Medizin

Chronisches Erschöpfungssyndrom: Studie sieht Langzeitnutzen von Psycho- und Physiotherapie

  • Mittwoch, 28. Oktober 2015
Uploaded: 28.10.2015 17:25:11 by mis
dpa

Oxford – Die Autoren einer kontroversen Studie zur Behandlung des chronischen Erschöpfungssyndroms/myalgische Enzephalomyelitis (CFS/ME) berichten in Lancet Psychiatry (2015; doi: 10.1016/S2215-0366(15)00317-X), dass die damals als effektiv eingestuften Psycho- und Physiotherapien, die dem Krankheitskonzept vieler Patienten widersprechen, auch langfristig einen Nutzen erzielen. Allerdings scheint es auch vielen Teilnehmern der als ineffektiv eingestuften Beschäftigungstherapie heute besser zu gehen.

Die “Pacing, graded Activity and Cognitive behaviour therapy – a randomised Evaluation” oder PACE-Studie hatte 620 Patienten mit CFS/ME nach den Oxford-Kriterien auf vier Gruppen randomisiert. Verglichen wurden eine kognitive Verhaltens­therapie (Cognitive behavioural therapy, CBT), eine spezielle Physiotherapie (Graded exercise therapy, GET), eine Beschäftigungstherapie (adaptive pacing therapy, APT) und in der Kontrollgruppe eine alleinige medizinische Therapie (specialist medical care, SMC), die auch die Teilnehmer der drei anderen Gruppen erhielten.

Die besten Ergebnisse erzielten, wie das Team um Michael Sharpe von der Universität Oxford vor viereinhalb Jahren im Lancet (2011; 377: 823-836) berichtete, mit CBT und GET ausgerechnet zwei Therapien, die die Erkrankung als psychisches Leiden (weil CPT wirkt) und die Patienten als „Faulpelze“ erscheinen lässt (denen mit einer GET „auf die Sprünge“ geholfen werden müsste), was  – wie die Autoren bereits früher versicherten – nicht der Fall ist. Die Ergebnisse widersprechen auch Krankheits­konzepten, die in der CFS/ME eine organische Erkrankung sehen, bei der Psycho­therapien nicht wirken und eine Physiotherapie das Leiden nur noch vergrößern würden.

Die Kritik an der PACE-Studie fiel entsprechend heftig aus, und auch die jetzt auf einer Pressekonferenz vorgestellten Ergebnisse einer Nachbeobachtung dürften hier weiter Öl ins Feuer gießen. Das Team um Sharpe hat die Adressen von 604 von 620 damaligen Teilnehmern ermitteln können und ihnen Fragebögen zu ihrem aktuellen gesund­heitlichen Befinden geschickt.

Insgesamt 481 Teilnehmer (75 Prozent) antworteten. Seit der Randomisierung der Patienten zu Beginn der Studien waren im Durchschnitt 31 Monate vergangen. Laut Sharpe war die Rücklaufrate in den vier Gruppen ähnlich, so dass deren Antworten statistisch valide Aussagen über die Langzeitergebnisse der vier Interventionen zulassen würden.

Die Teilnehmer, die die beiden wirksamen Therapien (CBT und GET) erhalten hatten, berichteten, dass ihr Gesundheitszustand in etwa gleich geblieben sei. Bei ihnen scheint die Therapie langfristig genutzt zu haben – und die Vorhersage von Kritikern, dass die Physiotherapie den Verlauf der Erkrankung ungünstig beeinflussen werde, hat sich nicht erfüllt. Allerdings hatten 31 Prozent aus dem CBT-Arm und 32 Prozent aus dem GET-Arm seither weitere Behandlungen erhalten.

Interessanterweise geht es heute auch vielen Patienten, die anfangs die als erfolglos eingestuften Therapien (APT und SMC) erhalten hatten, heute besser. Ihr Gesundheits­zustand ist laut Sharpe nicht schlechter als bei den Patienten, die eine aktive Therapie erhalten hatten. Allerdings, so fügt Sharpe hinzu, hätten diese Patienten nach dem Abschluss häufiger weitere Therapien in Anspruch genommen. So hätten sich 73 Prozent der Teilnehmer aus dem SMC-Arm und 50 Prozent der Teilnehmer aus dem APT-Arm erneut in Behandlung begeben und die meisten hätten - aufgrund der guten Ergebnisse der PACE-Studie – eine CBT oder GET erhalten.

rme

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