Berlin – Die Bundesregierung will ihre angekündigte Familienrechtsreform nach Einschätzung von Bun­desjustizminister Marco Buschmann wohl bis zur Mitte der Wahlperiode beschließen. „Was wir im Koali­tionsvertrag vereinbart haben, ist vermutlich die größte familienrecht­liche Reform der letzten Jahrzehn­te“, sagte der FDP-Politiker.

Die im Koalitionsver­trag von SPD, Grünen und FDP vereinbarten Pläne sollen unter anderem unverhei­ra­teten Paaren, homosexuellen Eheleuten mit Kindern sowie Gemeinschaften, die nicht auf einer Liebes­be­ziehung fußen, neue rechtliche Möglich­keiten geben.

Die Lebenswirklichkeiten der Menschen in Deutschland hätten sich in den vergangenen Jahren stark ver­ändert. Im Familienrecht habe sich dies allerdings bisher kaum abgebildet, weil sich unter den Vorgän­gerregierungen der zurückliegenden 16 Jahre viele „einfach schwergetan haben mit den gesellschafts­poli­tischen Realitäten“.

Die wohl am stärksten beachtete Änderung auf dem Gebiet war die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare. Kurz vor Ende ihrer dritten Amtszeit 2017 hatte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Abstimmung über die gleichgeschlechtliche Ehe freigegeben. Sie selbst stimmte dagegen, doch auch dank etlicher Stimmen aus den Reihen der Union wurde die Ehe für alle in Deutschland Gesetz.

Die nun von SPD, Grünen und FDP geplante Reform werde grundlegende Veränderungen mit sich brin­gen, betonte Buschmann: „Wir denken und arbeiten hier tatsächlich in historischen Kategorien.“ Er sei insgesamt überzeugt, „dass wir bei unserer Reform auf eine sehr weitgehende gesellschaftliche Zu­stimmung aufbauen können“.

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte, es handele sich um ein Vorhaben von einer „historischen Dimension“. „Dieses Kapitel unseres Koalitionsvertrags zeigt wirklich eindrucksvoll, bei wie vielen gesellschaftspoli­ti­schen Themen die Union in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten konsequent auf der Bremse stand.“

Buschmann erklärte, ein wichtiger Baustein sei die geplante „Verantwortungsgemeinschaft“. Dieses neue Rechtskonstrukt werde viel Flexibilität bei der individuellen Ausgestaltung bieten. „Wir werden bei der Verantwortungsgemeinschaft voraussichtlich ein mehrstufiges Modell anbieten, das zu den verschiede­nen Lebenssituationen passt und eine unterschiedliche Intensität der Verantwortungsübernahme fürein­ander ermöglicht“, kündigte der Minister an.

Es gehe etwa darum, Seniorenwohngemeinschaften rechtlich abzusichern – etwa in der Frage, wer Aus­künfte erhält, wenn ein Mitbewohner ins Krankenhaus kommt oder wer Mieter der Wohnung ist, wenn ein Mitglied der Gemeinschaft stirbt.

Auch Alleinerziehende, die von Menschen außerhalb der eigenen Familie dauerhaft Unterstützung bei der Kinderbetreuung erhielten, könnten solche rechtssicheren Vereinbarungen nutzen. Schließlich erlebe man immer häufiger, dass sich Menschen jenseits der Familie zusammentun. Auch weil viele Menschen mobiler geworden seien, Eltern und ihre erwachsenen Kinder oft sehr weit entfernt voneinander wohn­ten.

Mit einer Ehe, mit der man umfassend Verantwortung für einen anderen Menschen übernehme und Tisch und Bett miteinander teile, sei dies aber nicht zu vergleichen, sagte der Bundesjustizminister, der selbst verheiratet ist. Die Verantwortungsgemeinschaft sei ein Modell für Menschen, die „nicht das Bett mitein­ander teilen, sondern den Tisch – aber mit einem über eine reine Geschäftsbeziehung hinausgehenden tatsächlichen und persönlichen Näheverhältnis“.

Wichtig sei, dass im Gesetz eine klare Abgrenzung der Verantwortungsgemeinschaft zur Gesellschaft bür­gerlichen Rechts und zur Bedarfsgemeinschaft des Sozialrechts vorgenommen werde. Um unnötige Bü­rokratie zu vermeiden, halte er die Eintragung in ein Register beim Standesamt für den besten Weg, sagte Buschmann. Denkbar wäre aber auch eine Lösung vor dem Notar.

Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings, reagierte skeptisch. Er sagte dem Redak­tionsnetzwerk Deutschland (RND), vor allem die Idee einer rechtlich anerkannten Lebensgemeinschaft jenseits der Ehe berge verfassungsrechtliche Risiken. „Die neue „Verantwortungs­gemeinschaft“ im Fami­lienrecht hat die Ampel offenbar nicht zu Ende gedacht“, befand der CDU-Politiker.

Für gestärkte Auskunfts- und Vertretungsrechte von Menschen, die ohne Ehe Verantwortung füreinander übernehmen, brauche es kein neues Familienrechtsmodell, sondern lediglich unbürokratische Reformen der Vertragsfreiheit.

„Wenn hier eine ,Ehe light' erfunden werden soll, riskiert man nicht nur einen handfesten Konflikt mit Artikel 6 des Grundgesetzes, der die Ehe besonders schützt, sondern muss vor allem ein hochkomplexes neues Regelungssystem schaffen“, warnte Krings.

Vorgesehen ist bei der geplanten Reform außerdem mehr Unterstützung für ungewollt kinderlose Paare. Für unverheiratete Paare soll es neue Möglichkeiten geben, Vereinbarungen über die Elternschaft zu treffen.

Zwei miteinander verheiratete Frauen sollen in Bezug auf Kinder rechtlich künftig genauso behandelt werden wie wenn ein Mann und eine Frau miteinander verheiratet sind. Das heißt auch, dass das von einer der beiden Frauen geborene Kind von Anfang an die Ehefrau als zweiten Elternteil haben soll. Bisher kann die Partnerin der Mutter nur über eine Stiefkindadoption rechtlicher Elternteil des Kindes werden.

Grundsätzlich gelte bei dem gesamten Reformvorhaben: „Das Kindeswohl muss dabei immer im Vorder­grund stehen“, sagte Buschmann. „Außerdem muss man klären, was eigentlich rechtlich passieren soll, wenn so eine Partnerschaft auseinandergeht oder sich anschließend neue Partnerschaften bilden.“

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung